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Das „Hotel Bogota“ empfängt diese Woche seine letzten Gäste. Auch Schauspielerin Hanna Schygulla gehörte zu den Gästen.

© Thilo Rückeis

Ende einer Berliner Institution: Eine letzte Nacht im berühmten Hotel Bogota

Das Haus an der Schlüterstraße geht in seine letzte Woche. Zeit, sich zu erinnern an bewegende Geschichten. Zeit, noch einmal hier zu übernachten. Über den Abschied von einem Ort, an dem die Vergangenheit regiert - und in den nun die Zukunft einziehen soll.

"Zimmer 304", sagt der müde Mann an der Rezeption und händigt den Schlüssel aus. „Schönes Zimmer, schlafen Sie gut.“ Knarrende Stufen führen hinauf in den dritten Stock. Im Lichthof tönen gregorianische Gesänge. Die Flure sind schmal, die Teppichböden ausgetreten, die Tapeten marode. Zimmer 304 hat „fließend Wasser“, also ein Waschbecken. Toiletten und Dusche befinden sich auf dem Flur. Dort biegt eben ein älterer Herr im Pyjama um die Ecke, Handtuch und Zahnbürste in der Hand. Man grüßt diskret.

Hotelzimmer sind unheimliche Orte. Wer hat hier schon gelegen, krank vor Liebeskummer? Wer hat sich hier heimlich betrunken? Wer liebte sich verstohlen? Zu zweit, zu dritt? Die Wände haben viel gesehen, doch sie schweigen. Draußen klappen die Türen, die letzten Gäste kehren zurück. Ein unterdrücktes Frauenlachen, ein endloses Telefongespräch drei Zimmer weiter.

Über dem Bett der irre Blick von Lars Eidinger, nebenan das Husten eines unbekannten Nachbarn. Die Wände sind dünn, die Nacht ist lang, und das Husten hört nicht auf. Draußen auf dem Kurfürstendamm fallen die letzten Ahornblätter. Der Novemberregen rauscht. Hier drinnen ist die Zeit irgendwann stehen geblieben, immer noch zwanzig nach drei, immer noch die achtziger Jahre. Immerhin ist das nachbarliche Husten übergegangen in ein angestrengtes Schnarchen.

Das würdige, altehrwürdige Hotel „Bogota“ geht in seine letzte Woche. Deshalb haben auch wir hier noch mal Quartier bezogen. Zum „Gute Nacht!“-Sagen.

1911 als nobles Wohnhaus erbaut

Morgens sitzt der ältere Herr im Frühstücksraum, stippt einen Keks in den Tee und erinnert sich, erzählt und erzählt. „Es ist wie in allen Berliner Häusern: Man kratzt an der Oberfläche und Geschichte kommt zum Vorschein. 1911 als nobles Wohnhaus erbaut. Der Unternehmer Oskar Skaller gab hier rauschende Feste, bei denen Benny Goodman auftrat. Die berühmte Modefotografin Yva hatte hier ihr Atelier. Helmut Newton hat bei ihr gelernt, es war die schönste Zeit seines Lebens.

1942 wurde Yva abgeholt und vermutlich im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Die Nazis richteten im Haus die Reichskulturkammer unter Hans Hinkel ein. Nach Kriegsende dann die Briten: Sie führten die Entnazifizierung auf dem Kultursektor durch. Gründgens, Rühmann oder Furtwängler wurden in den dritten Stock vorgeladen und nach ihrem Verhältnis zum nationalsozialistischen Regime befragt. Filmverleihe. Die Redaktion der Zeitschrift „Der Aufbau“. In den Sechzigern gab es vier verschiedene Pensionen, die nach und nach vom Hotelier Heinz Rehwald aufgekauft und zum Hotel Bogota vereinigt wurden. Er war vor den Nazis nach Kolumbien geflüchtet und hatte in Bogota überlebt.“

Die Zimmermädchen sind traurig

Der Frühstückstisch wird abgeräumt. Ein Russe im Trainingsanzug pellt noch ein Ei. Oben in den Etagen jaulen die Staubsauger. Die polnischen und indischen Zimmermädchen sind „sehr, sehr traurig, müssen einen neuen Job suchen“. Draußen auf der Schlüterstraße, Ecke Ku’damm geht das Leben weiter.

Hier aber, in der holzgetäfelten Lobby mit roten Ledersofas und grünen Sesseln, neben Telefonzelle samt Bakelit-Telefon, schüttelt der Inhaber Joachim Rissmann den Kopf. „Alle haben gedacht: Das Bogota wird nicht schließen. Jetzt ist es endgültig.“ Und er kann es nicht fassen. Vor sieben Jahren hat er das Hotel von seinem Vater übernommen. Sein Leben hat er hier verbracht, nun muss er raus, seine Ehe ist darüber zerbrochen, sein Lebenswerk ist verloren. „Es war ein furchtbares Jahr“, sagt er.

Erinnerungen. An den Dauergast, der stets für drei Monate blieb. An die Dame, die jede Nacht in einem anderen Zimmer verbrachte. An die Gäste, die als Herren kamen und als Damen hinausgingen ins Berliner Nachtleben. An die Schauspieler, Musiker, Schriftsteller, die den verlotterten Luxus und den schlampigen Charme liebten. Vorbei, vorbei.

Nun soll das Haus zum ersten Mal in seiner Geschichte grundlegend renoviert werden, der Besitzer Thomas Bscher will sieben Millionen Euro dafür aufwenden. Und dann kommen Büros hinein, Meetingräume, Kanzleien. Ob dann noch irgendetwas an das alte Hotel erinnert? Vielleicht aber biegt auch künftig kurz vor Mitternacht ein älterer Herr im Pyjama um die Ecke, Handtuch und Zahnbürste in der Hand, ein ruheloser Geist des Hauses. Man grüße ihn diskret.

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