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Erfahrungsbericht: Die Autozündler sind jetzt auch in meinem Kiez

Grillkohle, Gummi und Fischräucherei - wie Johannes Uhl in seiner Straße in Charlottenburg einen Autobrand erlebte.

Kurz nach Mitternacht kam es zu mir. Ich sitze gerade am Schreibtisch und unterhalte mich per Internet mit Caro, einer Freundin aus dem Westerwald. Ein lauter Knall. Nachbarn laufen auf die Straße. „Feuerwehr!“ ruft eine Frauenstimme. „Du, ich muss mal gerade raus, hier ist scheinbar was passiert“, tippe ich hastig, während ich mir schon die Jacke überwerfe. Draußen vor der Haustür springt mir als erstes ein eigenartiger Geruch in die Nase. Eine Mischung aus Grillkohle, verbranntem Gummi und Fischräucherei. Ich schaue an die Wand, gerade drei Häuser neben meinem. Vom matten Putz mystisch unscharf gemacht aber trotzdem unverkennbar mit ihrem hektischen Flackern scheinen die Flammen wider. Ich laufe vor bis zu dem kleinen Parkplatz zwischen den Häusern. In tiefem Orange schlagen die Flammen taghell in den Charlottenburger Nachthimmel. Vier, fünf Meter hoch war das Feuer. Vor mir brennen ein Ford und ein BMW-Kombi. Die Blätter der großen Linde daneben haben längst schon Feuer gefangen. Inzwischen sind auch Polizei und Feuerwehr angekommen. Blitzendes Blaulicht legt sich über den diffusen Feuerschein an den Wänden.

Was bisher nur eine theoretisierende Debatte in Redaktionskonferenzen war, was ich bisher abgeklärt, distanziert und kühl betrachtet hatte war plötzlich zu mir gekommen. Es wurde heiß wie brennende Kühlwasserschläuche, Reifen und Polstersitze. Die Autozündler sind jetzt auch in meinem Kiez.

Feuerwehrleute tragen dicke Schläuche heran, die Nachbarn unterhalten sich aufgeregt. Etwa fünfzehn Menschen haben sich inzwischen auf der Straße versammelt. Darunter auch Fotografen und ein Kameramann. Plötzlich kann ich nachvollziehen, was die Menschen empfinden, über deren brachiales Gerede in der Abendschau ich mich Stunden vorher noch aufgeregt hatte. Mir dröhnt die Frage im Kopf, wie man alle Autos Berlins von der Straße und in Sicherheit bringen kann. Plötzlich suche auch ich nach den radikalen und schnellen Lösungen. Und erschrecke vor mir selbst. „Lassen Sie uns doch zur Seite gehen. Die Feuerwehr braucht hier jetzt den Platz“, meint eine Frau neben mir. Es sind eben doch die kleinen, besonnenen Schritte, die weiterhelfen. Die extremen Lösungen lassen sich nicht umsetzen und bringen wenig.

Während ich innerlich wieder abkühle, hat die Feuerwehr schon den Brand gelöscht. Der Tross zieht weiter, über Funk wurde schon der nächste Brand gemeldet. Zurück bleiben zwei verbrannte Autos. Wie ein Würfel Zucker in der Bratpfanne sind deren Motorräume zerschmolzen und verkohlt. Die Fenster sind verrußt. Im Fond des BMW erkenne ich Wasserkisten. Die wollte der Autobesitzer heute wohl zum Supermarkt bringen. Ganz normaler Alltag, plötzlich aus der Spur geraten.

Der eigentümliche Geruch steht mir immer noch in der Nase als ich zurück in meine Wohnung komme. Ich schreibe, was passiert ist. „Das ist ja wie in London. Pass auf dich auf!“, erwidert Caro von weit weg. Nein, vor Londoner Verhältnissen stehen wir hier in Berlin wohl nicht. Aber aufpassen sollten wir trotzdem alle. Aufmerksamkeit heißt nicht, in Panik den Kopf zu verlieren. Aufmerksamkeit braucht es in einer Gesellschaft immer und jeden Tag. Aufmerksamkeit sollte so alltäglich sein, wie Wasserkisten zum Supermarkt bringen.

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