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Kurt Demmler

© ddp

Ende eines DDR-Stars: Liedermacher Kurt Demmler erhängt sich im Gefängnis

Schock am zweiten Verhandlungstag: Kurt Demmler ist tot. Der 65-jährige Musiker soll sechs Mädchen sexuell missbraucht haben. Nun beging er Selbstmord in seiner Zelle.

Es war gegen 6.20 Uhr, als ein Bediensteter der Justizvollzugsanstalt Moabit bei der Morgenkontrolle den toten Kurt Demmler entdeckte. Der vor allem in der DDR bekannte Liedermacher hatte sich offenbar mit seinem Gürtel am Fenster seiner Einzelzelle erhängt. "Bislang deutet alles auf einen Suizid hin", sagte Justizsprecher Daniel Abbou. Ein Abschiedsbrief sei bislang nicht gefunden worden. Der 65-Jährige saß seit August 2008 in Untersuchungshaft. Der Staatsanwalt warf Demmler Missbrauch von sechs Mädchen vor.

Vor dem Saal 806 im Moabiter Kriminalgericht herrschte am Dienstag Fassungslosigkeit. Ursprünglich sollte hier gestern der Prozess gegen Demmler fortgesetzt und mit der Vernehmung der mutmaßlichen Opfer begonnen werden. "Ich bin schockiert", sagte Demmlers Anwältin Nicole Bédé. Sie hatte ihren Mandanten noch am Vortag besucht. Nichts habe auf den dramatischen Schritt hingedeutet. Die 15. Große Strafkammer trat dann trotz des überraschenden Todes zusammen. Doch das Gericht wird über Demmler kein Urteil mehr fällen: "Mit dem Tod des Angeklagten ist ein Verfahrenshindernis eingetreten, welches zur Folge hat, dass das Gericht das Verfahren einstellen muss", hieß es im Beschluss.

Damit hat das Leben des DDR-Stars ein tragisches Ende genommen. Für den Liedermacher hatte sich in jungen Jahren seine Leidenschaft zur Musik ausgezahlt: "Der Mann war so gut und so schnell im Texten von Liedern, dass ihm die Sänger und Komponisten förmlich die Bude eingerannt haben", sagt ein Bandleader. Die Gruppen Karat, die Puhdys, die Klaus-Renft-Combo, Petra Zieger, Veronika Fischer spielten und sangen Demmlers Texte.

Es wurde still um Demmler

Im September 1943 in Posen geboren, wollte der Sohn einer Arztfamilie zunächst selbst Mediziner werden und studierte an der Leipziger Karl-Marx-Universität. Bis 1976 arbeitete er als Arzt, aber das "Hobby", den besten DDR-Interpreten und -Gruppen Texte zu schreiben, war stärker und wurde zum Hauptberuf. Aus Demmlers Feder stammen über 10 000 Texte, an guten Tagen soll er drei hintereinander geschafft haben. Auch Ohrwürmer waren dabei: Nina Hagen machte ungewollt für das "söte Länneken", das süße Ländchen Hiddensee, Reklame, als sie mit dem Hit "Du hast den Farbfilm vergessen" durch die Lande zog. Der Song entstand 1974.

Mit politischen Liedern ("Ho Chi Minh") glänzte er im Berliner Oktoberklub, mit seinen eigenen Platten, zum Beispiel den "Liedern des Kleinen Prinzen", schrieb er DDR-Musikgeschichte und erhielt 1985 den Nationalpreis. Dennoch erhielt er Auftrittsverbote, unterzeichnete die Protestresolution gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann und sang bei der Alex-Demo am 4. November 1989 seinen Anti-Stasi-Song "Irgendeiner ist immer dabei".

Nach der Wende ließen die Erfolge nach. 2001 erschien die letzte CD "Mein Herz muss barfuß gehen". Dann wurde es still um Demmler - bis er im August 2008 verhaftet wurde. Die Staatsanwaltschaft hatte dem zweifachen Familienvater sexuellen Missbrauch von sechs Kindern im Alter zwischen zehn und 14 Jahren zur Last gelegt. Die Opfer seien Mädchen gewesen, die zunächst zu Castings für eine Band kamen. Insgesamt 212 Übergriffe listete die Anklage auf. Am ersten Prozesstag vor zwei Wochen hatte Demmler geschwiegen.

Jetzt gibt es keinen Abschluss für die Opfer

Dass Demmler seine Verzweiflung nicht nach außen getragen hat, beweist auch der Bericht seiner Gruppenbetreuerin: Dort heißt es unter anderem, dass Demmler keinen depressiven Eindruck gemacht habe. Das letzte Gespräch fand einen Tag vor seinem Tod statt. "Seine Hauptsorge war die angeblich vom Verteidiger geäußerte Meinung, dass er im künftigen Strafvollzug keinen Computer benutzen dürfe", heißt es. Demmler habe lebhaft geschildert, dass er ohne Computer "nicht mehr künstlerisch kreativ sein könne". Zudem habe er erzählt, dass er ein Buch über seine Inhaftierung plane.

Nach den Worten von Justizsprecher Abbou ist nicht jeder Suizid im Gefängnis zu verhindern. "Selbst, wenn Herrn Demmler der Gürtel abgenommen worden wäre." Allerdings habe die Anstalt ein Prophylaxe-System entwickelt, um möglichen Suiziden entgegenzuwirken (siehe hier).

Die Verhandlung im Kriminalgericht war nach wenigen Minuten beendet. Vier von Demmlers mutmaßlichen Opfern sollten aussagen, darunter eine 23-Jährige. "Meine Mandantin war schockiert, als sie von dem Suizid hörte", sagte deren Anwältin. "Das Problem wird für sie sein, das Erlebte aufzuarbeiten, ohne dass es einen gerichtlichen Abschluss gibt."

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