zum Hauptinhalt

Berlin: Empfang mit offenen Armen

Warum sich so viele lieb hatten am Alexanderplatz

Nur zögerlich wagt sich Manfred Wilke an die Weltzeituhr am Alexanderplatz. Ungläubig blickt er die jungen Leute mit ihren „Free Hugs“-Schildern an und fragt sich, was der Blödsinn soll. Plötzlich fällt ihm Marianna um den Hals und ruft „Free Hugs!“. Damit konnte Wilke nicht viel anfangen, er wusste wie viele andere Passanten auch nicht, dass „Free Hug“ so viel wie kostenlose Umarmung heißt, aber die liebevolle Geste nahm er gerne an. „Das kommt aus Australien, und wir wollen Liebe verbreiten“, erklärt ihm die 22-jährige Brasilianerin, die seit einem knappen Jahr in Deutschland lebt. Und Wilke ist begeistert. Ganz aufregt erklärt er seiner etwas verdutzten Frau, was da los ist. „Davon sollte es mehr geben“, sagt der ältere Mann.

Wahrscheinlich hat er recht. Berlin braucht Liebe, Küsse, Umarmungen. All das haben die rund 30 „Free Hugger“, wie sie sich selbst nennen, verteilt. Den ganzen Tag verbrachten sie am Alexanderplatz, hielten ihre Schilder den Passanten entgegen und feierten sich auch ein bisschen selbst. „Wir wollen den Alltagstrott damit durchbrechen, und die Berliner machen wirklich gut mit“, sagt die Brasilianerin Marianna Polke. Sie ist wie viele der anderen „Free Hugger“ Mitglied der Internetgemeinde hospitalityclub.org. Mehr als 200 000 Menschen sind dort registriert. In Berlin sollen es über 3000 sein.

Aaron Schultz, ein in Berlin lebender Australier, gehört ebenfalls dazu. Und er ist begeistert: „Heute sind sicher einige glücklicher nach Hause gegangen.“ Er hat über den Internetclub zu dieser Aktion am Alex aufgerufen. Damit folgte er der Idee eines Landsmanns. Denn unter dem Pseudonym Juan Mann veröffentlichte im September ein Australier auf der Internetplattform „YouTube“ ein Video, in dem er mit einem „Free Hugs“- Pappschild durch Einkaufszentren marschiert und wildfremde Menschen umarmt. Gegen die soziale Kälte wolle er damit demonstrieren und fand Unterstützer. Das Video wurde millionenfach verschickt und die Idee weitergetragen. Menschen wie Aaron riefen am Sonnabend in sieben europäischen Großstädten zu einer „Free Hugs“-Aktion auf. Ein bundesweiter Aktionstag soll am 16. Dezember folgen.

Auch Jana Brocksom ist Mitglied der Gemeinde. Die 55-jährige Berlinerin kam über das Video zu dieser Bewegung: „An dem Tag, als ich es sah, habe ich erfahren, dass mein Ex-Mann gestorben ist, und da hat mir das Video Trost gespendet.“ Sie findet es richtig, mit ernst gemeinten Umarmungen eine Botschaft zu setzen: „Wir leben doch sonst nur in einer oberflächlichen, falschen Bussy-Bussy- Gesellschaft.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false