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Berlin: „Eisenman ist ein Genie“

Das Holocaust-Mahnmal versöhnt auch frühere Gegner des Entwurfs: Eberhard Diepgen bekennt, geirrt zu haben, Martin Walser ist heute begeistert

Was wurde nicht alles gegen das Mahnmal vorgebracht, bevor es heute vor einem Jahr eröffnet wurde. Heute sagt Uwe Neumärker, der Geschäftsführer der Mahnmal-Stiftung: „Unsere schärfsten Kritiker sind unsere Freunde geworden.“

Eberhard Diepgen zum Beispiel befürchtete als Regierender Bürgermeister 1999, dass das Mahnmal mit Hakenkreuzen beschmiert und ein beliebter Ausflugsort für Neonazis wird. „Das wird Deutschlands Ansehen im Ausland Schaden zufügen.“ Der Staatsschutz warnte: „Besucher können in dem hohen, engen Stelenfeld in Panik geraten. Es ist keine Vorsorge getroffen worden, wie die, die zum Beispiel einen Schwächeanfall erlitten, herausgeholt werden können.“

Heute, ein Jahr nach der Eröffnung, gesteht Diepgen, dass er sich geirrt habe, was den Umgang mit den Steinen angeht. „Die Respektlosigkeit und die Unbefangenheit der Berliner und vieler Touristen, das Frühstück auf der Stele oder auch die Stele als Turngerät haben die befürchteten Aggressionen gegen die Gigantomanie des Mahnmals nicht entstehen lassen. Klugerweise verzichtet das deutsche Protokoll auch darauf, dieses Mahnmal als ,Kranzabwurfstelle‘ zu benutzen.“ Es bleibe eine Berliner Sonderheit, dass sich „inmitten einer Partyzone auch mit den weiteren Planungen von Mahnmalen eine Mahnmalmeile entwickelt“.

Bis heute kann sich Diepgen allerdings nicht mit der Ästhetik von Eisenmans Werk anfreunden: Mit der Abstraktheit, der Beliebigkeit und Monumentalität könne man die Seelen der Betrachter nicht öffnen, so der Regierende 1999. „Meine Bedenken gegen den Standort, die Gigantomanie und die mangelnde Aussagekraft bleiben bestehen“, sagt er heute.

Völlig bekehrt ist hingegen Martin Walser. Mitte der 90er Jahre sah er den „fußballfeldgroßen Albtraum im Herzen der Hauptstadt“ quasi schon vor sich. Kürzlich gestand er Radio Vatikan: „Ich war jetzt dort, und ich muss sagen, die Berliner haben wirklich Glück gehabt, das ist ein richtiges Kunstwerk. Das ist so beeindruckend, dass jeder da mit sich selber zu tun haben kann. Eisenman ist ein Genie, der hat das hingekriegt. Die Gefahr, dass da etwas Monströses stünde, ist vermieden.“ Auch der ehemalige Präsident der Akademie der Künste, György Konrád – auch er war einer der heftigsten Kritiker – hat sein Urteil revidiert. Schlendernd komme man hier zur Besinnung und bleibe doch ratlos zurück. Und das sei gut so. „In den Sinn kommt dir, was dir in den Sinn kommt. Das ist deine Sache. Begräbnisstätte? Tatsächlich. Dort denkst du an den Tod derer, die du verloren hast und vermisst“, schrieb er nach einem Besuch im Stelenfeld. Er sei ein kleingläubiger, einfältiger Kritiker gewesen.

Andere Zweifler, etwa aus der Jüdischen Gemeinde, befürchteten, dass das Mahnmal Besucher von den authentischen Gedenkorten abziehen werde. Das Gegenteil ist eingetreten. Die Topographie des Terrors, die Gedenkstätte des Deutschen Widerstands oder die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen registrierten in den vergangenen zwölf Monaten mehr Besucher denn je. Wolfgang Thierse, der frühere Bundestagspräsident und Vorsitzende der Mahnmal-Stiftung, freut sich. „Die Stelen erzwingen nichts und setzen doch bei vielen etwas in Gang. Man wird leise und betreten. Dass darüber hinaus eine halbe Million Menschen den Ort der Information besuchen, sich sogar dafür anstellen, zeigt doch, dass das Mahnmal funktioniert.“ Thierse dachte das schon immer.

Am 13. Mai findet im Ort der Information von 18 bis 2 Uhr eine „Lange Nacht des Denkmals“ statt mit Lesungen und Diskussionen u.a. mit Historiker Eberhard Jäckel und Schauspieler Ulrich Mühe.

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