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Erinnerungskultur: Scrabble am Grabstein

Installationen, Lesungen und Konzerte: Der Alte St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg wird zum Kunstraum.

Der Tod macht alle gleich – die Gräber auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg sehen allerdings ziemlich unterschiedlich aus. Auf den Steinplatten an der Urnenwand nahe dem Haupteingang stehen die Namen der Verstorbenen in Block- und Schreibschrift, in Weiß oder Rot, da stehen Lebensdaten oder einfach nur „Omama“, da hängen Fotos und Blumen, auf einer Platte ist eine Hand eingraviert, die den Heavy-Metal-Gruß zeigt.

Und zwischen all diesen Erinnerungsflächen sind immer wieder Urnenfächer, die von keiner Platte bedeckt sind, weiß ausgemalt, darin ein Granitbrocken, ein blutbeflecktes Tuch, eine Festplatte – Lebensspuren. Und Symbole dafür, dass wir individuell trauern, individuell gedenken. Marion Fabian hat die Kunstnischen gestaltet, sie sind die erste Station des „Parcours der Erinnerung“, den die 61-Jährige auf dem Friedhof an der Großgörschenstraße kuratiert hat. Neun Künstlerinnen und ein Künstler beteiligen sich an der Aktion, die bis zum 18. September den Kirchhof mit Raum- und Klanginstallationen bespielt, die den Betrachter dazu einladen sollen, über Tod und Vergänglichkeit nachzudenken. Ein Rahmenprogramm bietet Klangperformances, Lesungen und Konzerte.

Kurz vor der Eröffnung führt Marion Fabian über den Friedhof, die Gebrüder Grimm liegen hier begraben, der Ur-Berliner Bolle und auch Agit-Rocker Rio Reiser. Das Gelände ist eine Oase, schon an sich ein Kulturort, reich an Skulpturen, Mausoleen, Steinmetzarbeit. Nun kommt noch die Parcours-Kunst hinzu. 2009 gab es erstmals eine Ausstellung in Mausoleen, für die zweite Ausgabe 2010 kam Fabian als Kuratorin dazu. Seitdem ist sie auch im Förderverein „Efeu“ aktiv, dessen Engagement den Matthäus-Kirchhof zu so etwas wie dem ersten Kunstfriedhof Berlins gemacht hat.

Verteilt zwischen Grabmalen stehen nun Notschlüsselkästchen, in ihnen bilden Scrabble-Buchstaben Begriffe: „Warm“ steht da, oder „spüren“. Das Foto ihres eigenen, winkenden Schattens, das eine Künstlerin auf eine Mausoleumstür gezogen hat, ist ein irritierender Gruß aus einer anderen Welt. Andere Installationen bringen leere Hüllen aus Plastik im Schwarzlicht zum Leuchten oder lassen Rasen in Buchstabenform wachsen, so dass er die Worte „Grass grows“ ergibt. Eine Arbeit bezieht sogar die Nase mit ein. Geruchsproben in Holzkästchen sollen Erinnerungen auslösen: Woran denken Sie, wenn Sie Minze riechen?

Mit den Kunstaktionen wolle man zum einen darauf aufmerksam machen, dass die Berliner Friedhöfe als Teil des „kulturellen Gedächtnisses“ bedroht seien – weil immer weniger Geld zu ihrem Erhalt zur Verfügung stehe, sagt Yvonne Zimmerer, Sprecherin der Friedhofsverwaltung. Außerdem wolle man gewissermaßen „den Tod zurück ins Leben“ holen – anstatt Sterblichkeit und Trauer, wie weithin üblich, einfach zu verdrängen. Der aktuelle Parcours sei im Wortsinn ja auch ein Hindernislauf. Die Installationen sollen den Betrachter aufhalten, ihn innehalten und stutzen lassen. Vielleicht entsteht ja ein Bild.

Parcours der Erinnerung, Alter St.-Matthäus-Kirchhof, Großgörschenstr. 12-14, Schöneberg. Täglich, 8-19 Uhr, Führungen Sa und So, je 14 Uhr. Eintritt frei. Infos zum Rahmenprogramm unter www.efeu-ev.de.

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