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Berlin: Enttäuscht von den Deutschen sind nur wenige

Viele in Berlin lebende Amerikaner sind Schröder mehr verbunden als ihrem eigenen Präsidenten – es gibt jedoch auch andere Standpunkte

Nach dem 11. September hatte er den Amerikanern seine unverbrüchliche Solidarität versprochen, doch jetzt ist er von dem Kurs der Amerikaner deutlich abgerückt. Die Beziehungen zwischen Bundeskanzler Schröder und der amerikanischen Regierung sind empfindlich abgekühlt. Fühlen sich die in Berlin lebenden Amerikaner vom Kanzler verraten? Nein, so scheint es. Die meisten vom Tagesspiegel befragten US-Bürger fühlen sich Schröder mehr verbunden als ihrem eigenen Präsidenten.

„Schröder is great“, sagt etwa der Englisch-Lehrer Gordon Carrega. „Er zeigt Mut, deshalb fühle ich mich in Deutschland wirklich gut aufgehoben.“ Der 58-Jährige, der sich selbst als „richtiges Kind der 60er“ bezeichnet, würde sich wünschen, dass zwischen der im September 2001 versprochenen Solidariät im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und der jetzt eingeforderten Hilfe gegen den Irak ein wenig mehr differenziert würde. „Das sind doch zwei ganz unterschiedliche Sachen“, sagt Carrega. „Der Kampf gegen den Terrorismus und ein möglicher Einmarsch in den Irak sind doch nicht dasselbe.“

Auch Lucy Jacobs, die Vorsitzende des Berlin International Women´s Club, möchte das Wort Solidarität nicht sklavisch verstanden wissen. „Uneingeschränkte Solidariät heißt doch nicht, dass man dem großen Bruder bedingungslos folgt“, sagt sie. Hilfe könne es auch trotz eines Neins zum Krieg geben. Wer wie die Deutschen Stützpunkte zur Verfügung stelle, der „ist nicht treulos, der hilft.“ Jacobs, die sich mit ihrem 480 Mitglieder starken Club für die Integration von Ausländern einsetzt, will am Wochenende bei der Friedensdemo mitmarschieren. „Ich stehe hinter Schröder“, sagt sie. „Und ich schäme mich zum ersten Mal in meinem Leben, Amerikanerin zu sein.“

Zwar kann der amerikanische Historiker Michael Groß mit der Politik Schröders auch nicht viel anfangen. „Der Kanzler hat von internationaler Diplomatie einfach keine Ahnung“, kritisiert er. Doch den Kurs seines Präsidenten kann er nicht mittragen. „Ich wundere mich, dass deutsche Talkshows die Zuschauer glauben lassen, die US-Regierung und das amerikanische Volk hätten dieselbe Meinung“, sagt Groß, der gestern mit seiner Frau das Jüdische Museum besuchte. Die Mehrheit der Amerikaner sei gegen einen Krieg, der nicht von der UN getragen sei.

Danga Vileisis zitiert ebenfalls Umfragen, wenn sie über deutsche Außenpolitik spricht. Während des Vietnam-Krieges war die freie Wissenschaftlerin und Übersetzerin nach Deutschland gekommen. Von den Deutschen verlassen? „Nein“, sagt sie, „im Gegenteil, ich erlebe heute eine ähnliche Situation wie damals. Es ist beruhigend zu wissen, dass Menschen wie Joschka Fischer ihren demokratischen Prinzipien treu bleiben.“

Aber es gibt auch andere Standpunkte. Der amerikanische Journalist und Wissenschaftler Tom Cuson lebt seit 18 Jahren in Berlin und ist inzwischen überzeugt, „dass die Deutschen prinzipiell ungern Verantwortung übernehmen.“ Das zeigt auch das Beispiel Schröder: „Der Kanzler ist unzuverlässig und absolut konzeptionslos“, kritisiert Cuson. „Ich fühle mich von ihm verlassen.“

Cuson würde einen Einmarsch in den Irak befürworten. Und auch Olivia Ricchi, Mitarbeiterin am Berliner Aspen Institute bezeichnet sich als eine „Anhängerin von Bush“. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, so ist sich Ricchi sicher, dass „Schröder sich offensichtlich selber retten will.“ Der außenpolitische Kurs solle den Kanzler und seine Partei vor einer weiteren Talfahrt bewahren. Ricchi macht sich wenig Illusionen über die künftigen Beziehungen zwischen der amerikanischen und der deutschen Regierung. „Das wird niemals heilen“, prophezeit sie. Allerdings, trotz aller Kritik an Schröder und seinem wankelmütigen Auftreten, verlassen fühlt auch sie sich nicht. „Warum sollte ich auch?“, fragt sie. „Ich bin eine Amerikanerin, die in Berlin lebt. Und er ist nicht mein Kanzler.“

Frauke Herweg

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