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Energie-Volksentscheid: Wie Bürger für die Energiewende kämpfen

Nicht nur in Berlin wird derzeit um die Energieversorgung der Zukunft gestritten. Bundesweit bringen Bürger Markt und Politik gehörig in Schwung. Über einen Trend zur Rückeroberung.

Rode wetzt wieder. Auf nimmermüden Beinen jagt er durchs Erdgeschoss des Berliner Hauses der Demokratie, denn es gilt wie fast immer in den vergangenen Monaten, ein paar Dinge gleichzeitig zu tun. Gerade hat die Polizei angerufen, irgendwo in Charlottenburg sei eines seiner Großplakate vom Sturm umgeschmissen worden und habe ein Auto beschädigt. Rode solle sich bitte kümmern.

Er rennt, und hastet durch Telefongespräche, und simultan erledigt er das, weswegen er an diesem Oktoberabend eigentlich hergekommen ist. Gemeinsam mit acht anderen Anwesenden bastelt er ein Kundgebungsutensil, ein zwei Meter mal 1,70 Meter großes Stück Presspappe, aus dem nach getaner Arbeit ein überdimensionaler, stilisierter Abstimmungszettel geworden sein soll, gedacht für eine Versammlung vor dem Berliner Rathaus drei Tage später.

Welches Werkzeug brauchen wir? „Wir brauchen den Beamer“, sagt Rode, „wo ist der Beamer?“ Der Beamer findet sich, er wirft die Umrisse des Abstimmungszettels auf die Pappe, drei Frauen bemalen sie. Rode rennt zum nächsten Spätverkauf und holt Getränke.

Gewinne sollen bei den Berlinern bleiben

Jens-Martin Rode, 40, ruhelos durch jahrelange Prägung in verschiedenen Bürgerbewegungen, möchte Berlins Energieversorgung zurück in städtische Hände gelangen sehen. Er will sie unter demokratischer Kontrolle wissen. Rode ist einer der Eifrigsten beim Bürgerinitiativen-Bündnis „Berliner Energietisch“, das seit zwei Jahren an diesem Ziel arbeitet.

Von Attac kommend hat er dem Tisch mit auf die Beine geholfen. Und weil Attac eine globalisierungskritische Organisation ist, ist auch einer der Gründe, warum Rode beim Energiebündnis mitmacht, entsprechend folgerichtig: Er möchte, dass die Gewinne, die man mit dem Berliner Stromnetz machen kann, bei den Berlinern bleiben. Sie sollen künftig nicht mehr auf den Konten des Tochterunternehmens eines schwedischen Konzerns landen.

Das Bündnis hat viel Erfolg gehabt in dieser Zeit, und es hat viel Widerstand von oben gegeben. Am Ende, am kommenden Sonntag, wenn Berlins Wahlberechtigte über die „Energietisch“-Forderung abstimmen werden, wird sein wesentlichster Sieg darin bestehen, dass es überhaupt so weit gekommen ist – und dass auf dem Weg dorthin ein Sittenbild der hiesigen Regierungspolitik entstand.

Er zittert vor Anstrengung - und Empörung

Dafür muss man zurückkehren an einen Sommersonntag in Berlin. Die Waffe, mit der Jens-Martin Rode die Demokratie diesmal verteidigt, ist eine Stichsäge der Marke AEG. Er schiebt sie durch ein zitterndes Etwas, wieder ein Kundgebungsutensil, wieder ein Stück Presspappe, und weil seine eigenen Hände damit genug zu tun haben, dirigiert er die seiner drei Helferinnen mit Worten. „Halt mal da den Rand fest, bitte.“

Er sagt, dass man ja schon ein gutes Stück vorangekommen sei mit der Arbeit und von nun an besonders überlegt vorgehen müsse. Schritt für Schritt, damit am Ende bloß nicht zu viel abgesägt ist. „Wir haben nur die eine Pappe“, sagt er. „Jetzt dürfen wir uns selbst nicht auch noch’n Strick dreh’n.“ Andere versuchen genau das zu diesem Zeitpunkt.

Deshalb basteln Rode und seine Helferinnen an diesem verhangenen Sommertag im Hof, deshalb zittert die Presspappe und Rode gelegentlich auch, vor Anstrengung. Ein wenig auch vor Empörung.

Im ganzen Land laufen derzeit Konzessionsverträge aus

Sollte das, was in den letzten sechs Jahren 200 Kommunen fertigbrachten, in Berlin unmöglich sein? Sollte ausgerechnet hier, wo der Frontverlauf zwischen den vielen vermeintlich guten Bürgern und einem vermeintlich bösen Energiekonzern so schön übersichtlich erscheint, alles beim Alten bleiben? Weil den Oberen der Wille der Unteren egal ist?

Der Berliner Senat ist in jenen Tagen zu keiner klaren Haltung fähig. Im zwei Jahre zuvor formulierten Koalitionsvertrag von SPD und CDU steht ein vages, zustimmendes Ja zur Energieversorgung unter öffentlichem Einfluss, mittlerweile jedoch steht sein Handeln für ein vages Nein. Berlin, sagt Rode, verschläft den derzeit von Fachleuten flächendeckend beobachteten und oft als segensreich beschriebenen „Trend zur Rekommunalisierung der Energieversorgung“.

Die „Rekommunalisierung der Energieversorgung“ ist ein Wortmonster, das beim Deutschen Städtetag oder dem Deutschen Institut für Urbanistik längst Teil der Alltagssprache geworden ist. Die Wirtschaftsprüfungsfirma KPMG hat herausgefunden, dass sich ein Drittel der deutschen Städte, Gemeinden und Landkreise mit dem Thema befasst. Die treibende Kraft dabei sind oft die Rathäuser. Es gibt mittlerweile aber auch etliche Beispiele dafür, wo einfache Bürger versuchen, diese Angelegenheit zu befördern.

Aufmerksamkeit schaffende Protestaktionen

Sie bereiten – wie Rode in Berlin – Aufmerksamkeit schaffende Protestaktionen vor. Sie sitzen, wie Manfred Braasch, in Büros von Umweltschutzorganisationen in Hamburg. Sie geißeln, wie Fabian Lohmann in Oldenburg, die ihrer Meinung nach undurchsichtigen Geschäfte des dort ansässigen Energiekonzerns. Und wenn sie trotz aller Arbeit und allen guten Willens gescheitert sind, so wie Volker Cornelsen im nordrhein-westfälischen Warendorf, dann bleibt ihnen wenigstens das gute Gefühl, zumindest einmal etwas versucht zu haben, was sie für richtig hielten.

Im ganzen Land laufen derzeit Konzessionsverträge für Stromnetze aus, die vor 15, 20 Jahren zwischen Kommunen und Energieversorgungsfirmen abgeschlossen worden waren, 14 000 solcher Verträge soll es nach Branchenschätzungen geben, 7800 davon werden bald neu vergeben. Damals neue EU-Richtlinien schrieben vor, den Energiemarkt von staatlichen Einflüssen freier zu machen. Jeder, der wollte und konnte, sollte Zutritt zu diesem Markt erhalten. Viele Kommunen verkauften daraufhin ihre Stadtwerke, weil sie fürchteten, neben der heraufziehenden Konkurrenz auch durch Großkonzerne nicht länger bestehen zu können. Außerdem brachte ein Verkauf Geld in die öffentlichen Haushalte. Vor allem aber galt der Staat als grundsätzlich schlechter Wirtschafter, als nicht in der Lage, Firmen zuverlässig und effizient zu führen. An dieser Einschätzung war wenig falsch.

Ein wachsendes Unbehagen

Mittlerweile weicht diese Sicht auf die Dinge einem wachsenden Unbehagen. Soll derart Wichtiges wie die Strom- und Wärmeversorgung, Wasserwerke, Krankenhäuser in privaten Händen tatsächlich besser aufgehoben sein?

Nein, sagt der Oldenburger Lohmann. Er gehört zu den Chefs einer Energie-Genossenschaft, die das dortige Stromnetz kaufen möchte. Sein Gegner heißt nicht Vattenfall, so wie in Hamburg und Berlin. Er heißt EWE, und diese Firma mag vieles sein, vielleicht sogar undurchsichtig, wie Lohmann sagt. Aber zumindest als Atomkrafthasardeur und Braunkohleverheizer brandmarken lässt sie sich nicht. Sie ist sogar so etwas wie ein Windradpionier, Windräder gelten als ökologisch.

Auf Rodes Wunschzettel steht das auch. Er spricht und stellt Pappteile fertig, die nun bereit zum Anstreichen sind. Zwischendurch beantwortet er die Fragen der Helferinnen. „Ist das nicht ein bisschen schief?“, fragt eine. „Ja, aber macht nüscht. Soll ja nur symbolisch sein.“ Sie fragt weiter, auf einen lacktriefenden Pinsel blickend: „Was macht man jetzt denn damit, zum Saubermachen meine ich? Mischt man den mit Wasser?“ – „Nee, mit Verdünnung. Hab’ ich da.“ Nächste, grundsätzlichere Frage: „Warum genau machen wir das hier eigentlich?“

"Wir standen da wie doof"

Das sind also die Menschen, die Berlins Energieversorgung in den Händen von ihresgleichen sehen wollen. Die eigene Naivität ist zum Beispiel Volker Cornelsen aus Warendorf schon zum Verhängnis geworden. Es fing bei ihm an wie in Hamburg , Berlin und in Oldenburg, wo Konzessionsverträge ausliefen. Cornelsen wollte die Energieversorgung zurück in städtischer Hand sehen. Er und seine 20 Mitstreiter formulierten einen Text für Unterschriftenlisten und fingen an zu sammeln. Sie bekamen genug Unterschriften zusammen. Ein paar Monate später kam Post vom Rathaus.

„Sehr geehrter Herr Cornelsen, hiermit ergeht folgender Bescheid: Das Bürgerbegehren ist nicht zulässig.“ Es folgen fünf Begründungen, am einleuchtendsten ist die erste. „Das Bürgerbegehren wirft zwei verschiedene Fragestellungen auf, die theoretisch unterschiedlich beantwortet werden könnten.“

„Wir standen da wie doof“, sagt Cornelsen heute, eineinhalb Jahre später.

Berlins Verfassung sieht mehrere Befragungsstufen vor

Auch Rode und der „Energietisch“ hatten Unterschriften gesammelt. 271 000 waren im Juni schließlich „für die Zustimmung zum Volksbegehren über die Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung“ zusammengekommen. 228 000 davon waren gültig. 173 000 wären nötig gewesen.

Es war ein schöner Erfolg für die Unterschriftensammler. Doch den Lohn der Mühe sieht Rode an diesem Sommersonntag gefährdet.

Berlins Verfassung sieht für den Fall, dass die Regierung sich nach dem Bürgerwillen richten soll, mehrere Befragungsstufen vor. Nach einer geglückten ersten muss eine zweite – wie die vom „Energietisch“ im Frühsommer souverän erledigte – Unterschriftensammlung erfolgen. Anschließend sollen die wahlberechtigten Bürger an die Urne. Und wenn mindestens 25 Prozent von ihnen, das entspricht 620 000 Menschen, dem Anliegen zustimmen, dann ist damit die letzte Hürde genommen.

Sie hatten mit einem Termin am 22. September gerechnet

Es ist eine hohe Hürde. Rode und seine Gefährten hatten erwartet, dass der Senat sie etwas tiefer legen würde. Sie hatten mit einem Termin am 22. September, am Bundestagswahltag gerechnet, dann, wenn die Mehrheit der Bürger ohnehin in die Wahllokale geht. Von Politikern fühlten sie sich in dieser Annahme bestärkt. Von Berlins Landesverfassung ebenso. Und im Koalitionsvertrag steht ziemlich weit vorn: „Wir laden alle Berlinerinnen und Berliner ein, mit uns die Zukunft der Stadt zu gestalten. Wir wollen ein Berlin, das Maßstäbe bei Bürgernähe setzt.“

Bis drei Tage vor diesem Sommersonntag erst Gerüchte und dann die Gewissheit aufkamen. Der Senat würde auf seiner nächsten Sitzung den 3. November als Termin festlegen.

Weil das nicht unwidersprochen bleiben darf, werden Rode und 30 seiner Mitstreiter zwei Tage später neun Uhr morgens vor das Rote Rathaus gehen. Im Haus werden die Senatoren tagen, und unten neben dem Eingang wird Rode in ein Mikrofon sprechen.

„Keine Angst vor der Meinung des Volkes“

„So, Test, Test, Test“, sagt er, „bin ich laut genug, kann mich jeder verstehen, bitte kurz nicken.“ Ein paar der 30 Umstehenden nicken kurz. Neben Rode steht die zurechtgesägte Pappe. Sie stellt jetzt eine stilisierte, mannshohe Silhouette einer Waage dar. Einer Goldwaage, genauer gesagt, so will es Rode verstanden wissen. Sie soll als Blickfang dienen für die ebenfalls anwesenden Kameraleute der Fernsehsender. Rode und die Mitstreiter rufen: „Wir sind hier, und wir sind laut, weil man uns den Wahltag klaut.“ Fünf Mal und sehr zackig. Anschließend – und das ist der erhoffte Witz an der Sache – werden auf Papp-Sprechblasen geschriebene Politikerzitate auf die Goldwaagen-Silhouette gelegt.

„Keine Angst vor der Meinung des Volkes“, steht auf einer. Auf einer anderen: „Keine Trickserei und Manipulation.“ Verschlagwortete Zusammenfassungen einer vier Jahre zuvor gehaltenen Rede des Innensenators Frank Henkel sind das, als er noch nicht in der Regierung, sondern in der Opposition gewesen war. In einer Parlamentsdebatte ging es damals genau um Rodes Thema, um den Unwillen des damaligen Senats, einen Volksentscheid auf einen Wahltermin zu legen. Henkel geißelte den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, dessen Koalitionspartner er heute ist. „Das politische Kalkül dabei ist doch klar", sagte Henkel damals. „Sie wollen eine möglichst niedrige Wahlbeteiligung, weil Sie die Meinung des Volkes fürchten.“

Rode sagt: „Es heißt ja immer, man soll Worte nicht auf die Goldwaage legen, aber na ja.“ Eine Sprechblase nach der anderen landet in der Pappkonstruktion. Die Kameras filmen. Ein Redner sagt, das alles sei eine „geballte Faust ins Gesicht von über 200 000 Unterzeichnern“. Nebendran steht ein dünner Mensch in einem weiten Bärenkostüm, das geschnitten ist wie ein Kleid, also keine Hosenbeine hat, stattdessen aber große, kreisrunde Augen und eine Hundeschnauze. Der Bär ist Teil dieser Protestmanifestation. Er ist Berlins Wappentier, er soll sinnbildlich für das Volk stehen. Er sieht aus wie ein aufrecht stehender Dackel.

In Hamburg verlor Olaf Scholz knapp, aber aufrecht

Am Nachmittag verschickt der Senat eine Pressemitteilung. „Abstimmungstag für den Volksentscheid über die Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung ist Sonntag, der 3. November 2013. Das hat der Senat heute auf Vorlage des Senators für Inneres und Sport, Frank Henkel, beschlossen.“ Begründet wird dies mit einer „gesetzlich vorgesehenen“, amtlichen „Informationsbroschüre“. Deren „rechtzeitige Bereitstellung“ zum Bundestagswahltermin sei „organisatorisch nicht realisierbar“.

Übersetzt heißt das, dass in Berlin im Sommer so eine Art Druckereinotstand geherrscht haben muss. So etwas hatten sie in Hamburg nicht.

Dort saß damals Manfred Braasch an seinem Schreibtisch. „Ach, die Informationsbroschüre“, sagt er. „Bei uns ist die DIN-A-5-groß, die wird hier vom Landeswahlamt gedruckt. Problemlos.“ Braasch ist Hamburgs Landesgeschäftsführer des Bundes Umwelt und Naturschutz Deutschland und der wichtigste Kopf der Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“, dem dortigen Pendant zum „Berliner Energietisch“. Er konnte aber viel gelassener sein. Denn an mangelnder Bürgerbeteiligung würde sein Vorhaben schon einmal nicht scheitern. Der Hamburger Rekommunalisierungs-Volksentscheid fand am 22. September statt.

Das zeugte von einer vergleichsweise souveränen Art des Umgangs der Hamburger Regierung mit ihren Bürgern. Sie begab sich mit ihnen auf Augenhöhe, obwohl ihr Chef Olaf Scholz klar und deutlich sagte, was er vom Anliegen der „Unser Hamburg“-Leute hielt. Nämlich nichts. Am Ende hatte Scholz knapp, aber aufrecht verloren.

In Berlin sind die Dinge komplizierter

In Berlin sind die Dinge deutlich komplizierter. Die Wirtschaftssenatorin warnt vor einem Kauf des Stromnetzes. Sie warnt auch vor der Gründung einer städtischen Energieversorgungsfirma. Gleichzeitig bewirbt sich die landeseigene Gesellschaft „Berlin Energie“ um die Stromnetzkonzession. Und vor einer Woche beschlossen die Regierungsfraktionen im Abgeordnetenhaus die Gründung eines Stadtwerks – als Tochterfirma der Wasserbetriebe, deren Aufsichtsratsvorsitzende wiederum die Wirtschaftssenatorin ist.

Herr Rode, irritiert Sie das? Laufen die vor Ihnen weg oder auf Sie zu? „Keine Ahnung“, sagt er. Hauptsache, sie laufen. Er selber ist bis jetzt noch immer schneller gewesen.

Der Text ist eine aktualisierte und gekürzte Version eines Artikels, der vergangenen August im Wirtschaftsmagazin „Enorm“ erschien.

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