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Ein sechsjähriges Mädchen, das an Knochenkrebs erkrankt ist und sein Bein verlieren soll; ein Vater, der davor lieber eine zweite oder dritte Medizinermeinung einholen will; Ärzte, die glauben, dass ihrer kleinen Patientin die Zeit davonrennt: Dieses Drama ereignet sich im Moment an der Charité.

© dpa

Eltern lehnen Beinamputation ab: Drama um krebskrankes Kind an der Charité

Die Charité will einer Sechsjährigen ein Bein amputieren, denn die Mediziner halten die Operation für notwendig, um das Leben des Mädchens zu retten. Doch die Familie ist gegen den Eingriff.

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Ein sechsjähriges Mädchen, das an Knochenkrebs erkrankt ist und sein Bein verlieren soll; ein Vater, der davor lieber eine zweite oder dritte Medizinermeinung einholen will; Ärzte, die glauben, dass ihrer kleinen Patientin die Zeit davonrennt; ein Jugendamt, das die Eltern zum Handeln zwingen will – es ist eine traurige Geschichte, mit der sich am Montag sogar der türkische Generalkonsul und Berlins Gesundheitsstaatssekretärin Emine Demirbüken-Wegner (CDU) befassten. Letztere sprach hinterher von einem großen „interkulturellen Missverständnis“, das aber jetzt überwunden sei. Zuvor hatte sie mit dem Generalkonsul und einem Beauftragten des Jugendamts zwischen Selim Adanur und den Ärzten im Virchow-Klinikum der Charité zu vermitteln versucht. Denn Adanur verweigerte bislang die Zustimmung, seiner Tochter Adina (Name des Kindes geändert) das Bein amputieren zu lassen. Türkische Zeitungen hatten über den Fall berichtet. Die Sechsjährige war nach Aussagen von Freunden der Familie Anfang des Jahres an Knochenkrebs im Bein erkrankt, an einem Osteosarkom, das als besonders bösartig gilt. Das Mädchen bekam über längere Zeit Chemotherapie, ein Arzt hatte die Eltern auch frühzeitig darauf hingewiesen, dass es besser sei, den Unterschenkel, in dem sich der Tumor befand, zu amputieren, weil Knochenkrebs Metastasen streuen kann. Der Vater, Kreuzberger mit türkischem Pass, hatte das Kind nach Aussagen der Familie bei einem Türkeiurlaub einem Onkologen vorgestellt. Der habe eine Amputation nicht für nötig gehalten und geraten, die Chemotherapie fortzusetzen. Das geschah auch, doch die von den Ärzten immer wieder ins Spiel gebrachte Amputation lehnte der Vater weiter ab – und verlangte die Meinung eines unabhängigen Arztes. Plötzlich habe die Charité das Jugendamt eingeschaltet, hieß es aus Kreisen der Familie. Man habe ihnen eine sogenannte Inobhutnahme von Adina angedroht, falls sie versuchen sollten, das Kind ohne Zustimmung aus der Klinik zu nehmen und ihnen gleichzeitig unterstellt, das Kind in die Türkei bringen zu wollen, um die Amputation zu verhindern.

Die Klinikleitung schaltete einen Imam ein

Tatsächlich gibt es ein entsprechendes Schreiben des zuständigen Jugendamts von Friedrichshain-Kreuzberg. „Wir mussten nach allen Informationen, die wir hatten, davon ausgehen, dass das Leben des Kindes gefährdet ist, wenn es nicht weiter in Berlin behandelt werden kann“, sagte die zuständige Jugendstadträtin Monika Herrmann (Grüne). Ein solcher Fall sei außerordentlich tragisch und sehr selten. Die Jugendämter und Familiengerichte würden nur dann eingeschaltet, wenn sich Eltern und Ärzte nicht einigen könnten. So würden manchmal Mitglieder der Zeugen Jehovas lebensnotwendige Bluttransfusionen ablehnen. Im Fall der kleine Adina findet die grüne Stadträtin die Forderung des Vaters nach einem zweiten Gutachten absolut gerechtfertigt. „Das würde ich auch tun, wenn es um mein Kind ginge“, sagt sie. „Nur es muss jetzt bald geschehen.“ Nach einem anderthalbstündigen Gespräch mit dem kommissarischen Direktor der Klinik für Kinderonkologie auf dem Virchow-Campus der Charité in Wedding, Karlheinz Seeger, einigten sich die Eltern mit der Klinik am Montag auf einen Kompromiss. Danach soll der Vater am heutigen Dienstag drei Ärzte benennen, die für ein weiteres Gutachten in Frage kommen. Auch ein Arzt in der Türkei ist eine Option. Falls das Kind in die Türkei gebracht wird, will der türkische Generalkonsul in Berlin, Ahmet Basar Cen, sich persönlich darum kümmern. „Die Familie soll frei sein in ihrer Entscheidung“, sagte Cen dem Tagesspiegel. „Es sind türkische Staatsbürger. Die Türkei ist ihre Heimat.“ Die Mutter des Mädchens wirkt sehr zerbrechlich, ihr Händedruck ist kaum spürbar, der Vater spricht leise auf Türkisch und wägt seine Worte bedächtig. Er bedankt sich für die Anteilnahme und die Hilfe durch den Generalkonsul und die Staatssekretärin. Wer das zweite Gutachten zur Therapie seiner Tochter abgeben soll, darüber möchte er sich noch beraten. Klinikdirektor Seeger will sich mit Verweis auf die ärztliche Schweigepflicht nicht zu dem Fall äußern. „Aus Sicht der Charité ist eine Amputation baldigst geboten“, sagt Staatssekretärin Demirbüken-Wegner. Offenbar hatte sich das Verhältnis zwischen der Klinik und den Eltern des Mädchens in den vergangenen Monaten verschlechtert. Weil die Eltern zögerten, schaltete die Klinikleitung einen Imam ein, doch dieser Verständigungsversuch wirkte kontraproduktiv. Offenbar hatten die Eltern das Gefühl, sie sollten durch den Imam eingeschüchtert werden. Schließlich beantragte die Charité die Inobhutnahme des Kindes. Dieser Antrag soll nun zurückgezogen werden.

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