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Berlin: Elend in den Bezirken - Diepgen sucht Rat

Bürgermeister und Senatoren kommen zu einer Innenstadtkonferenz zusammen / "Soziale Brisanz" erkanntVON WERNER VAN BEBBER BERLIN.Der Senat will auf einer Konferenz mit den Innenstadtbezirken nach Möglichkeiten suchen, um diese Bezirke vor der Verelendung zu bewahren.

Bürgermeister und Senatoren kommen zu einer Innenstadtkonferenz zusammen / "Soziale Brisanz" erkanntVON WERNER VAN BEBBER BERLIN.Der Senat will auf einer Konferenz mit den Innenstadtbezirken nach Möglichkeiten suchen, um diese Bezirke vor der Verelendung zu bewahren.Eine erste "Innenstadtkonferenz" solle im April stattfinden und sich mit Fragen der Wirtschaftsförderung in den Bezirken ebenso befassen wie mit der Ausländerpolitik, sagte Senatssprecher Michael-Andreas Butz gestern.Die Notwendigkeit für eine solche Konferenz sehe der Senat seit der Vorlage des neuen Sozialstrukturatlasses für Berlin.Der Atlas weist für sechs zentrale und citynahe Bezirke Verslumungstendenzen nach.An der ersten Konferenz sollen die Bürgermeister von Kreuzberg, Tiergarten, Wedding, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Neukölln und Mitte teilnehmen, außerdem fast alle Senatoren.Nur die Vertreter des Bezirkes Mitte werden gelassen zu dieser Konferenz erscheinen: Sie sind eingeladen, obwohl es dem Bezirk nicht schlecht geht.Doch wenn im April Senatoren mit Bezirkspolitikern darüber nachdenken, wie Verkehrs- oder Sicherheitsprobleme der notleidenden Nachbarbezirke zu lösen sind, sollen die Planungen nicht an Mitte vorbeigehen.Was die Vertreter der verelenden Bezirke von der Konferenz zu erwarten haben, ist nicht abzusehen.Es wird in zweierlei Hinsicht um Geld gehen.Zum einen um die Fehlbelegungsabgabe: die will der Senat in den angeschlagenen City-Bezirken streichen.So will man verhindern, daß immer mehr Mieter die Innenstadt verlassen, weil dort die Wohnqualität sinkt.Addiere man die Einnahmen aus den sechs von Armut bedrohten Bezirken, komme man auf 34 Millionen Mark, sagte Senatssprecher Butz gestern: "Wenn das das Hauptproblem sein sollte - daran wird die Entwicklung der Stadt nicht scheitern".Zum anderen wird es um die finanziellen Möglichkeiten des Senats zur Förderung der lokalen Wirtschaft gehen.Dazu sagte Butz nur, daß man Geld allenfalls ausgeben werde, indem man Betrieben in den Innenstadtbezirken Aufträge erteile - aber nicht für neue Verwaltungsstrukturen.Von diesen beiden Aspekten abgesehen, ist nur in einigen Begriffen klar, was die Konferenz bewirken soll: Man will über "gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Schulproblematik" nachdenken, über die Sicherheit und die Integration der Ausländer, erklärte Senatssprecher Butz gestern.Das ergibt sich allerdings von allein aus der Betrachtung der Faktoren, die dem Sozialatlas zufolge maßgeblich sind für die schwierige Lage der Innenstadtbezirke: In allen sechs Bezirken haben besonders viele Bewohner keine Arbeit.Zudem gibt es in den verslummenden Bezirken besonders viele Personen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, besonders viele alleinerziehende Mütter, außerdem besonders viele ohne deutschen Paß.Das zeigt sich an Schulen, in denen immer weniger Kinder richtig deutsch sprechen.Zweimal habe der Senat bereits über den Sozialstrukturatlas gesprochen, sagte Butz.Die "soziale Brisanz" der Entwicklung in den Innenstadtbezirken hat den Regierenden Bürgermeister Diepgen veranlaßt, das zu koordinieren, was nun zur Lösung der Probleme getan werden soll.Daß der Senat erst jetzt versucht, Entwicklungen zu beeinflussen, die seit langem als problematisch bekannt sind, kommentierte Butz mit der Bemerkung, es sei "nie zu spät".Nicht andeutungsweise ist klar, was Senat und Bezirke zum Beispiel sicherheits- oder schulpolitisch tun können, um Entwicklungen umzukehren, die seit Jahren absehbar waren.Butz sagte nur, daß zum Thema Sicherheit auch die "Sauberkeit" gehöre - die sei schließlich auch von Bedeutung für die Lebensqualität in den Bezirken.Nur ein Ziel aller Bemühungen beschrieb Butz bei der Vorstellung der Innenstadtkonferenz-Überlegungen: Man wolle dafür sorgen, daß nicht noch mehr Menschen die schwierigen Bezirke oder gleich Berlin verließen und nach Brandenburg zögen.Die Bezirke brauchten "positive Signale" - Zeichen dafür, daß Senat und Bezirkspolitiker das soziale "Wegkippen" der Bezirke verhindern.Ebenfalls völlig offen ist, was und wieweit der Senat von in- und ausländischen Großstadtverwaltungen lernen kann, denen die Entwicklung von City-Bezirken zu Slums schon länger vertraut ist.London, Paris, Marseille haben Erfahrungen mit solchen Abwärtsentwicklungen, amerikanische Großstädte erst recht.Stadtentwicklungssenator Peter Strieder will noch im März das Gutachten eines Stadtsoziologen vorlegen, der "soziale Brennpunkte" in den Bezirken untersucht hat, wie Strieders Sprecher Joachim Günther sagt.Die Untersuchung soll Aufschlüsse darüber liefern, welche "Prozesse" in der Bevölkerungsentwicklung abliefen und was man tun könne, um diese zu stabilisieren. Berlin, ganz unten: Die ProblembezirkeGanz unten steht Kreuzberg - jedenfalls im Sozialstrukturatlas 1997, den Sozialsenatorin Beate Hübner Anfang Februar vorgelegt hat.Von den 155 000 Kreuzbergern sind dem Bezirksamt zufolge 30,8 Prozent ohne Arbeit.Es gibt einen Geburtenüberschuß, doch die Tendenz zum Wegziehen überwiegt.Die Zahl der Kreuzberger sank zuletzt um über 2100 pro Jahr.Ende 1996 lebten und wohnten 51 852 Ausländer im Bezirk.Die Zahl der "Empfänger von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt" liegt bei 20 527.In Tiergarten liegt die Arbeitslosenquote bei 21,2 Prozent.Das jedenfalls war die letzte Zahl des Landesarbeitsamtes.Von gut 90 000 Tiergartenern haben 24 822 keinen deutschen Paß.Zu- und Fortzüge halten sich die Waage.Die Zahl der Hilfeempfänger liegt im Bezirk bei 9 183 Personen.In Wedding sind 20,8 Prozent der Bewohner des Bezirks ohne Arbeit.14 000 Personen haben den Bezirk 1996 verlassen, 13 000 sind hinzugekommen.48 846 Personen unter den 168 000 Bezirksbewohnern sind.13 835 Weddinger brauchen Sozialhilfe zum Überleben.Von den 106 000 Bewohner des Bezirks Friedrichshain sind dem - nicht ganz aktuellen - Statistikjahrbuch zufolge 15,2 Prozent ohne Arbeit.3549 Personen beziehen hier Sozialhilfe.Die Wanderungsbilanz des Bezirks ist negativ, die Zahl der Wegzügler überwog im Erfassungsjahr 1996 um 1000.In Friedrichshain waren in diesem Jahr 8113 Ausländer gemeldet.Auf der Liste der von Verelendung bedrohten Bezirke steht außerdem Prenzlauer Berg.Hier betrug die Quote der Arbeitslosen dem Landesarbeitsamt zufolge 18,8 Prozent.Von den 144 000 Bewohnern des Bezirks sind 9 225 Ausländer.Die Bevölkerungsbilanz ist negativ: Im Jahr 1996 haben 3000 Personen mehr den Bezirk verlassen als hinzugekommen sind.4856 Personen waren im Erfassungsjahr 1996 auf Sozialhilfe angewiesen.Neukölln schließlich hat von seinen 314 000 Einwohner im Erfassungsjahr 2000 mehr verloren als hinzugekommen sind.Die Zahl der Ausländer liegt hier bei 61 754.Die Quote der Arbeitslosen lag den Zahlen des Landesarbeitsamtes zufolge bei 20,8 Prozent.20 483 Neuköllner waren 1996 auf Sozialhilfe angewiesen.Armut in den Bezirken läßt die Quote derer erahnen, die mit weniger als 600 Mark auskommen müssen: Es sind 17,2 Prozent der Kreuzberger, 7,2 Prozent der Tiergartener, 17,6 Prozent der Weddinger, 8,6 Prozent der Friedrichshainer, 10,1 Prozent der Einwohner von Prenzlauer Berg und 34,5 Prozent der Neuköllner (Tsp).

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