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Tagesspiegel-Autor Max Deibert a.k.a. Leo.

© Jakob Olsson

Erfahrungsbericht aus dem Fashion-Business: Nebenjob Model: I'm too sexy for my shirt

Bei der Fashion Week sieht man sie allerorten: Models. Unser Autor verdient sich in dem Job noch was dazu - hier sein Bericht über dünne, aber nette Kolleginnen und getigerte Bademäntel.

Ich leide unter chronischem Geldmangel, deswegen schreibe ich für eine Tageszeitung. Oder umgekehrt, ich weiß es nicht mehr. Physische Arbeit liegt mir, aber ich denke zu viel nach, während ich sie ausführe. Ich vergesse dreimal, einem Gast seine Apfelsaftschorle zu bringen, weil mich die Handtasche einer Kundin an das Monsterbuch der Monster aus „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ erinnert. Beim Sommerbetrieb in einem Biergarten war das mein Untergang.

Eine enge Verwandte (mir wurde vor Kurzem geraten, ich solle nicht immer „meine Mutter“ schreiben, das wirke uncool) hat in ihren jungen Jahren als Model gearbeitet. Einige der Fotos hängen über ihrem Schreibtisch. Als Kind irritierten mich die Aufnahmen: Wozu diese Frisur? Und vor allem diese Haarfarbe? Wieso umarmt sie nackt eine andere Frau und schaut woanders hin? Ich muss bei Familienfotos immer in die Kamera gucken. Meine Mutter (was soll’s) schlug vor, dass ich mich bei einer Modelagentur bewerbe.

„Wie diese arroganten Vollidioten, die mit überteuerten Männerhandtaschen in Mailand rumstelzen?“

„Du trägst ein stinkendes Tablett durch die Gegend und verdienst nur einen Bruchteil von dem, was Models an Gagen kriegen.“

Lieber ein Rock mit Poklappe als an einem Löffel lutschen

Zwei Tage später sitze ich in einem weiß gestrichenen Zimmer in Berlin-Mitte. Streicht man Zimmer eigentlich weiß, oder ist es die Grundeigenschaft eines Zimmers, weiß zu sein? Ein halbrunder Tisch biegt sich durch den Raum, Designerhocker, Wassergläser. Ich starre schwitzend auf hochglanzpolierte Laptoprücken. Es arbeiten ausschließlich Frauen in dem Büro. Und sie sehen ausnahmslos attraktiv aus. Ein blonder Kopf streckt sich hinter einem Laptop hervor und fragt nach meinen Hobbys: Lesen und Schreiben.

„Nichts mit Sport?“, hakt sie nach.

„Tischtennis“, murmele ich.

Die Damen kichern. „Wir meinen richtigen Sport.“

Ich erzähle, dass ich am Wochenende mit meinen Freunden Fußball spiele. Sie wirken zufrieden.

„Das Attribut ‘sportlich‘ macht sich sehr gut im Profil, da fahren viele Labels drauf ab. Wir sehen dein Gesicht vor allem im Fashion-Bereich, weniger in der Werbung.“

Ich bin erleichtert: ich trage lieber für Hugo Boss einen Rock mit Poklappe auf dem Laufsteg, als für Yogurette an einem Löffel zu lutschen.

"Wuschel' dir mal durch die Haare" - Ich muss lachen

„Gut, ziehst du dich dann mal aus?“ Ich zucke zusammen. „Nur das T-Shirt erst mal.“ Mit freiem Oberkörper stehe ich vor sechs Frauen, die mich ohne eine Miene zu verziehen begutachten. Es werden Fotos von mir geschossen. Wie in Gefängnisfilmen, erst von vorne, dann im Profil. Anschließend soll ich mich frei bewegen. Ich verschränke die Arme. Es klickt einmal. Ich warte.

„Nächste Pose, bitte“, ruft die Stimme hinter der Kamera. Ich lasse die Arme herunterhängen, mir fällt nichts mehr ein. „Wuschel’ dir mal durch die Haare.“ Hastig gehe ich mir durch die Haare. „Langsamer, wie soll ich denn sonst ein Foto machen?“ Ich komme mir wie der letzte Vollidiot vor, als ich mir in Zeitlupe durch die Haare wuschele, während ich mit freiem Oberkörper vor einer Wand stehe. Ich muss über meine Situation lachen. Die Fotografin wartet geduldig bis ich wieder sexy-böse schaue, dann knipst sie weiter.

Einen Monat später habe ich einen neuen Namen, die Kurzform meines zweiten Vornamens, meinen Nachnamen durfte ich behalten. „Max gibt es schon zu häufig und wir sehen dich mehr als Leo, das hat so etwas bestialisches, was du mit deinem Blick totaaal gut rüber bringst.“ Meine Bookerin (so etwas wie eine Agentin), Linda, strahlt mich an. Ich kann nur zurücklächeln, sie wird schon wissen. Wenn Linda mich anruft und ich gerade schlechte Laune habe, sagt sie Sachen wie: „Meeensch Leo, warum denn so grummelig, ist doch ein traumhafter Tag heute! Warst du schon draußen in der Sonne?“ Bei Regen fragt sie, wie es meiner Freundin geht.

Männer müssen nicht perfekt laufen, noch nicht einmal lächeln

Das Model-Business wird häufig für seine Härte kritisiert. Ich fühlte mich jedoch mehr angespornt als unter Druck gesetzt, wenn Sätze fallen wie: „Wann kaufst du dir mal wieder neue Klamotten?“, oder: „Mach doch ein bisschen Kraftsport, Leo, das tut deinem Körper sicher gut.“ Aus Geschichten von Kollegen entnehme ich allerdings, dass männliche Models in der Regel besser wegkommen als die weiblichen. Vielleicht mindert das neue Gesetz zum Body-Mass-Index in Frankreich den Druck auf die Mädchen, vielleicht wird es auch nur schlimmer, weil die Konkurrenz anwächst. Wir Männer müssen nicht perfekt laufen, uns nach keinem BMI richten, noch nicht einmal lächeln müssen wir draufhaben.

Erschreckend dünn sind meine Model-Kolleginnen, und erschreckend freundlich. Ich hatte mit arroganten Tussen gerechnet, stattdessen handelte es sich meist um eine bescheidene Studentin. Selbstironisch und selbstreflektiert sind Attribute, die weiblichen Models selten zugeschrieben werden, die mich aber bei den gleichaltrigen Kolleginnen verblüfften.

Goldöl und Schweiß läuft mir den Rücken runter - ich tanze

Mein erstes großes Shooting war mit zwei Schweden. Ziemlich aufregend: Ich bekam Echthaar-Extensions, wurde später am ganzen Körper golden angemalt und musste auf einem Hocker stehend in goldenem Schlüpfer tanzende Bewegungen für die Kamera machen, während mir Goldöl und Schweiß in Bächen den Rücken runterliefen.

Die Schweden machten die meiste Zeit Witze über ihr eigenes Aussehen, ihren Akzent und zeigten mir zwischendurch die unglaublichen Bilder, die sie von mir schossen. Dazu lief „Golden Eye“ von Tina Turner. Später sagte der Stylist: „Es ist unmöglich, sich als Model in so einer Situation cool zu fühlen. Deshalb ist es unsere Aufgabe als Fotografen so bescheuert zu sein, dass du dennoch die coolste Person im Raum bist.“ In den Pausen bekam ich einen getigerten Bademantel und Kippen. Ich sah zwar aus wie eine vergoldete Ariertranse, aber ich fühlte mich wohl in meiner Haut.

Das Modeldasein (von dem man bei mir noch nicht sprechen kann), ist, soweit ich das beurteilen konnte, geprägt von Gegensätzen: Glamourös, aber für die Nachwelt eher unbedeutend. Oberflächlich, aber zugleich sehr intim – Stichwort: Goldunterhose. Wer Erfolg hat, kann viel Geld und Instagram-Follower verdienen, das bedeutet aber noch lange nicht, dass man irgendetwas kann. Wer vor zwei Jahren nicht das Geld für die Uni zurücklegte, sondern es auf First-Class- Flügen und in Cocktailbars verprasste, kann schon heute wieder bei „Urban Outfitters“ fremde Füße anfassen. Denn nichts ist so vergänglich wie Schönheit.

Eine Bilanz der Berliner Modewoche lesen Sie hier

Max Deibert

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