zum Hauptinhalt

Berlin: Er kam, sah und forschte

Jens Schneider-Mergeners Firma testet auch Krebsmedikamente

In großen Buchstaben steht „Reichsbahnämter“ an dem Haus, vor der Tür die Haltestelle „Nordbahnhof“ in der Invalidenstraße. Viele, die hier auf Tram oder Bus warten, suchen im Eingangsbereich des Hauses Schutz vor Wind und Regen, oder sie lehnen draußen an den Scheiben. Vielleicht denken sie, das Haus gehöre zur Bahn und deshalb sei das okay so. Aber in dem Haus hat „Jerini“ seinen Sitz: Biotech mitten in Mitte.

„Jerini“ – ein Unternehmen, das mit Geräten im Wert von sechs Millionen Euro Reagenzien für medizinische Forschung herstellt, Medikamente entwickelt und gerade eine 50-Millionen-Euro-Kooperation zur Krebsforschung mit dem Chemieriesen Merck abgeschlossen hat. Jerini steht für Jens, Rita und Nikolas. Die Familie von Jens Schneider-Mergener. Er hat die Firma 1994 gegründet. Sein Büro ist ganz oben im Haus, er sieht von hier aus die Charité und Schering. „Mir war schon immer klar, dass ich nach Berlin will“, sagt Jens Schneider-Mergener. „Die Stadt ist toll.“ Und als die Firma erste Erfolge in Adlershof hatte, stand fest: „Wir ziehen nach Mitte.“

Das Haus stand leer, bevor Jerini einzog. Die Deutsche Bahn ist der Vermieter. Unter den beiden Kellergeschossen rumpelt die S-Bahn. Man kommt direkt vom Haus in den Schacht. „Zu DDR-Zeiten war eine dicke Stahltür über den Zugang geschweißt“, sagt er. Er kommt aus Bielefeld, studierte Chemie und ging nach seiner Doktorarbeit nach Amerika: HIV-Forschung am California Institut of Technology in Pasadena. Fast drei Jahre war er da, dann kam das Heimweh nach Europa. „In Amerika fängt man an, von Europa zu reden, wenn man Heimat meint“, sagt er. Er kaufte ein Flugticket nach Berlin, in zwei Wochen sollte der Flug gehen, es war der November des Jahres 1989 – und eine Woche später fiel die Mauer. Die Chance für jemanden, dem die Amerikaner gerade vorgemacht hatten, wie man sich der Verhältnisse bemächtigt. Er ging zur Charité, er ging zum Senat: Hier bin ich und ich baue euch ein Forschungszentrum auf, also gebt mir Geld. Und wie er so da stand, groß, sportlich, blauäugig und braun gebrannt, da hatte er es nicht schwer zu überzeugen. Jens Schneider-Mergener lacht. Nein, Angst vor der eigenen Courage hatte er nicht. „Think big, war das Motto“, sagt er. Wie in Amerika.

Er bekam Geld und einen Computer, schrieb Anträge an Forschungsgesellschaften, lockte Mitstreiter. „Das Geld fließt in den Osten, Leute“, aber viele hörten nicht auf ihn. Er hielt Vorträge über HIV in der Charité und fuhr zum Telefonieren in den Westen. Seine Idee war: Wie kommt man schneller an ein neues Medikament. Nicht mehr „trial and error“. Zu aufwändig das, zu langsam, zu teuer. Er entwickelte, was er die „molekulare Bibliothek“ nennt. Stark vereinfacht: Synthese-Roboter stellen 10000 verschiedene Eiweißverbindungen her, die auf einer etwa DIN A4-Blatt großen Platte oder auf einem Mikrochip gespeichert werden. An diesen Verbindungen, die jenen im Körper gleichen, können Medikamente getestet, verändert und optimiert werden. Werden sie am lebenden Objekt ausprobiert, sind sie schon fast perfekt. Das Prinzip funktionierte, und Schneider-Mergener merkte, dass sich damit Geld verdienen lässt. Er gründete die Firma direkt aus seinem Labor in der Charité heraus. Damals wurde er dafür schief angeguckt: Entweder Forscher oder Manager. Heute werden diese „Spin-Offs“ gefördert, wo es nur geht.

Die molekularen Bibliotheken und Reagenzien machen das Hauptgeschäft von Jerini aus. „Hoch profitabel.“ 90 Mitarbeiter hat Jerini inzwischen: Vermarkter, Kaufleute, Forscher. Und es geht weiter. Jens Schneider-Mergener will mehr forschen, „da spielt die Musik“, und dafür braucht man Geld. Geplant ist ein Börsengang. Jens Schneider-Mergener ist zuversichtlich und die Unternehmensberater von Ernst&Young loben das Management von Jerini. Vielleicht investieren ja auch welche, die, heute noch an die Jerini-Hauswand gelehnt, auf ihre Straßenbahn warten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false