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Berlin: Endspurt

„Billig, billig!", ruft der Andenkenhändler am Potsdamer Platz.

„Billig, billig!", ruft der Andenkenhändler am Potsdamer Platz. Heute hat er Sowjetsterne und Mauerstückchen zu Hause gelassen und sitzt stattdessen vor einem Haufen silberner Raver-Pfeifen an gelben Bändern. Auch vor der Humboldt-Universität hält eine türkische Frau mit Kopftuch die baumelnden Dinger in der Hand. Aber kein „billig, billig" ist zu hören: Sie ruft nicht, sie winkt nicht, sie wirkt etwas schüchtern: Ob sie schon einmal probegepfiffen hat? Die Stimmung kommt langsam in die Stadt, bevor die Love Parade beginnt. Im „Tresor" werden Fässer ausgeladen und Getränkestände aufgebaut. Irgendwie ist es so ein bisschen wie Kirmes. Am Potsdamer Platz wirbt ein Imbiss mit Bier für einen Euro.

Aber die Partys am Freitagabend waren hart. Bei der „Lovegames"-Feier im Tränenpalast haben die Organisatoren ihren Hauptstar DJ Rush für acht Uhr früh geplant: Wer den Höhepunkt erleben will, muss eben durchhalten. In der Morgensonne blinken mehr Red-Bull-Dosen als Bierflaschen auf den Verandatischen. Durchgehalten haben Thomas, Franzi, Becci und Tine. Sie sitzen daneben. Thomas und Franzi aus Berlin, Becci und Tine aus Frankfurt. Die Musik sei zwar gut, aber die Preise seien gestiegen. Deshalb sei die Feier, Eintritt 23 Euro, nicht so gut besucht gewesen. Und diesmal habe er etwas sehr Komisches gesehen - ein Armband zum Wieder-Reingehen für Leute, die zwischendurch mal raus wollen, Kosten: Zwei Euro fünfzig extra. Das gab es nie: Üblich ist, dass jeder kostenlos raus und wieder rein kann.

Thomas sagt, mit Techno und der Love Parade ließe sich die Welt leichter ändern als mit Politik. Und doch stört ihn der zunehmende Kommerz: „Ich kann es mir zwar leisten, zu einer Dreißig-Euro-Party zu gehen", sagt er. „Aber ich möchte nicht mit Leuten tanzen, die dieses Geld einfach mal so ausgeben". Das sei das Problem, teure Partys seien ihm unangenehm. Becci und Tine haben das Ticket in einem Frankfurter Plattenladen gewonnen. Die Musik läuft weiter, doch jetzt werden sie bei Thomas endlich duschen gehen, vor der richtigen Parade im Tiergarten.

Die andere Party vom Vorabend wird am Tag der Love Parade nicht aufhören: Auch vor dem Café „Schönbrunn" an der Fontäne im Friedrichshainer Volkspark drehen sich am Samstagmorgen noch die Plattenteller, auf der Party des Radiosenders „Fritz". Sie sollen sich sogar bis Montag weiterdrehen - eine Endlosparty. Dementsprechend sitzen in den im Freien aufgestellten Couchgarnituren Leute, die nicht so aussehen, als ob sie vor Montag hier weggehen wollen. Auch wenn sie schon müde von der letzten Nacht sind und Augenringe haben. Michael aus Zürich erzählt etwas amüsiert von dem Rentner, der mit seinem Hund den Weg entlangkam, die Raver sah und wieder umkehrte.

Überall in der Stadt ist Musik. Bei den polnischen Ravern, die sich mit ihren Autos auf dem Parkplatz Unter den Linden treffen. Bei der Kiezinitiative, die schon am Freitag auf dem Helmholtzplatz im Prenzlauer Berg zwei Plattenspieler aufstellte. Und bei den Leuten vom „Metronom"-Club, die auf der Friedrichstraße durch die Touristen tanzen.

Gut vorbereitet ist die „Love Station", die kahle Station „Kanzleramt" der noch lange nicht fertiggestellten U-Bahnlinie 5. Dort, wo am Abend der Love Parade eine riesige Feier im Untergrund steigen soll - Preis: 25 Euro -, sitzen sich zwei Security-Männer in zwei Sesseln gegenüber und machen Witze. Dann zeigen sie auf die Lichtorgeln, auf eine Projektionsleinwand, ein DJ-Pult und die Klos - alles ist schon aufgebaut.

Ob so viel Vorbereitung wirklich gut ist? Vier Franzosen mit einem Minibus mögen es an der Spree spontan: Außer dem Autoradio brauchen die tanzenden vier nichts weiter zum Glücklichsein. Christian Domnitz

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