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© Klaas

Erinnerung: Als Volkspolizisten das Volk verprügelten

Vor 20 Jahren demonstrierten Ost-Berliner für die Pressefreiheit. Die Reaktion der DDR-Mächtigen war hart. Eine Spurensuche.

Die Ecke Mollstraße/Karl-Liebknecht- Straße kann in die Kategorie trostlos eingeordnet werden. Die Fenster bleiben auch abends dunkel, die Briefkästen sind mit Klebeband zugesperrt. Kurz vor sieben beginnt ganz langsam die linke Lampe der dürren, hochgewachsenen Straßenlaterne zu leuchten.

Vor 20 Jahren war hier der zentrale Ort der DDR-Meinungsmache. 1400 Mitarbeiter verkündeten täglich, was laut Zentralkomitee der SED im In- und Ausland geschehen war. ADN-Bedienstete beherrschten die Kunst des Auslassens, Verklausulierens und Verschweigens. Wo lange Artikel vonnöten gewesen wären, um eine dramatische Fluchtgeschichte zu erzählen, behalf sich die Allgemeine Deutsche Nachrichtenagentur mit einem politischen Kommentar über „Menschenhandel“ am antifaschistischen Schutzwall.

1989, am 7. Oktober, dem 40. Geburtstag der DDR, trauen sich die Menschen endlich zu sagen, was sie schon immer dachten. „Lügner, Lügner“ und „Pressefreiheit“, skandieren die Demonstranten vor dem Gebäudekomplex von ADN und Zentralbild. Sie sind von der Polizei nach Osten abgedrängt worden, weil sie eigentlich nach Westen wollten, zum Palast der Republik, wo Michail Gorbatschow, ihr Hoffnungsträger, den SED- Genossen beim Festbankett zuprostet.

Als Gorbatschow per Eskorte zum Flughafen Schönefeld enteilt ist, gehen Polizei und Spezialeinheiten der Stasi zum Angriff über. Mannschaftswagen und Wasserwerfer fahren auf, einzelne Demonstranten, gezielt auch Frauen, werden herausgezerrt, verprügelt und auf die Lkw verfrachtet. Die Menge wird in die Schönhauser Allee abgedrängt. Einige versuchen, in die Gethsemanekirche zu flüchten, doch dort hat die Polizei schon einen Belagerungsring geschlossen, um Teilnehmer einer Andacht zu drangsalieren. Schlimmer als die Prügel sind die folterähnlichen Übergriffe auf den Polizeirevieren. Die Festgenommenen müssen stundenlang mit dem Gesicht zur Wand stehen. Wenn einer sich bewegt oder redet, wird er geschlagen.

ADN übt sich wieder im Weglassen, berichtet vor allem von den offiziellen Feiern, der Militärparade und dem Volksfest auf dem Alex. Die Demonstrationen werden als Scharmützel „krimineller Elemente und Randalierer“ heruntergeschrieben. Doch die Opposition nimmt das Informieren der Bevölkerung jetzt selbst in die Hand. Auf Flugblättern werden in den folgenden Tagen Zeitzeugenberichte verbreitet. Am 23. Oktober geben Bürgerrechtler eine Pressekonferenz zum Polizeieinsatz.

Ins ADN-Gebäude ziehen nach der Wende ganz normale Unternehmen ein, Viele Jahre nutzt die berüchtigte Ostalgie-Postille „Super Illu“ die alten Redaktionsräume. Jetzt steht fast das gesamte Haus leer. Gerüste und Zäune künden von einer bevorstehenden Sanierung, aber darauf warte sie schon seit zwei Jahren, sagt die Kioskverkäuferin, neben einer Dresdner-Bank-Filiale das einzige noch aktive Gewerbe im Haus.

Der aktuelle Eigentümer des Gebäudes ist schwer ausfindig zu machen. Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe verweist auf die Treuhand-Liegenschaftsgesellschaft, die tippt auf den Liegenschaftsfonds des Landes, der gerade nicht erreichbar ist wegen einer Immobilienmesse. Die Mollstraße 1 steht nicht auf der Verkaufsliste des Fonds. Die Immobilie hat offenbar keinen großen Marktwert mehr.

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