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Berlin: Ende offen

25 Jahre im Grips-Theater: die „Linke Geschichte“. Der Schluss änderte sich häufig

Irgendwie befremdlich, diese Lustigkeit. Könnte es sein, dass das Grips-Theater mit seinem sicheren Gespür für Aktualität am Freitagabend ein Jubiläum gefeiert hat, das auf gewisse Weise auch ein Ende darstellt? 25 Jahre gibt es jetzt die „Linke Geschichte“, die längst zum Klassiker geworden ist – und genau zu diesem Zeitpunkt zerfällt draußen die rot-grüne Bundesregierung, die die logische politische Konsequenz eben dieser linken Geschichte zu sein schien.

Doch das beschädigt die aktuelle Bühnenfassung zunächst nicht. Das Stück, das Volker Ludwig und Detlef Michel 1980 zum ersten Mal auf die Bühne gestellt haben, wird funktionieren, solange es Zuschauer gibt, die selbst dabei waren beim Papstbesuch und der Schlacht am Tegeler Weg, die selbst in Wohngemeinschaften über dreckige Kaffeetassen und morsche Beziehungskisten gestritten haben, die den Pariser Mai von 68 und die spätere Zersplitterung der Linken in neurotische Sekten miterlebt haben. Die drei aus der Gründerzeit, der intellektuelle Theoretiker Johannes (derzeit: Jens Mondalski), der Bauchmensch Lutz (Frank Engelhardt) und Karin, die den aufrechten Gutmenschen verkörpert, werden auf ihrem Lebensweg verfolgt. Sie dürfen auf dem Marsch durch die Institutionen typische Karrieren absolvieren – und sie treffen in einer letzten, von den Autoren häufig neu geschriebenen Schlussszene aufeinander und ziehen Bilanz. Unterbrochen wird diese Geschichte durch ein paar Kabarettnummern des Reichskabaretts, das die ersten Jahre der linken Bewegung ironisch-intellektuell abfederte. Sie wirken ein wenig verstaubt, zum einen, weil diese Art des Kabaretts mit Gesangsnummern zum Klavier längst vergessen ist, zum anderen, weil viele der Anspielungen in den Texten auch für Zeitzeugen kaum noch verständlich sind. Andererseits bieten sie Platz für ein paar Glanznummern alter Grips-Kräfte wie Dietrich Lehmann oder Thomas Ahrens, der vermutlich als letzter Schauspieler in der Lage sein wird, uns vorzuführen, wie es aussieht, wenn der Proletarier gebeugt nach Hause kommt: „Frau!“

Die bislang letzte Fassung der Szene stammt aus dem Jahr 2004. Johannes feiert seinen 60. Geburtstag im Haus in der Uckermark, er sieht ströbelehaft aus, lehrt Kommunikationswissenschaft und hat einen Bestseller mit Sinnsprüchen aus mehreren Jahrhunderten verfasst. Seine Frau und Agentin Doreen, die die Gäste mit ihrer Ost-Direktheit irritiert, ist schwanger. Lutz, inzwischen TV-Produzent, kommt zum Interview, und Karin, irgendwas Höheres bei den Grünen, organisiert das Buffet. Am Ende taucht ein reicher Chinese auf, den Johannes mal auf Dienstreise für die maoistische KPD/AO in Peking kennen gelernt hat...

Doch dies ist eine frisch aktualisierte Fassung, der Schock von Nordrhein-Westfalen steckt allen in den Knochen, und es zeigt sich, dass die Autoren, allen ironischen Wendungen und Distanzierungen zum Trotz, ein gusseisern umfriedetes Weltbild haben: Die CDU bleibt der Hauptfeind. Es wäre ja immerhin denkbar, dass einer der Protagonisten der linken Selbstgewissheit abschwört und damit neue Dynamik ins Selbstmitleid der saturierten Uckermärker bringt, doch diese Ironie der Geschichte erspart das Buch seinen Helden. Sie trösten sich mit gutem Wein über den Depri hinweg. Irgendwie wird die linke Geschichte schon weiter gehen.

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