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Berlin: Entertainment-Oase in der ostdeutschen Wüste

Architekt Kollhoff ruft Las Vegas zum Leitbild für Berlin aus. Tourismus-Werber, Kulturmanager und die IHK finden das nicht falsch

Stararchitekt Hans Kollhoff steht schon länger im Verdacht, „postmodern“ zu sein. So hieß jene Bewegung, die Kunst- und Baustile verschiedener Epochen fröhlich durcheinander würfelte – und die Zweckbauten der Moderne ablehnte. Kollhoff hat seine Hochhäuser am Potsdamer Platz im Stil des amerikanischen „Art Décos“ der 20er Jahre gestaltet. Richtig viele postmoderne Bauten gibt es in Las Vegas. In der Spiel- und Show-Metropole mitten in der Wüste findet man die Pyramiden von Gizeh, orientalische Paläste und Rokoko-Schlösser. Hinter den schönen Fassaden herrscht aber „big business“: Casinos und Shows, Hotels und Kongresse.

Genau darin, sagt Kollhoff nun in der „Zeit“, liegt Berlins Chance in der Zukunft: Sich in einen Vergnügungsort Marke Las Vegas zu verwandeln. An der Spitze der Bewegung sieht der Architekt den Regierenden Bürgermeister: „Wowereit“, sagt Kollhoff, „ist ein Las-Vegas-Typ.“ Das weckt Erinnerungen an Bilder vom Anfang dessen Amtszeit: Partykönig Wowereit trinkt Champagner aus hochhackigen Damenschuhen. Und so ähnlich meint es Kollhoff auch: Berlin sei „Bildungslabor und Vergnügungsort“.

„Der Vergleich ist weit hergeholt“, sagt Impressario Hans-Peter Wodarz. Der Macher der Gastronomie-Show Pomp, Duck and Circumstances und der Erotik-Show „belle et fou“ fügt aber hinzu: „Entertainment und Kultur, das wollen die Berlin-Besucher“. Und Tourismus belebe die Wirtschaft in der Stadt. Berlin biete ein in Deutschland einmalig breites Angebot von Subkultur bis Hochkultur. Die Stadt müsse aber nicht an Vegas anknüpfen, sondern an ihre eigene Geschichte in den goldenen Zwanzigern, als es hier 180 Varietés gab.

Erste Anzeichen für ein Aufblühen der leichten Muse gibt es: Die „Blue Man Group“ bekommt am Potsdamer Platz eine feste Spielstätte – mit einer Show aus den USA. Der „Wintergarten“ in der Potsdamer Straße und der „Friedrichstadtpalast“ sind etabliert. Und weitere neue Impulse werden von der Eröffnung des Admiralspalastes erwartet.

Weniger um Show und Entertainment beneidet der Chef von Berlin-Tourismus Las Vegas, als um dessen führende Rolle im Kongress-Geschäft. „Von diesem Kuchen würden wir gerne etwas abhaben“, sagt Hanns Peter Nerger. Ansonsten liege die Stärke Berlins aber weniger im Entertainment als in der „Kreativ-Kultur“. In keiner anderen Stadt Deutschlands sei der Zeitgeist so leb- und erlebbar wie hier. Hinzu kämen 1500 kulturelle Veranstaltungen täglich. Aufgrund dieses großen Angebots habe sogar schon mancher Musical-Anbieter „sein persönliches Waterloo“ erlebt, beim Versuch in der Stadt Tritt zu fassen.

Das sieht man bei der Industrie- und Handelskammer ähnlich: „Man geht in einen Keller herunter und findet dort Kultur“, so Katja Kühnel. Das gebe es in Las Vegas so nicht. Dort habe „vieles mit Geld zu tun“. Allerdings rollt nach Angaben der IHK nun auch in Berlin die „Vermarktung der Jungkreativen“ allmählich an. Denn die Stadt habe als Hauptstadt des Zeitgeistes eine große Glaubwürdigkeit, von der vor allem Kunst, Mode und Design profitierten. Längst würden Busse voller Japaner durch die Galerie-Meilen des Scheunenviertels geschleust. Teilweise würden hohe Summen für Kunstwerke bezahlt. Der Umsatz in der Berliner Kulturwirtschaft betrage rund acht Milliarden Euro. Das seien elf Prozent des Bruttoinlandproduktes der Stadt.

„Berlin liegt nicht in der Wüste“, heißt es bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft trotzig über den Vergleich. Auch die Erkenntnis, dass Unterhaltung und Tourismus eng zusammenhängen, sei trivial. Ein Blick auf deren Bedeutung für die Wertschöpfung in der Stadt zerstöre außerdem die Illusion, dass darin die Zukunft Berlins liegen könnte: Während die 170 000 Beschäftigten im Tourismus einen Gesamtumsatz von 5,8 Milliarden Euro jährlich erwirtschaften, bringt es die Gesundheitswirtschaft mit 100 000 Beschäftigten mehr auf satte 14 Milliarden Euro.

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