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Berlin: Entdeckung aus Fernost

Einst gab es Davidshirsche nur im Park des Kaisers von China. Doch 1876 gelangten die ersten Exemplare als Geschenk nach Europa

Das wilde Berlin fängt gleich hinter der nächsten Ecke an – Zoo und Tierpark laden zur Expedition ins Tierreich ein. Der Tagesspiegel hat sich schon mal auf Erkundungstour begeben und stellt die Stars aus beiden Tiergärten vor.

Eher unauffällig sind sie mit ihrem noch winterfahlem Fell, das sich farblich kaum vom Sand unter ihnen abhebt. Die meisten Zoobesucher schenken dem Trio auch nur einen flüchtigen Blick im Vorbeigehen, lesen vielleicht noch die Namen der Tiere – „Davidshirsch“. Die drei Exemplare dieser kräftigen Hirschart – zwei Weibchen und ein Männchen – kamen aus dem Tierpark in den Zoo. Wer sich dort die Zeit nimmt und am Gehege der Davidshirsche weiterliest, erfährt ihre spannende Geschichte.

Gab es diese Tiere doch in historischer Zeit einzig und allein im Park des Kaisers von China. Zu dem hatte kein normaler Sterblicher jemals Zutritt, schon gar nicht der im französischen Baskenland geborene Lazaristenpater Armand David (1826-1900), der als Missionar in China lebte. Bekannt wurde er als Naturforscher. In China entdeckte er nicht nur als erster Europäer überhaupt den Großen Panda und den Chinesischen Riesensalamander, sondern auch den nach ihm benannten Davidshirsch.

1865 hatte der Missionar einen verbotenen Blick riskiert, indem er auf die Mauer des kaiserlichen Parks Nan Hai-tsu südlich von Peking kletterte. Auf der anderen Seite erblickte der Naturforscher ihm unbekannte Hirsche. Es gelang ihm durch Bestechung kaiserlicher Bediensteter, Geweihstangen und Fell von einem solchen Exemplar zu erhalten, die er zur Untersuchung nach Paris schickte. Dort wurde festgestellt, dass es sich um eine wissenschaftlich bislang unbekannte Hirschart handelte. Nachforschungen ergaben, dass diese Tiere schon seit Jahrhunderten in dem kaiserlichen Park gezüchtet wurden – wo sie in China einmal ursprünglich lebten, war nicht mehr zu ergründen. Die spreizbaren Hufe, die das Ausrutschen der Tiere verhindern, deuteten allerdings auf ein sumpfiges Verbreitungsgebiet hin.

Auf diese Hirsche, die im alten China „sse-pu-hsiang“ hießen und in Europa nach ihrem Entdecker David benannt wurden, waren in der Folge alle europäischen Zoos scharf. Als Geschenke des Kaisers von China an Diplomaten gelangten 1876 einige Hirsche nach Berlin, Paris und London, wo sie in den jeweiligen Zoos, aber auch in der Privathaltung des Herzogs von Bedford in England unterkamen.

Die kaiserlichen Geschenke kamen gerade noch rechtzeitig nach Europa. Ging es den Davidshirschen daheim in China in der Folgezeit doch an den Kragen: Ein Teil der kaiserlichen Herde ertrank 1895 bei einer Flutkatastrophe, die die Parkmauern niederriss. Die geflüchteten restlichen Hirsche landeten in den Kochtöpfen der hungernden Bevölkerung, vor allem während des zeitgleichen Volksaufstandes der „Boxer“.

In Europa entschlossen sich 1900 die betreffenden Zoodirektoren, ihre Davidshirsche dem Herzog von Bedford zu übergeben, um damit die Zuchtaussichten der Tiere zu erhöhen. Im herzoglichen Wildpark Woburn Abbey kam so eine 18-köpfige Herde zusammen – bis 1914 war sie schon auf 90 Tiere angewachsen.

Heute gibt es weltweit 2000 Davidshirsche – auch wieder in China. Und aller Ursprung stammt aus Berlin. Das fand der vor 14 Tagen im Alter von 76 Jahren verstorbene amerikanische Zoohistoriker Marvin Jones aus San Diego heraus. Demnach gehen alle heute weltweit existierenden Davidshirsche auf die zwei Weibchen zurück, die der Zoo Berlin 1876 erhalten hatte und später dem Herzog zur Zucht überließ. So gesehen, sind die drei jungen Davidshirsche, die der Tierpark dem Zoo zur Zucht überließ, jetzt wieder daheim.

Heidemarie Mazuhn

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