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Eis und Schnee: Senioren und die Glätte - wie eingesperrt

Mobilitätsdienste helfen, weil Senioren wegen der Glätte zu Hause bleiben.

Mit der schnittigen Kurzhaarfrisur und ihrer Windjacke sieht Ursel Haberlach so aus, als könnte sie sich beim Langlauf noch flott in die Loipe legen. Doch der Schein trügt, die große Frau wird 80 Jahre alt und wegen ihrer Arthrose kann sie kaum noch gehen. Unterwegs braucht sie ihren Rollator, doch auch das wird jetzt zum Problem, seit sich der Schnee draußen um ihren Wohnblock an der Septimerstraße in Reinickendorf türmt: „Ich bin der Typ, der gerne rausgeht, normalerweise jeden Tag, nur im Moment kann ich das eben nicht.“ Seit Wochen bleibt sie deshalb zu Hause.

Zweimal in der Woche muss die Berlinerin aber doch noch raus, zur Physiotherapie. Dann hilft ihr der Mobilitätsdienst vom Sozialverband Vdk, um mit dem Bus dorthin zu kommen und begleitet sie zum Supermarkt. Seit der Schnee in den Vorgärten Berge bildet, kommen die Helfer immer zu zweit, um der Rentnerin „unter die Arme“ zu greifen. Mit dem Rollator geht es auf schmalen Fußgängerwegen über festgetretenen Schnee und vereiste Treppenstufen. „Das Schwierigste sind diese Holper“, sagt Haberlach und zeigt auf einen Haufen alten Schnee am Bordstein, ihre Gehilfe bleibt da stecken. Die beiden Helfer machen die Begleitung als Ein-Euro-Maßnahme. Die Mitdreißigerin Natascha stützt die Seniorin, während der jüngere Isaac den Rollator zieht.

Auf Haberlachs Einkaufszettel stehen heute unter anderem Kukident, Tomaten, Gurken und auch die Eistütchen dürfen nicht fehlen. Die beiden Begleiter suchen in den Regalen nach den Produkten und legen sie der Seniorin an der Kasse aufs Band. Diese ist sichtlich erheitert über die ungeteilte Aufmerksamkeit.

Andere Klienten kommen seit Weihnachten gar nicht mehr aus dem Haus. So wie Rentnerin Sevim Mews. Die 69-Jährige fährt mit dem Taxi einmal im Monat zur Bank – um Geld zu holen. Für die Rollstuhlfahrerin ist aber auch das eine Prozedur. „Der Taxifahrer hat nicht geholfen“, empört sie sich. Stattdessen seien sie und ihre Begleitung vor der Sparkasse über die Buckelpiste gerutscht. Mews Mann ist vor einem Jahr gestorben. Weil sie schon lange im Rollstuhl sitzt, kommt der Mobilitätsdienst vorbei, damit sie nicht die ganze Zeit alleine ist. Sevim kocht dann einen Kaffee und erzählt davon, wie sie 1965 aus der Türkei als Gastarbeiterin nach Berlin gekommen ist. Und von ihrem deutschen Ehemann, zu dessen Grab sie jetzt nicht mehr hinkommt.

„Die Senioren können bei dem Wetter nicht mehr selbst bestimmen, wo sie hingehen. Das ist schon deprimierend für die Leute“, weiß Natascha. Viele fühlten sich wie eingesperrt. „Das Problem ist die Angst vor dem Sturz“, sagt ihre Chefin Gundula Gorzell-Brodatzki. Dabei sei Bewegung für das Gehirn sehr wichtig, um die Leute fit zu halten. „Die Senioren fallen dann auch weniger hin.“

Ursel Haberlach wohnt im fünften Stock, ganz oben, es gibt einen Fahrstuhl, aber die letzten Stufen muss sie die Treppe gehen. Kaum sind die Einkäufe ausgepackt, holt die Rentnerin gleich den Müll, den Helfer Isaac dann beim Rückweg unten in der Tonne entsorgt. „Das sind alles so Kleinigkeiten“, sagt sie, „aber wenn man die vergisst, sitzt man da.“ Daniela Englert

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