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Berlin: Eltern volltrunken Säugling kam in Obhut

Kindernotdienst musste Weihnachten ausrücken

Die Eltern hatten es Heiligabend fest versprochen: keinen Alkohol mehr, nicht einen Schluck. Doch als die Mutter des zehn Monate alten Mädchens nur einen Tag später ans Telefon ging, war ihr Lallen unüberhörbar. Nun gab es für den Kindernotdienst kein Zögern mehr: Er schickte einen Mitarbeiter in die Marzahner Wohnung und informierte umgehend die Polizei. Vater und Mutter, das ergab später ein Test, hatten deutlich über zwei Promille im Blut.

Der Säugling lebt nun seit Montag in dem Kreuzberger Haus des Kindernotdienstes. Es geht hier verhältnismäßig ruhig zu, am zweiten Weihnachtsfeiertag. Zwei kleine Kinder haben die Sozialarbeiter Heiligabend wieder zu ihren Eltern entlassen – mit strengen Auflagen und ständigen Kontrollen. Nur drei Betten sind derzeit im gesamten Haus belegt. „Im Oktober und November hatten wir oft bis zu zwölf Kinder hier, darunter sehr viele Kleinkinder“, sagt Uwe Bock-Leskien vom Notdienst (Telefon 61 00 61). Ein dreijähriges Mädchen ist Freitagnachmittag dazugekommen, nachdem die Polizei die Sozialarbeiter informiert hatte. Seine Mutter war Passanten aufgefallen, als sie mit ihrer kleinen Tochter sturzbetrunken in Neukölln unterwegs war.

Uwe Bock-Leskien blättert durch die Statistik: Acht Kinder hat der Notdienst während der „eher ruhigen“ Weihnachtstage in Obhut genommen, außerdem haben die Mitarbeiter sechzehn Hilfe suchende Väter oder Mütter beraten. „In den meisten Fällen ging es um Sorgerechtsauseinandersetzungen“, sagt Uwe Bock-Leskien. Denn gerade zur Weihnachtszeit würde vielen Eltern eine gerade zurückliegende Trennung oder Scheidung besonders bitter aufstoßen.

Eltern, die ihre Babys vernachlässigen, Eltern, die ihre Kinder misshandeln – das gehört beim Notdienst zum Alltag. Die Sozialarbeiter nehmen hier jedes Jahr rund 800 Kinder in Obhut und führen etwa 2000 Beratungsgespräche. Ähnliche Zahlen erwartet Bock-Leskien auch für 2006. „Im Moment stehen wir bei genau 1911 Gesprächen.“ Die Öffentlichkeit erfährt meist nur etwas von den schlimmsten Fällen, zum Beispiel Mitte Dezember, als ein neunjähriger Junge und seine 14-jährige Schwester von der Polizei eher zufällig in einer völlig verwahrlosten Lichtenberger Wohnung entdeckt wurden. In den vier Zimmern stolperten die Beamten über zahlreiche Kaninchen, mehrere Katzen, ein Aquarium und eine Voliere. Tierkot und Katzenstreu waren überall in der übel riechenden Wohnung verteilt. Auch diese beiden Kinder kamen zunächst zum Notdienst nach Kreuzberg.

Eines hat den Mitarbeitern die Arbeit in den vergangenen Jahren erleichtert, sagt Bock-Leskien. „Es melden sich jetzt öfter Nachbarn oder Passanten, denen etwas aufgefallen ist.“ Und so erhalten die Helfer oft „wichtige Hinweise“ über Familien, bei denen etwas im Argen liege. Die Leute vom Notruf sind auf diese Anrufe angewiesen, weil die Behörden und Familienhelfer in Deutschland erst eingreifen dürfen, wenn es Anzeichen für eine Vernachlässigung gibt. „Da kann dann auch mal eine Falschmeldung dabei sein“, sagt Bock-Leskien.

Falscher Alarm ist in dem Kreuzberger Haus eben eher ein Grund zur Freude. Wie beispielsweise bei dem 13-jährigen Mädchen, das am ersten Weihnachtsfeiertag in Kreuzberg vor der Tür stand. Weil es sich nicht nach Hause traute, weil es Furcht vor seinen Eltern hatte und Angst vor schlimmen Strafen. Als dann die Eltern des Mädchens beim Notdienst eintrafen, wurde Uwe Bock-Leskien schnell klar: „Das war alles gar nicht so schlimm.“ Die Familie konnte noch am selben Abend wieder vereint ins Weihnachtsfest entlassen werden.

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