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Erfahrungsbericht: Abgesperrt und abgeschottet

Die Bundeswehrrekruten geloben weiträumig abgesperrt in der deutschen Hauptstadt. Unser Redakteur Simon Frost erzählt, wie er diesen Tag als Bürger ohne Uniform erlebt hat.

“Ah, Sie haben es geschafft”, sagt die Frau und schaut mich mit einer Mischung aus Überraschung und Bewunderung an. Die Frau arbeitet in der Kita meiner Tochter und mit “geschafft”, meint sie mein Erscheinen an diesem Tag. Nein, nicht was Sie jetzt denken. Ich würde mich durchaus als pflichtbewussten Vater bezeichnen, der sich bemüht seine Tochter pünktlich aus der Obhut der Erzieher entgegen zu nehmen. Doch an diesem Tag ist eben alles ein bisschen anders.

Es ist der 20. Juli, an dem Deutschland sich an das missglückte Attentat auf Hitler vor 60 plus X Jahren erinnert und die Bundeswehr den Attentäter von Stauffenberg traditionell ehrt, indem sie in einem Festakt einige hundert Rekruten vereidigt, früher im Bendlerblock, auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums, heute auf der großen Wiese vor dem Reichstagsgebäude - um zu betonen, dass die Armee eine Armee in der Mitte der Volkes ist und vom Volk, vertreten durch den Bundestag, befehligt wird.

"Sie kommen über diesen Weg wieder raus!"

Die Wiese ist etwa 200 Meter von der Kita entfernt - meine Tochter besucht die Betriebskita des Bundestages, ihre Mutter arbeitet im Parlament. Ob ich mich ausweisen kann, fragt mich der Polizist in Splitterschutzweste, seine Maschinenpistole im Anschlag, als ich an die Sperre vor der Brücke an der Reinhardstraße komme. Ich zücke meinen Personal… “Nein, den meine ich nicht”, unterbricht mich der Beamte. Er meint den Bundestagsausweis. Habe ich nicht. “Aber Sie kommen über diesen Weg wieder raus”, schnauzt er mich an, als er mich dennoch durchwinkt. Er wird nicht der letzte sein, von dem ich diesen Satz in den kommenden 20 Minuten höre.

Bis hierher habe ich schon reichlich Zeit gehabt, mir Gedanken über die Ortswahl des Gelöbnisses und den Umgang von Bundeswehr und Sicherheitskräften damit zu machen. Statt wie üblich eine Viertel- habe ich beinah eine volle Stunde für den Weg vom Verlag zur Kita gebraucht. Wegen der Absperrungen musste ich ums Regierungsviertel herum zum Hauptbahnhof fahren und von dort aus laufen. An der Spree entlang, auf der die Kapitäne der Polizeiboote vor allem damit beschäftigt sind, sich nicht gegenseitig ins Heck zu rauschen, weil sie so viele sind. Vorbei an der leeren, sonst so bevölkerten Strandbar. Mit Blick auf das gegenüberliegende Ufer, an dem Militärpolizisten mit der Waffe im Anschlag patrouillieren.

Der einzige Mensch im Regierungsviertel

Hinter der Sperre bin ich für eine Weile der einzige Mensch im Regierungsviertel. So kommt es mir jedenfalls vor. Die Leere ist ebenso gespenstisch wie die Stille. Doch mit beidem ist es vorbei, als ich um die Ecke in Richtung Kita abbiege. Die U-förmige Straße, auf der sonst die Fahrer der Bundestagslimousinen an ihre Autos gelehnt in der Sonne dösen, ist zum Busparkplatz mutiert. Y-Reisen haben wir die Busse mit eben diesem Kennzeichen früher genannt. Die Schilder in den Windschutzscheiben verraten, dass die Männer, die sich in der Nachmittagshitze gerade aus ihnen herausquälen, entweder Rekruten oder Angehörige des Wachbataillons sind. Einige von ihnen - in ihre Ausgehuniformen geschweißt - haben sich in Formation auf dem Bürgersteig aufgestellt und ich habe das Gefühl, dass sie die Situation ähnlich absurd empfinden, als ich an ihnen in Jeans und T-Shirt vorbeilaufe - wie ein Staatsgast, der das Protokoll in allen Punkten missachtet.

“Ah, Sie haben es geschafft”, sagt die Frau und schaut mich mit einer Mischung aus Überraschung und Bewunderung an. Nachdem ich sie begrüßt habe, bittet sie mich freundlich, nachher den selben Weg aus dem Regierungsviertel zu nehmen, den ich gekommen bin. Neben ihr stehen die übrigen Erzieher und schauen sich das Spektakel auf der Straße durch die Gittertür hindurch an. Hier das Volk, dort die Bundeswehr.

Wovor hat der Staat Angst?

Als ich mit meiner Tochter an der Hand die Kita verlasse, wartet schon ein Polizist auf mich, in Splitterschutzweste und mit Maschinenpistole im Anschlag. “Sie müssen bitte denselben Weg …” - “Ich weiß schon”, unterbreche ich ihn. Die Augen meiner Tochter werden immer größer, als wir uns einen Weg durch die Soldaten auf dem Bürgersteig bahnen. Sie ist zwei Jahre alt, es ist ihre erste Begegnung mit der Bundeswehr. Die Soldaten haben sich inzwischen trotz der Hitze Tarnfleck-Jacken über ihre schmucken weißen Hemden gezogen und ich überlege, ob das der Grund ist, warum sie so abgeschottet von den Blicken des gemeinen Volkes sind: sie sehen ein wenig lächerlich aus in diesem Aufzug. Jeder von ihnen hält eine silbrig glänzende Kühltüte in der Hand - ein Doggybag, um sich für die kommenden Ereignisse zu stärken. “Bitteschön”, sagt einer von ihnen zu mir, nachdem er seine Kameraden aufgefordert hat, den Weg für uns freizumachen. Ich gehe weiter, ohne mich zu bedanken, schließlich ist es selbstverständlich, dass der Bürgersteig nicht für rastende Soldaten gebaut wurde, deren Anwesenheit in der Stadt mich schon mindestens eine Stunde meiner Zeit gekostet hat.

In den Abendnachrichten sehe ich die Soldaten wieder. Auf der Wiese vor dem Reichtagsgebäude, unter dem Schriftzug “Dem deutschen Volke”. Bürger in Uniform sollen sie in den kommenden Monaten sein. Die Frage, die sich mir schon den ganzen Tag stellt, kann ich mir noch immer nicht beantworten: Wovor hat dieser Staat Angst, dass er sich von Bürgern ohne Uniform derart abschottet?

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