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Berlin: „Er ist einen geraden Weg gegangen“

Wie Berliner Kirchengemeinden des verstorbenen Papstes gedenken

St. HedwigsKathedrale, Mitte: Kurz vor zehn Uhr eilen Katholiken aus aller Welt die Treppen zur Kathedrale hoch. Sie sprechen italienisch, englisch, spanisch und polnisch. Die Messe wird weitgehend auf Latein zelebriert. Danach trägt sich Kardinal Georg Sterzinsky als Erster ins Kondolenzbuch im hinteren Teil der Kathedrale ein. Schon nach einer halben Stunde sind viele Blätter eng beschrieben, so viele Gläubige wollen dem Papst ein letztes Mal ihre Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. „Es ist ein großer Verlust“, sagt eine Studentin aus Wien. Der Papst habe das ungewöhnliche Talent besessen, alle Altersgruppen anzusprechen. Eine junge Italienerin sagt, dass sie sich wegen ihm habe taufen lassen. „Seine große Liebe zu allem ist mein Vorbild.“ Auch ihre kleine Tochter trägt sich ins Kondolenzbuch ein. Viele Menschen zünden Kerzen an. Weil auf dem Tisch mit den Opferkerzen kein Platz mehr ist, stehen viele Kerzen auf dem Boden davor. Ein Kind hat einen kleinen Teddybär dazwischen gelegt. clk

Katholische Pfarrgemeinde der Italiener Parrochia, Schöneberg: An der Eingangstür zur Kirche in der Rubensstraße verkündet ein Aushang die traurige Botschaft vom Tod des Papstes. Am Altar hängt ein Bild von Johannes Paul II., davor ein Herz aus gelben und weißen Blüten, Kerzen brennen, das Banner der katholischen Weltjugend ist davor ausgebreitet. Knapp hundert Gläubige sind gekommen, um für den Toten zu beten. Seit 36 Jahren kommt auch Ennio Curcetti zum Sonntagsgottesdienst in den schlichten Bau aus den Sechzigerjahren. „Ein großer Papst, ein politischer Papst, ein großer Mensch“, sagt der 58-jährige, klein gewachsene Mann mit der Baskenmütze. Der Maler und Karikaturist ist voller Bewunderung für den Verstorbenen. „Er war fest in seinem Glauben und ist einen geraden Weg gegangen“ – bis zum letzten Atemzug, wie Curcetti meint. „Wie Christus hat er sein Leiden offen gelebt und damit ein gutes Beispiel gegeben.“ Nach dem Polen Wojtyla, seit fast einem halben Jahrtausend der erste nicht-italienische Papst, könne gerne wieder ein Ausländer als Papst und Bischof von Rom auf dem Heiligen Stuhl Platz nehmen. „Ein Schwarzer oder ein Chinese, das wäre ein Vorbild für die Weltkirche und ein Zeichen dafür, dass wir alle anderen Nationen umarmen.“ wie

Russische Orthodoxe Kirche im Ausland, Wilmersdorf : Der Tod des Papstes spielt keine Rolle beim Gottesdienst in der Kulmbacher Straße. Rund 30 Gläubige haben sich in der mit Ikonen geschmückten Erdgeschosswohnung versammelt, die seit rund 50 Jahren die kleine Gemeinde beherbergt. „Es kann kaum einer weiter weg von uns sein als der Papst in Rom“, sagt Priester André Sikojew. Der Katholizismus stehe „diametral“ zu seinen Überzeugungen. Aber „als Mensch und Christ“ habe er Mitleid. Ähnlich äußern sich die Gemeindemitglieder. „Rein menschlich tut es mir Leid, dass er gestorben ist“, sagt die 25-jährige Maria, die den Einsatz des Papstes gegen den Irak-Krieg würdigt. Eine andere Gläubige sagt, sie habe eine Kerze für Johannes Paul II. angezündet. Der 41-jährige Oleg nennt den Papst eine „herausragende Persönlichkeit“. sve

St. Johannes-Basilika, Neukölln: Eine junge Polin, ganz in Schwarz, mit dunkler Sonnenbrille, legt einen Strauß Tulpen auf das Pflaster, kniet nieder vor einem Papst-Foto, senkt den Kopf und hält inne. Das Klicken der Kameras nimmt sie nicht wahr. Als sie wieder aufgestanden ist, sagt sie mit stockender Stimme: „Er war der Größte für uns alle. Es ist eine große Leere in meinem Herzen.“ Dann bricht sie ab und geht. Vor der Apostolischen Nuntiatur hängt ein Trauerflor über der gesenkten Fahne des Vatikanstaats. Schon in der Nacht haben Menschen am Tor Grabkerzen angezündet und Fotos aufgestellt. Nebenan, in der Basilika, werden Trauergottesdienste auf Polnisch abgehalten. In der großen Kirche ist nicht genug Platz für die tausenden Berliner Polen, die sich von Johannes Paul II. verabschieden wollen. loy

Katholische St. Augustinus-Kirche, Prenzlauer Berg : Pfarrer Michael Höhle ist erstaunt, wie viel Anteil außerhalb der katholischen Kirche am Tode des Papstes genommen wird. „Das zeigt, wie überzeugend er gelebt hat“, sagt der Pfarrer der St. Augustinus-Kirche nach dem Gottesdienst. Die öffentliche Trauer, mit der jetzt auf die Nachrichten aus Rom reagiert wird, ist Höhle und vielen seiner Gemeindemitglieder etwas fremd. „Der Tod ist für uns nicht das Ende“, sagt ein älterer Gottesdienstbesucher. „Danach geht es ja weiter.“ Pfarrer Höhle und seine Gemeinde gedenken des Papstes in Dankbarkeit. Neben österlichen Liedern spielt die Orgel die Danksagung „Ein Danklied sei dem Herrn“. lvt

American Church in Berlin, Dennewitzplatz : Der Papst hatte es ihnen nicht leicht gemacht, vor allem mit seinen kritischen Äußerungen gegenüber der US-Regierung. „Wir wandeln politisch auf einem schmalen Grat“, sagt Pastor Ben Coltvet, der die American Church in Berlin leitet, eine internationale ökumenische Gemeinde, die ihre Gottesdienste in der Lutherkirche am Schöneberger Dennewitzplatz feiert. „Zu uns kommen Demokraten und Republikaner sowie Menschen mit vielen anderen Positionen aus insgesamt 30 Nationen“, erklärt Pastor Coltvet im Gespräch nach der Sonntagspredigt. Auch deswegen wählt er diplomatisch ausgewogene Worte über den verstorbenen Papst: „Wir schätzen seine Ansichten und wollen wie er alles in unserer Macht Stehende für Frieden und Gerechtigkeit tun“, sagt Coltvet. Im Gottesdienst gedachten der evangelisch-lutherische Pastor und seine katholisch-protestantisch gemischte Gemeinde des Papstes mit einer Schweigeminute. lvt

Syrisch-orthodoxe Kirche von Antiochien, Tiergarten : Der Gottesdienst gilt eigentlich der verstorbenen Tante eines Gemeindemitgliedes. Die Kirche an der Potsdamer Straße ist voll: 300 in Schwarz gekleidete Männer und Frauen beten am 40. Tag der Trauerzeit für die Verstorbene. Doch an diesem Sonntag ist alles anders: Die Mitglieder der syrisch–orthodoxen Kirche, einer der christlichen Urkirchen, lauschen tief bewegt einer außergewöhnlichen Liturgie, reserviert für die Bischöfe von Rom. Pfarrer und Diakon lesen sie für den toten Papst. „Er ist für uns ein Stellvertreter der gesamten Christenheit“, sagt Amill Gorgis, Ökumenebeauftragter der Gemeinde. „Sein Besuch bei unserem Patriarchen in Damaskus, bei dem man in vielen Glaubensfragen zu einer Übereinkunft kam, war so wichtig für uns.“ Seither dürfen Syrisch-Orthodoxe zum Beispiel im Ausland in einer römisch-katholischen Gemeinde die Sakramente empfangen. In Berlin hat die 3000-Seelen-Gemeinde von der katholischen Kirche eine Heimat bekommen: Das Gotteshaus an der Potsdamer Straßewurde ihr auf 60 Jahre überlassen. Als der dreistündige Gottesdienst zu Ende ist, treten die Trauernden in den sonnenbeschienenen Hof. Alle haben sie ein Stück Brot in der Hand, eine Gabe der trauernden Familie. Jetzt trifft man sich zum Frühstück. Und man wird sprechen – von der Verstorbenen. Und vom Papst, den sie den Gütigen nennen. Für ihn werden sie am Nachmittag noch einmal beten. „Unser Pfarrer“, sagt Amill Gorgis, „sucht für uns einen ökumenischen Gottesdienst heraus.“ lei

Berliner Dom, Mitte : Das Gebet für den Papst steht nicht im Mittelpunkt der Predigt von Dorothea Wendebourg. Ausgehend vom Lukas-Evangelium erinnert sie an den Heiligen Franziskus und dessen Disput mit seinem Vater. In den Augen Wendebourgs eine „überspannte Geschichte“: „Wir Protestanten haben damit gründlich aufgeräumt“, sagt sie während des Abendmahlsgottesdienstes, „die Liebe zu Gott und zur Familie muss für uns kein Gegensatz sein.“ Bei der letzten der Fürbitten, die sich der Verstorbenen widmet, betet sie dann auch für den Papst sowie die katholischen Glaubensbrüder und -schwestern. oew

Kapelle der Christkönigschwestern, Lankwitz: In der Kapelle drängen sich die Gläubigen. Die Ordensschwestern sind in Hochstimmung. „Es ist ein Triumphtag für uns“, sagt Schwester Christophora. „Wir feiern den Geburtstag des Papstes im Himmel. Nun hat er das Ziel seines Lebens erreicht.“ clk

Philippinische Gemeinschaft, Katholische Gemeinde Heiliger Geist, Charlottenburg. Plötzlich erklingt seine Stimme. „Möget ihr die Freude in euer Leben mitnehmen“, sagt der Papst in der philippinischen Nationalsprache Tagalog. Alle in der Kirche klatschen, jubeln, lachen, weinen. Die CD-Aufnahme, die Pater Adonis während des englischen Gottesdienstes abspielt, stammt vom Weltjugendtag in Rom 2000. Pater Adonis hat Johannes Paul II. fünf Mal persönlich gesehen, auch bei der legendären Messe in Manila vor vier Millionen Menschen 1999. „Das Papstmobil hielt direkt vor mir. Seine Ausstrahlung – unglaublich.“ Die Messe und das Sumasampalataya, also das Glaubenbekenntnis, hat der 33-Jährige ganz ihm gewidmet. In der Power-Point-Präsentation über „Karol“ würdigt er den Papst auch als „Lover of Filipinos“. Es wird ihm noch eine Kerze entzündet, und dann gehen sie mit einem seiner Wünsche im Herzen: jenem nach „Peace“. kög

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