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Berlin: Eltern erkunden das Internet

Nach Schülermobbing und Gewaltdrohungen will der Senat flächendeckend Erwachsenenkurse anbieten. Die Nachfrage ist groß

Frank Tripp ist der Mann, zu dem Berliner Eltern demnächst aufschauen werden. Nicht nur weil er so groß ist, geradezu riesig, sondern weil er hat, was offenbar vielen seiner Altersgenossen fehlt: Eine Affinität zum Internet. Der Sozialpsychologe leitet das Pilotseminar „Mehr Medienkompetenz für Eltern“. Die Bildungsverwaltung reagiert damit auf die schweren Fälle von Cybermobbing unter Schülern der vergangenen Monate. Bis Ende des Jahres sollen die Seminare an jeder Schule in Berlin kostenlos angeboten werden.

Im Mehrzweckraum der Wald-Grundschule in Charlottenburg hängen 20 Eltern an den Lippen von Frank Tripp. Es sind größtenteils besorgte Mütter. Sie bestaunen eine symbolische Landkarte des Internets. Darauf sind die Länder „Facebook“ und „SchülerVZ“ eingetragen. Der Chatanbieter „Knuddels“ liegt an der Küste. Es ist der Versuch für Einsteiger in einer Präsentation zu fassen, was sich eigentlich nur erleben lässt. „Wenn sie keine Ahnung haben, sind sie hier genau richtig“, sagt Tripp. Und die Zahl der Ahnungslosen ist offenbar hoch. Die ersten beiden Seminare waren gleich am ersten Tag ausgebucht. Seitdem wächst die Warteliste beständig an. Die Bildungsverwaltung rechnet bis Jahresende mit 600 Interessenten. Dabei haben viele Eltern wenig Lust dazu. „Eigentlich habe ich keine Zeit, mich damit zu beschäftigen“, sagt eine der Mütter. Erst als ihre Tochter ihr von der Internetseite „isharegossip“ erzählt habe, sei sie alarmiert gewesen.

Vor gut zwei Monaten hatten Veröffentlichungen auf der von Schülern genutzten Internetplattform www.isharegossip.com (ich verbreite Klatsch) etliche Schlagzeilen ausgelöst. Die anonym verbreiteten Ankündigungen von Gewalttaten führten zu leeren Klassenzimmern an zwei Schulen – dem Hans-Carossa-Gymnasium in Kladow und dem Schadow-Gymnasium in Zehlendorf ; die Mobbingattacken gegen eine Schülerin hatten sogar zur Folge, dass ihr Freund von einer Gruppe von 20 Jugendlichen bewusstlos geprügelt wurde. Gegen die Schläger ermittelt weiterhin die Staatsanwaltschaft.

Auch wenn es Besorgnis ist, die die Eltern in die Kurse treibt, Tripp will auch für mehr Begeisterung werben. „Ihre Kinder werden das Internet erkunden. So viel ist sicher“, sagt Tripp. Man könne ihnen aber ein Begleiter sein. „Finden sie heraus, was ihre Kinder so toll am Internet finden.“ Sechs Stunden verteilt auf drei Tage hat Tripp Zeit, seine Seminarteilnehmer auf diese Entdeckungstour vorzubereiten. Die Bildungsverwaltung hat 2011 für alle Kurse Kosten von rund 6000 Euro eingeplant. Gerade einmal 0,1 Prozent des 5,7 Millionen Euro umfassenden Jahresetats, der für Medienerziehung in Berlin veranschlagt ist. Erste Reaktionen sind positiv. „Ich habe gemerkt, dass ich doch nicht ganz machtlos bin“, resümiert eine der Teilnehmerinnen nach der Veranstaltung. Wirklich beruhigt sei sie aber nicht. Zu Recht, wie Tripp bemerkt. Cybermobbing könne anonym überall und jederzeit stattfinden. Längst nicht nur auf isharegossip. Wichtig sei, die Schüler damit nicht allein zu lassen. Schon deshalb sollten Eltern wissen, wovon ihre Kinder sprechen, wenn von Social Networks, Chats und Browser Games die Rede ist, sagt Tripp.

Um isharegossip selbst ist es derweil relativ still geworden. Die Seite gibt es zwar noch, sie ist aber inzwischen nicht mehr durch die Suchmaschine Google zu finden. An den meisten Schulen ist die Seite kein Thema mehr. Auch wenn sich immer noch vereinzelt Einträge finden.

Denn nicht nur am Humboldt-Gymnasium in Reinickendorf hatten sich Schüler Strategien gegen das Internetportal überlegt, auf dem vollkommen unerkannt über andere Klassenkameraden gelästert werden kann. So stellten sie unzählige, harmlose Inhalte – etwa Wikipedia-Beiträge – auf die Seite und verdrängten damit Schmähungen. Andere wiederum boten Infos über die Seite und die Folgen dieser Beleidigungen.

Es sei ruhig geworden um das Portal, konstatiert auch der Direktor des Humboldt-Gymnasiums, Bernd Kokavecz. Trotz der ersten Aufregung dürfe man die Plattform nicht überbewerten. Die Schüler hätten erkannt, dass die Einträge „einfach blöde“ seien. Dennoch sei Prävention für den Umgang mit Inhalten im Internet weiterhin wichtig. Irgendwann werde es ein neues Phänomen geben, an dem sich die nächsten Schüler beteiligen.

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