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Berlin: Elisabeth Gawol (Geb. 1927)

Ein Leben für ihren Gott – und für ihren Pfarrer

Was machte dieses fremde Mädchen in ihrer Küche? Elisabeth war empört. Das war doch ihr Reich, ihre Wirkungsstätte. Raus hier, aber schnell. 1958 war das. Die eine, Elisabeth Gawol, war damals 31 Jahre alt und arbeitete als Pfarr-Haushälterin. Die andere hieß auch Elisabeth, war erst 17 und lernte Kinderkrankenschwester. In der Küche des Pfarrhauses der katholischen Corpus-Christi-Gemeinde im Prenzlauer Berg trafen sie aufeinander. Elisabeth Gawol, weil sie hier für den Pfarrer kochte, putzte, wusch, einkaufte und organisierte – die gute Seele an der Seite des Seelsorgers. Die andere Elisabeth, die jüngere, weil sie sich nützlich machen wollte, während sie wartete, dass der Pfarrer Zeit für ihre Seele und Sorgen hatte.

So schroff die erste Begegnung auch war, erwuchs daraus eine tiefe, lange Freundschaft. Sie hielt über die Jahre, über die Grenze und über unterschiedliche Vorstellung vom Leben. Elisabeth die Erste und Elisabeth die Zweite, wie sie sich nannten. Nun ist die Erste gestorben, während die Zweite sie in den Tod begleitete, sich auch danach um alles kümmert und jetzt die Geschichte ihrer Freundin erzählt. Es ist die Geschichte einer frommen Frau, der die katholische Kirche alles bedeutete und die an der Seite ihres Pfarrers stand, 32 Jahre lang, mit ihm die Gemeinden und die Staaten wechselte.

Fromm waren schon ihre Eltern. Der Vater war Krankenpfleger, ein kleiner Beamter. Die Mutter war Mutter. Sechs Kinder. Sie hatten ein Haus in Neuruppin, einen kleinen Acker und lebten sparsam. Im Herbst sammelten sie Blaubeeren und halfen beim Bauern. Sonntags ging es in die Kirche, die Kinder besuchten nach der Schule den Religionsunterricht. Gebetet wurde vorm Essen und vorm Schlafengehen und auch sonst sehr häufig. Über den Glauben redete man nicht viel, man lebte ihn. Dass die zwei Brüder aus dem Krieg wiederkamen, muss an den vielen Bitten zu Gott gelegen haben.

Elisabeth lernte Kauffrau und arbeitete als Prokuristin im Konsum. An die Partei und den Sozialismus glaubte sie noch lange nicht und wurde deshalb gegängelt. Das hielt sie nur schwer aus. Der Jugend-Kaplan in der Kirche hieß Franz Hellwig. Einer, der die Leute begeisterte. Als er nach Berlin in eine eigene Gemeinde berufen wurde und dort eine Haushälterin brauchte, meldete sich Elisabeth.

So zog sie mit ihm nach Berlin. Und sie wirbelte, ständig war Besuch im Haus, Menschen, die der Pfarrer auf der Straße auflas, Gläubige aus anderen Ländern. Dann hieß es: Elisabeth, schau mal, kannst du was zaubern, ich habe zwei Polen zu Gast. Aus zwei wurden zehn und am Ende saßen zwölf hungrige Menschen am Tisch. Kein Problem, denn Elisabeth hatte alles eingeweckt: Gemüse, Obst, Fleisch. Von morgens bis abends war sie beschäftigt.

Einmal fragte Elisabeth die Zweite: Sag mal, du und der Pfarrer. Du musst doch in den verliebt sein!

Da war was los, Elisabeth war beleidigt, wütend, sprach kein Wort mehr. So eine Unterstellung. Elisabeth hatte ihr Leben und ihre Liebe Gott gewidmet! Ging jeden Tag in die Gottesdienste, zu den Bibelgruppen, besuchte Seminare und Klöster. Gott war Teil ihres Seins, ohne dass sie das erklären musste oder wollte oder konnte. Wenn der Papst, Christi unfehlbarer Stellvertreter, sagte, Pfarrer müssten im Zölibat leben, dann war das so, ohne Diskussion.

1977 erlitt ihr Pfarrer einen Schlaganfall. Er lag im St. Hedwig-Krankenhaus, Elisabeth saß an seiner Seite. Er erholte sich. Sie blieb an seiner Seite, als er einen Ausreiseantrag stellte und in den Westen ging. Was die DDR erlaubte, und was nicht, war oft ein Rätsel. Mit dabei hatte Elisabeth ihr dickes Adressbuch. Wenn jemand in der Prenzlauer-Berg-Gemeinde Geburtstag oder Namenstag feierte, rief sie an oder schrieb Karten, am liebsten Blumenkarten mit gepressten Blausternen, roten Hornveilchen, die mochte sie besonders.

Nach zehn Jahren im Westen musste Elisabeth ihren Pfarrer dann gehen lassen, etwas mit dem Herz, Krankenhaus, zweimal war er schon wiederbelebt worden. Ihre Freundin, Elisabeth die Zweite, nahm sie in den Arm und sagte: „Lass gut sein, er wollte nie ein Pflegefall werden.“

Und was jetzt? Elisabeth konnte doch nicht alleine sein, ohne Zweck und ohne Aufgabe. Nun unterstützte sie ihren Bruder, ebenfalls Pfarrer, bei seiner Mission in Kasachstan. Sie organisierte Hilfslieferungen, packte Pakete, kümmerte sich um Stipendien. Sie flog in die Ferne, lebte in den Familien, erlebte, was Armut bedeutete. Zu Hause in Berlin buk sie Kuchen und spendete und warb für das erste stationäre Hospiz in Berlin, das Ricam-Hospiz.

Dass es irgendwann auch mit ihr zu Ende gehen würde – unvorstellbar! Wieder und wieder kämpfte sie sich zurück ins Leben, lernte erneut, sich zu bewegen, für sich zu sorgen. Bis es irgendwann doch nicht mehr ging. An einem Montag in diesem Sommer hat sie es hinüber geschafft, zu ihrem Gott, zu ihrem Pfarrer, der da auf sie wartete, gewiss.

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