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Entlassung aus JVA Tegel: Aus der Sicherungsverwahrung in die Psychiatrie

Sieben Schwerverbrecher durften in den vergangenen Monaten die JVA Tegel verlassen. Nun wird ein Täter in die Klinik verlegt – gegen das Urteil europäischer Richter.

Sieben Sicherungsverwahrte, die teilweise mehrere Jahrzehnte in Tegel gesessen haben, sind in den vergangenen Monaten in die Freiheit entlassen worden. Zwei weitere frühere Schwerverbrecher kommen nach Justizangaben am 1. Dezember frei: Günter J. hat 15, Hans W. sogar 18 Jahre in Sicherungsverwahrung (SV) gesessen. Auch der älteste Sicherungsverwahrte von Tegel, der 78-jährige Klaus A., könnte in einigen Monaten in die Freiheit entlassen werden, eine endgültige Entscheidung steht aber noch aus.

Sie alle profitieren vom Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, der eine mehr als zehnjährige Sicherungsverwahrung für unzulässig erklärt hatte. Obwohl die Prognosen der psychiatrischen Gutachter teilweise ausgesprochen ungünstig ausfielen, hat die Polizei dem Vernehmen nach bei diesen Entlassenen bislang keinerlei Straftaten registriert. Auch hat es keine der zu Jahresbeginn befürchteten Proteste aus der Nachbarschaft der Wohnheime gegeben, in denen die meisten Männer untergebracht wurden. Die Justizverwaltung zeigte sich erleichtert, dass es in Berlin keine Demonstrationen aufgebrachter Menschen wie in Brandenburg oder anderen Bundesländern gegeben hat.

Nur bei zwei Männern geht die Staatsanwaltschaft immer noch gegen eine Freilassung vor. Einer von ihnen ist Wolfgang W.: Er erfuhr in dieser Woche, dass ein Gericht die Einweisung in die geschlossene Psychiatrie angewiesen hat, geplant war die Verlegung für den gestrigen Montag. Statt Freiheit in die Nervenklinik – für W., der in Tegel einen Lebensgefährten hat, sei das ein schwerer Schlag, sagte er am Telefon. Doch das psychiatrische Gutachten ist denkbar schlecht: „W. lebt nach eigenen Regeln und Wertvorstellungen“, heißt es darin, und weiter: „Die Gefährlichkeit ist durch aktuelle Äußerungen belegt.“ Anders als die anderen untersuchten Sicherungsverwahrten zeige W. keinerlei Einsicht in die begangenen Taten.

Der in der DDR geborene W. sitzt seit 1982 nahezu ununterbrochen in Gefängnissen. 1983 war W. wegen versuchten Mordes an einer Frau zu 15 Jahren verurteilt worden. Jedes Mal, wenn er freikam, verging nur kurze Zeit bis zur nächsten Straftat. Im Gutachten ist von einer „niedrigen Schwelle zu aggressivem Verhalten“ die Rede. 1997 war er wenige Monate in Freiheit bis zur nächsten Gewalttat. Damals wurde er zu drei Jahren Haft und anschließender Sicherungsverwahrung, also zur „Haft nach der Haft“ verurteilt.

Gegen die Frau, die er 1983 mit mehreren Messerstichen töten wollte, soll W. immer noch Drohungen ausstoßen. Er würde „wieder so handeln“, hatte er dem Gutachter offen gesagt. Deshalb soll er nun in die Psychiatrie. Der Anwalt von Wolfgang W. prüft jetzt rechtliche Mittel gegen die Verlegung aus Tegel in die Psychiatrie. Denn die Straßburger Richter hatten, wie berichtet, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Entscheidung zur Sicherungsverwahrung nicht durch eine Einweisung in die Psychiatrie unterlaufen werden dürfe. Der zweite Mann, dessen Freilassung die Staatsanwaltschaft vereiteln will, ist Rainer N. Er sitzt bereits seit Jahren in der geschlossenen Nervenklinik, wo er besser behandelt werden kann. Derzeit sind in Berlin 39 Männer in Tegel in Sicherungsverwahrung untergebracht, etliche weitere sitzen in der Psychiatrie.

Die sieben freigelassenen Häftlinge sind zwischen 40 und 70 Jahre alt. Sechs von ihnen hatten schon vor 1998 in Sicherungsverwahrung gesessen, als die Bundesrepublik die damalige Höchstgrenze von zehn Jahren gekippt hatte. Für die EGMR-Richter war dies ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot. Roman M., der siebte Freigelassene, hatte als erster Berliner Straftäter in sogenannter nachträglicher Sicherungsverwahrung gesessen. Doch auch dieses Rechtsmittel hatten die Straßburger Richter bekanntlich für unzulässig erklärt.

Die in diesem Jahr Freigelassenen saßen zwischen elf und 18 Jahren in der Sicherungsverwahrung. Für alles über den erlaubten Zeitraum von zehn Jahren hinaus steht ihnen eine Haftentschädigung zu. Die ersten Anträge seien eingegangen, sagte ein Justizsprecher. Nach Angaben von Anwälten stehen ihnen 25 Euro pro Tag zu, Jürgen B. demnach für sieben Jahre etwa 65 000 Euro. Der Justizsprecher wollte diese Größenordnung aber nicht bestätigen. Jörn Hasselmann

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