zum Hauptinhalt

Berlin: „Er soll zurücktreten“

Von Amory Burchard Mittendrin eine anrührende Szene: Klaus Kinkel, der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende und ehemalige Außenminister, legt Susanne Thaler vor der FDP-Zentrale in der Reinhardtstraße die Hände auf die Schultern. Die jüdische Liberale schaut den Mann an, der bis vor einer Minute noch ihr Parteifreund war, hebt die Arme zu einer verzweifelten Geste.

Von Amory Burchard

Mittendrin eine anrührende Szene: Klaus Kinkel, der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende und ehemalige Außenminister, legt Susanne Thaler vor der FDP-Zentrale in der Reinhardtstraße die Hände auf die Schultern. Die jüdische Liberale schaut den Mann an, der bis vor einer Minute noch ihr Parteifreund war, hebt die Arme zu einer verzweifelten Geste. Eben hatte Thaler, Dahlemer FDP-Vorsitzende, aus Protest gegen antisemitische Tendenzen unter dem Applaus von Hunderten Kundgebungsteilnehmern ihren Austritt erklärt. Weil die Partei sich nicht von Jürgen Möllemann distanziere, der „Michel Friedman und alle jüdischen Menschen tief verletzt“ habe, zweifle sie am liberalen Gedankengut der FDP.

Kinkel, der gekommen war, um vor den Demonstranten zum Antisemitismus-Streit Stellung zu nehmen, wollten Susanne Thaler und auch der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Alexander Brenner, nicht sprechen lassen. „Wir hatten Angst, dass er niedergebuht wird“, sagte Lala Süsskind von der zionistischen Frauenorganisation, die die Kundgebung moderierte. Kinkel berief sich später auf seinen „israelischen Schwiegersohn und zwei jüdische Enkel“. Damit habe er „auch das Recht, etwas zu sagen“.

Nur die wenigsten Demonstranten bekamen von diesem Zwischenspiel etwas mit. Vielleicht waren nicht so viele gekommen, wie die Veranstalter gehofft hatten – Süsskind schätzte 2000, die Polizei 350. Aber die Stimmung vor dem Thomas-Dehler-Haus war kämpferisch. Plakate mit Aufschriften wie: „Liberal? Euch egal! Für 18 % rülpst ihr rechtsradikal“ oder „Blau und Gelb = Braun“ hielten sie der FDP entgegen. Ein Exil-Perser – „Ich bin Moslem“ – schwenkte eine selbstgebastelte israelische Fahne. „Über Religion sollte nicht Politik gemacht werden“, sagte der Mann. „Heute sind die Juden dran, morgen die Moslems.“ Der Türkische Bund hatte zu der Kundgebung mit aufgerufen. Unter den Demonstranten waren auch Liberale wie der Charlottenburger Vorsitzende Jürgen Dittberner und Senator a.D. Wolfgang Lüder. Von der SPD, die die Demo gemeinsam mit den Grünen unterstützte, kam unter anderen Walter Momper. Ein Hamburger SPD-Bundestagsabgeordneter sagte, er habe sich die FDP „nun auch im Bund als Koalitionspartner abgeschminkt“. Der Zentralrat der Juden war durch Charlotte Knoblauch vertreten.

In ihrer Ansprache warf Susanne Thaler Möllemann eine „tiefsitzende Nazidenke“ vor. Sie fühle sich durch einen stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Möllemann „persönlich verletzt und bedroht“. Thaler forderte Möllemanns Abwahl aus dem Bundesvorstand. Auch Jürgen Dittberner sagte am Rande der Demo: „Er soll zurücktreten.“ Alexander Brenner bezeichnete Guido Westerwelles Ultimatum an Jürgen Möllemann als „lauwarm“.

Nach der Kundgebung sagte Klaus Kinkel, Möllemann solle zum Rücktritt aufgefordert werden, wenn er nicht „bis Montag Karsli aus der Landtagsfraktion entfernt hat.“ Der FDP-Landesvorsitzende Günter Rexrodt äußerte gegenüber dem Tagesspiegel Verständnis für die Demonstration. Dass sich allerdings SPD und Grüne an die Demo „heranhängen, ist ein schäbiges Spiel“. Dagegen sagte Florian Block, Landesvorsitzender der Jungen Liberalen Berlin, er schäme sich dafür, dass „es so weit kommen musste, dass jüdische Organisationen vor der Zentrale einer liberalen Partei gegen Antisemitismus demonstrieren“.

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false