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Konsequent bleiben ist schwer. Wenn man einmal nachgibt, prägt man ein Verhaltensmuster – darin sind sich die Eltern einig. Nur: Wie macht man das?

© highwaystarz - Fotolia

Eltern-Workshop in Marzahn: Heut’ gibt’s keine Schokolade

Mit Kleinkindern reden? Das scheint manchmal kaum möglich. Wie eine Pädagogin und drei Impro-Schauspieler Eltern dabei helfen, das zu ändern.

„Schokolaaaaaade, Papa!“ Das kleine Mädchen brüllt den Supermarkt zusammen. Der Vater wirkt hilflos. Er hatte angekündigt, Lucia heute keine Süßigkeiten zu kaufen. Eine ganz normale Szene, die man oft in einem beliebigen Supermarkt verfolgen kann. Nur findet sie dieses Mal auf einer Bühne vor einem weinroten Vorhang im Freizeitforum Marzahn statt. Und das kleine Mädchen ist in Wirklichkeit eine blonde, schwarz gekleidete Frau, etwa genauso alt wie der Mann, der den Vater darstellt.

Die beiden sind Schauspieler des Improvisationstheaters „Die Gorillas“. Und das Publikum besteht nicht aus zufälligen Augenzeugen der unangenehmen Eltern-Kind-Alltagsszene – sondern aus Müttern und Vätern, die an diesem Nachmittag ins Freizeitforum gekommen sind, um sich damit zu beschäftigen, wie sie die Kommunikation mit ihren Kleinkindern verbessern können. Die kurzen Szenen, die die Schauspieler vorspielen, hat jede Familie so oder ähnlich schon erlebt. Und die Fehler, die die Eltern im Umgang mit ihren Kindern machen, sind offensichtlich.

Da wird in einer anderen Szene deutlich: Oscar wird unter Zeitdruck von beiden Eltern aus der Kita abgeholt. Schließlich müssen sie jetzt schnell zum Bürgeramt, haben drei Monate auf den Termin gewartet. Seine Bastelarbeit darf der Junge nicht beenden, er wird in seine Jacke gezwängt und mit nach draußen gezogen. Dort fangen beide Eltern an, im Handy nach dem Weg zum Bürgeramt zu recherchieren, während der Junge fast auf die Straße läuft.

Eine Frau schlägt den Schauspielern einen Deal vor

Nach jeder kurzen Szene wird das Publikum in zwei Gruppen aufgeteilt und die Schauspieler gehen auf die Zuschauerränge. Hier lassen sie sich Tipps geben, wie sie die Rolle der Mutter oder des Vaters besser spielen könnten. Und das – überwiegend weibliche – Publikum hat jede Menge Verbesserungsvorschläge. „Das Kind hat auch was vor. Das sollten Sie respektieren“, sagt eine Frau vorwurfsvoll. Eine andere schlägt einen Deal vor: „Lassen Sie das Kind zu Ende basteln, wenn es dann beim Anziehen gut mitmacht.“ Eine dritte Frau ist sich nicht sicher, ob ihr Vorschlag pädagogisch gut sei: Man könne das Kind doch mit einem Eis ködern, das es nach dem Termin beim Bürgeramt bekommt.

Dann gehen die Schauspieler wieder auf die Bühne. Ohne sich vorher miteinander abzusprechen, spielen sie die gleiche Szene noch einmal, aber jetzt mit den Tipps, die die Zuschauer ihnen gegeben haben. Der Sohn wird wieder von der Kita abgeholt. Jetzt sprechen sich die Eltern vorher ab. Sie strahlen Ruhe aus statt Hektik. Sie lassen sich von der Erzieherin helfen. Und erklären dem Kind, was sie tun und warum.

„So ein Theater! Bühne Familie“ heißt die Veranstaltungsreihe des Interinstitutionellen Projekts zur Stärkung der Erziehungskompetenz, kurz IPSE. Das ist ein lokales Bündnis für Familie im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Mal geht es in den Veranstaltungen um Schreibabys, die Pubertät oder wie es Eltern gelingt, ein Paar zu bleiben. „Wir wollen unterhaltsam die Erziehungskompetenz stärken“, sagt Ove Fischer von der IPSE. Verschiedene freie und öffentliche Träger der Kinder-, Jugend und Familienhilfe im Bezirk Marzahn-Hellersdorf haben sich in der Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen.

Aus ihrer Arbeit in Jugendzentren, in der Familienberatung, in Kindertagesstätten und im Jugendamt bringen die Sozialpädagogen Ideen für die Theaterszenen mit. Umgesetzt werden die Anregungen von der Berliner Impro-Theatergruppe „Die Gorillas“. Forum-Theater nennt sich das Genre, bei dem Schauspieler zu einem Problem eine Szene erarbeiten und die Zuschauer an der Lösung beteiligen. Solche Erziehungsszenen haben die „Gorillas“ auch schon anderen Orten gezeigt, etwa in der FEZ-Elternakademie. Nun spielen sie schon zum 16. Mal in Marzahn in Zusammenarbeit mit der AG IPSE. Einige Marzahner Sozialpädagogen mit vietnamesischen Vorfahren besuchen in diesen Wochen die Improvisationsschule der „Gorillas“, um bald selbst auf der Bühne zu stehen und auf vietnamesisch die Erziehungskompetenz der Zuschauer zu stärken.

Zu Beginn der Veranstaltung gibt die Pädagogin und Logopädin Christina Schulz eine kurze Einführung zum Kommunikationsverhalten von Kleinkindern, sozusagen als Grundlage für die Analyse der Szenen: Schon im Mutterleib ist das Kind Empfänger von Botschaften. Wenige Tage nach der Geburt wird es selbst zum Sender. Es beginnt, zum Beispiel durch Blickkontakt, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Durch Nachahmung lernt das Kind, Sender und Empfänger von Botschaften zu sein.

60 Signalwörter verstehen Kinder mit acht Monaten

Mit acht Monaten verstehen Kinder schon bis zu 60 Signalwörter. Mit zehn Monaten erfinden sie eigene Wörter, und um den ersten Geburtstag herum sagt das Kind erste richtige Wörter. Mit anderthalb Jahren beginnt es, Worte zu verbinden. In dieser Zeit verstehen Kinder Gebote und Verbote, begreifen aber noch nicht den Sinn dahinter.

Mit zweieinhalb Jahren erreicht das Kind einen weiteren Meilenstein: Es erlebt sich in der Kommunikation als eigenständig handelndes Wesen. Es kann Bedürfnisse ausdrücken – aber nicht alles durchsetzen. Das führt zu heftigen Gefühlsausbrüchen. Dem Kind fehlen noch die Worte, aber mit Mimik und Gestik macht es deutlich, was in ihm vorgeht.

So wie in der Spielszene Lucia, die im Supermarkt lautstark Schokolade einfordert. Doch dank der Tipps des Publikums geht im zweiten Anlauf auch diese Szene gut aus. Der Vater bleibt konsequent und gibt ihr keine Süßigkeiten. Die Zuschauer hatten ihn eindringlich davor gewarnt. „Schon ein kleines Ja ist ein Ja für das Kind“, hatte eine Zuschauerin gesagt. Und eine andere Frau hatte gewarnt: „Wenn man einmal nachgibt, prägt man ein Verhaltensmuster“.

Der Vater hat daraus gelernt. Er trägt Lucia auf dem Arm aus dem Supermarkt, statt ihr Schokolade zu kaufen. Die Schauspielerin, die „Lucia“ spielt, ist einen halben Kopf größer als ihr „Vater“ – ein skurriles Bild zum Abschluss. Das Publikum im Freizeitforum Marzahn jubelt und hat an diesem Nachmittag auf unterhaltsame Art gemeinsam erarbeitet, wie Kommunikation mit kleinen Kindern besser gelingen kann.

Dorothee Grüner

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