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Berlin: Einzelhandelsverbände wollen das Ladenschlußgesetz kippen

BERLIN .Hunderttausende nutzten am Wochenende die verlängerten Ladenöffnungszeiten.

BERLIN .Hunderttausende nutzten am Wochenende die verlängerten Ladenöffnungszeiten.Ausnahmsweise durften die Geschäfte von zwölf bis 17 Uhr verkaufen.Am Potsdamer Platz hatten die 120 neuen Läden von Freitag bis Sonntag sogar bis Mitternacht geöffnet.Während in den "Potsdamer Platz Arkaden" zu jeder Zeit dichtes Gedrängel herrschte, verzeichneten vor allem die Einkaufs-Center gute Umsätze.Eher zurückhaltend waren die Kunden am Kurfürstendamm und der Tauentzienstraße.Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes des Berliner Einzelhandels, jubelte: So gute Umsätze, wie am Tag der Deutschen Einheit, habe es noch nie bei einer Sonderöffnung gegeben.Unterdessen gibt es in der Diskussion um eine weitere Liberalisierung des Ladenschlußgesetzes einen überraschenden Vorstoß der Einzelhandelsverbände von Berlin und Brandenburg: In einem bisher unveröffentlichten Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt, sprechen sich die Präsidien beider Verbände erstmals "für die ersatzlose Abschaffung dieses Gesetzes" aus.Unterstützung ist allerdings nicht in Sicht: Die Gewerkschaften DAG und HBV reagierten mit Kritik, der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) in Köln distanzierte sich, und selbst die als Kämpferin für lange Öffnungszeiten bekannte Gesundheits- und Sozialsenatorin Beate Hübner (CDU) will auf das Gesetz nicht verzichten.Die nächsten Sonderöffnungstage sind für den 18.und 25.Oktober geplant.Die Politik habe "ihre Unfähigkeit zur gründlichen Reform in Sachen Ladenschluß" bewiesen, heißt es in den dreiseitigen "Überlegungen" der Verbandspräsidenten, Hauptgeschäftsführer und Fachverbandsvertreter.Das zeige sich am lockeren Umgang mit Ausnahmegenehmigungen: "Allerorts wird formal rechtswidriges Verhalten nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern durch die Verwaltungen unterstützt." Zwar unterstütze man Ausnahmegenehmigungen im Interesse der Händler; trotzdem "stellt sich die Frage nach der Wertigkeit einer Rechtsvorschrift, die faktisch zunehmend dafür genutzt wird, ihre eigenen Grundbestimmungen wirkungslos werden zu lassen".

Außerdem wird beklagt, daß es den Gewerkschaften gelungen war, für Verkaufszeiten nach 18.30 Uhr Zuschläge von 20 Prozent durchzusetzen."Somit wurden im Einzelhandel bereits Arbeitszeiten zuschlagspflichtig, welche in anderen Wirtschaftszweigen (...) selbstverständlich zuschlagsfrei sind".Zum Thema Arbeitsschutz meinen die Präsidien, dieses Argument werde "nur formell" gegen eine Freigabe der Öffnungszeiten benutzt; tatsächlich stünden aber Wettbewerbsinteressen dahinter.

"Wir wollen einen Stein ins Wasser werfen", sagte Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Berliner Gesamtverbands des Einzelhandels (GdE), auf Nachfrage.Den Machtwechsel in Bonn habe man in dem Papier allerdings noch nicht berücksichtigt.Daß die zu erwartende rot-grüne Regierung die Abschaffung des Ladenschlusses vorantreibe, sei eher unwahrscheinlich.Ohnehin müsse jetzt eine "Nettoentlastung der Haushalte" Vorrang haben.Die Stärkung der Kaufkraft sei Voraussetzung dafür, daß zusätzliche Öffnungszeiten dem Handel überhaupt nutzen.So sieht es auch Harald Lemke vom brandenburgischen Einzelhandelsverband EHV: "Zuallererst geht es um die Steuerreform." Zur Freigabe der Verkaufszeiten könne es erst Ende 1999 kommen, wenn die Tarifverträge auslaufen und die Testphase endet, die der Bundestag 1996 bei der Ladenschluß-Reform beschlossen hatte.

Die Gewerkschaften sehen keine Grundlage für eine Freigabe der Verkaufszeiten."Angesichts der geringen Beteiligung an den jetzt möglichen Zeiten halten wir das für absurd", sagte HBV-Landeschef Manfred Birkhahn.Einzelhandelsexperte Roland Tremper von der DAG betonte, ein Verzicht auf den Ladenschluß wäre "mittelstandsfeindlich" und "nur Großunternehmen förderlich".

Verwundert reagierte der Hauptgeschäftsführer des Einzelhandels-Dachverbands HDE, Holger Wenzel."Weitere Veränderungen decken sich nicht mit unserer Linie", auch wenn es vielleicht "regionale Gesichtspunkte" für die Haltung der zwei Mitgliedsverbände gebe.Der HDE hatte 1996 bereits die Ausdehnung der Verkaufszeiten auf das heutige Maß abgelehnt; die künftige Haltung zum Gesetz hängt laut Wenzel von den Ergebnissen der Testphase ab.

Die für den Ladenschluß zuständige Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales lehnt die Abschaffung des Ladenschlusses ab und will speziell "den Sonntag nicht antasten", so Sprecher Christoph Abele.Senatorin Hübner plane aber eine Bundesratsinitiative für eine Ausdehnung der Verkaufszeiten zwischen Montag und Sonnabend.

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