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Berlin: Engagement auf hohem Niveau

Schauspieler putzen höchstpersönlich auf den Knien den Bühnenboden. Zum Stück gehört diese Szene nicht.

Schauspieler putzen höchstpersönlich auf den Knien den Bühnenboden. Zum Stück gehört diese Szene nicht. Vielmehr ist kurz vor der Vorstellung der kleine See, Teil des Bühnenbilds, über die Ufer geschwappt. Währenddessen betreten die Zuschauer den "Kulturraum", reden ein paar Wort mit den Akteuren, die kaum ein Zeichen von Nervosität zeigen, suchen einen Sitzplatz, warten darauf, eine öffentliche Probe von Samuel Becketts "Endspiel" zu erleben.

Der Ort des Geschehens ist ein ungewöhnlicher: Die Justizvollzugsanstalt Tegel in Berlin, das größte Männergefängnis Deutschlands. Dort wurde am Mittwochabend das "Knastfestival Theater und Gefängnis" eröffnet, das bis zum 13. Mai "Theater, das hinter Gittern entstand", einer breiten Öffentlichkeit vorstellen will.

Es sei wichtig, dass Gefangene bei ihrem eintönigen Leben mit strikten Regeln einen Raum haben, wo sie kreativ sein können, aber auch zeigen müssen, dass sie Durchhaltevermögen haben, sagte Anstaltsleiter Klaus Lange-Lehngut vor der Werkstattaufführung.

"Das beweisen die Schauspieler der Tegeler Theatergruppe "Aufbruch - Kunst Gefängnis Stadt" - die meisten der 16 Protagonisten der "Endspiel"-Inszenierung sind seit der Gründung der Truppe 1997 dabei. Das Aufbruch-Team unter der Leitung von Regisseurs Roland Brus und des bildenden Künstlers Holger Syrbe hat seit 1997 bereits fünf Stücke - unter anderem "Räuber - Tegeler Mischung" und "Tegel - Alexanderplatz" - auf die Knast-Bühne in der Justizvollzugsanstalt gebracht.

"Endspiel", das Stück über den lahmen und blinden Hamm, der seinen Sohn Clov tyrannisiert und ihn - des Lebens überdrüssig - bittet, ihn zu "erledigen", bekommt im Gefängnis einen ganz besonderen Tiefgang. Acht Hamm-und-Clov-Paare begehren in der Tegeler-Inszenierung auf gegen die Ausweglosigkeit ihrer Situation. "Kurz Nachdenken über den Satz, Stille und dann schnell sprechen", gibt Regisseur Brus seinen Schauspielern, die er "Kollegen" nennt, bei der Probe als Tipp mit auf den Weg Richtung Premiere. Zweimal pro Woche wird bei Aufbruch geprobt. An "Endspiel" arbeitet die Truppe seit Anfang April.

Bis zur Premiere am 31. Mai sind wöchentlich vier Proben angesagt, dafür werden die Schauspieler zum Teil von ihrer normalen Arbeit in den Tegeler Werkstätten freigestellt. Nebenbei müssen sie - wie alle Schauspieler der Welt - ihre Rolle studieren. "Alle können halt den Text noch nicht"; sagt ein Mitspieler nach der öffentlichen Probe. Er war bei allen Aufbruch-Inszenierungen dabei. Bevor er nach Tegel kam, hätte er niemals daran gedacht Theater zu spielen, sagt er, wenn er in ein paar Jahren wieder hier herauskomme, wolle er, soviel sei sicher, aber "ehrenamtlich" irgendwo weitermachen. Schließlich habe er hier über die Jahre hinweg ganz schön viel gelernt. Die Bretter, die die Welt bedeuten, haben auch ihn in ihren Bann geschlagen.

Das Knastfestival in Berlin steht unter der Schirmherrschaft von Kulturstaatsminister Michael Naumann (SPD). In seinem Grußwort zur Eröffnung, das ein Ensemblemitglied aus Tegel verlas, lobt der Minister Aufbruch als ein Projekt, das künsterlische Arbeit mit sozialem Engagement verbinde. Von der Art wie hier mit geringen finanziellen Mitteln "kluges, berührendes und ästhetisch anspruchsvolles Theater" gemacht werde, könne manche professionelle Bühne lernen. Die Mitglieder von Aufbruch bewiesen Risikobereitschaft, Mut, Ausdauer und soziale Kompetenz - Eigenschaften, die diesseits und jenseits von Gefängnismauern wichtig seien.

In zwei weiteren Berliner Gefängnissen sind während des Festivals Gastspiele zu sehen. Das Gefangenentheater der JVA Bautzen zeigt "Der Fehler", und inhaftierte Frauen aus Mailand präsentieren das Stück die "Roten Schuhe. Am Freitag und Samstag steht dann die Berliner Volksbühne ganz im Zeichen des Knasttheaters. Die Theatergruppe des Frauengefängnisses Madrid "Teatro Yeses" spielt auf der Hinterbühne "Farcen und andere Perversitäten", einen "typisch spanischen Reigen über Liebe, Tod, Theater und Gefängnis".

Das Gastspiel wurde erst durch eine europäische Ausnahmeregelung möglich. Aus Italien kommen TAM, jugendliche Straftäter, die im halb-offenen Vollzug leben und in einem Theaterprojekt "eigene Seelenbilder" entworfen haben. "Escape Artists", eine Gruppe Ex-Lebenslänglicher aus England, laden zu einer selbstzerstörerischen Reise durch die Unterwelt ein. Regisseure aus Italien, England, Nordirland und Polen, deren Darsteller hinter Gittern bleiben mussten, werden Vorträge halten und packen Videos aus ihrem Gepäck aus."Endspiel" wird am 31. Mai, 2./5./6. und 9. Juni in der Endfassung in der JVA Tegel aufgeführt. Besucher müssen sich spätestens zehn Tage vorher unter Tel.: 030/259 004 27 (Hebbel-Theater) oder 030/247 67 72 (Volksbühne) unter Angabe von Namen, Adresse und Geburtsdatum anmelden.

Ulrike Geist

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