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Der Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning (SPD), gerät durch die Ermittlungen weiter unter Druck.

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Ermittlungen gegen Berliner Senatskanzleichef: Was der Fall Böhning für Rot-Rot-Grün bedeutet

Berlins Senatskanzleichef Björn Böhning wird vom Fall Diwell/McKinsey eingeholt. Wird die Affäre zur Belastung für Rot-Rot-Grün? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Die rot-rot-grüne Koalition in Berlin ist noch gar nicht im Amt, da holt sie eine Affäre der Vorgängerregierung ein. Im Fall Diwell/McKinsey hat die Berliner Staatsanwaltschaft jetzt Ermittlungen gegen Björn Böhning eingeleitet – den Chef der Senatskanzlei und engen Vertrauten des alten und neuen Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD). Geprüft wird der Verdacht der Vorteilsannahme.

Um was geht es im Fall Diwell/McKinsey?

Der Vorgang reicht in den September 2015 zurück. Es ist die Zeit, als tausende Flüchtlinge nach Deutschland und Berlin kamen und die Hauptstadt mit ihrer Unterbringung überfordert war. Tagelang mussten die Menschen auf Registrierung warten, und das Landesamt für Gesundheit und Soziales, kurz Lageso, wurde zum Inbegriff des Scheiterns Berlins in der Flüchtlingsfrage.

Die Senatskanzlei schließt in diesem Zeitraum einen Pro-bono-Vertrag mit McKinsey ab. Die Beratungsfirma will das Lageso unentgeltlich unterstützen. Am 5. Januar 2016 erhält McKinsey dann von der Senatskanzlei – deren Chef Björn Böhning ist – den Zuschlag, bei der Erarbeitung eines Masterplans „Integration und Sicherheit“ beratend mitzuwirken. Die Entscheidung fällt über Silvester. Als Honorar für diese Dienstleistungen werden 238000 Euro brutto vereinbart.

Was erst Mitte März durch Tagesspiegel-Recherchen bekannt wird: Auch der ehemalige Staatssekretär und damalige Sozialdemokrat Lutz Diwell, ein Fachmann für Asylrecht, ist für McKinsey an der Erstellung des Masterplans beteiligt. Diwell hatte zuvor bereits im Auftrag der Senatskanzlei ein Gutachten in asylrechtlichen Fragen erstellt.

Der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses wird erst am 9. Februar über die Auftragsvergabe an McKinsey informiert – der Name Diwell fällt in der Sitzung nicht. Unterzeichnet wird der Vertrag mit McKinsey erst Anfang März, als die Hauptarbeit schon getan ist. Böhning schickt einen Bericht an den Hauptausschuss, weil die Abgeordneten weitere Fragen haben – der Name Diwell taucht wieder nicht auf. Ende März, nachdem der Name Diwell öffentlich geworden war, stellte sich Böhning erneut dem Hauptausschuss. Er betonte, dass er weder Diwell vorgeschlagen noch McKinsey gesagt habe, dass der frühere Staatssekretär Teil des Auftrags werden müsse. Im April geht eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft ein, die prüft, ob Ermittlungen aufgenommen werden. Rund acht Monate dauert die Prüfung, ehe nun bekannt wurde, dass gegen Böhning und McKinsey ermittelt wird.

Weswegen wird ermittelt?

Die Delikte, um die es in diesem Fall geht, heißen Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung; sie sind in den Paragraphen 331 und 333 des Strafgesetzbuches geregelt. Die verwandten Delikte Bestechung und Bestechlichkeit sind in den benachbarten Paragraphen 332 und 334 geregelt. Gemeinsam ist ihnen der Oberbegriff Korruption; der Unterschied ist jedoch, dass bei Bestechlichkeit und Bestechung eine Dienstpflicht verletzt wird. Bei Vorteilsannahme und -gewährung ist das nicht der Fall; es wird „nur“ im Rahmen der Dienstausübung ein Vorteil angenommen oder gewährt. Das muss nicht zwangsläufig Geld sein. So können Beraterverträge, aufgrund derer ein Näheverhältnis entsteht, durchaus den Tatbestand erfüllen, ebenso die sogenannten Anbahnungszuwendungen. Damit ist gemeint, dass eine Leistung erstmal unentgeltlich erbracht wird in der Hoffnung, danach einen lukrativen Auftrag zu ergattern. Genau dieser Verdacht steht auch hier im Raum. Die Beratungsfirma McKinsey hatte zunächst pro bono gearbeitet und danach einen bezahlten Auftrag erhalten. Kernfrage ist nun: Hat McKinsey bei Abschluss des Pro-bono-Vertrags die Erwartung gehabt, bei künftigen Auftragsvergaben bevorzugt zu werden, und konnte Böhning dies erkennen? Beweisen müsste dies die Staatsanwaltschaft. Die Abgrenzung zwischen gerade noch akzeptabel und strafwürdig dürfte allerdings schwierig werden.

Warum hat es so lange gedauert, bis ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde?

Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft hatte das damit zu tun, dass die rechtlichen Fragen schwierig zu bewerten waren. Es musste genug Material zusammengetragen werden, um einen Anfangsverdacht zu begründen; vor Eröffnung des Ermittlungsverfahrens konnten dafür aber nur allgemein zugängliche Quellen genutzt werden. Das ist jetzt anders. Jetzt kann „richtig“ ermittelt werden.

Der Fall könnte auch eine Belastung werden für die neue Rot-Rot-Grüne-Koalition im Roten Rathaus.
Der Fall könnte auch eine Belastung werden für die neue Rot-Rot-Grüne-Koalition im Roten Rathaus.

© dpa

Gibt es einen Promi-Bonus?

Ja, sagt ein Staatsanwalt, doch kehre sich dieser recht schnell in einen Malus um, wenn tatsächlich ermittelt werde. Bei bekannten Persönlichkeiten sei die Fallhöhe größer; Ermittlungen und die damit verbundene Berichterstattung könnten schnell die Existenz der Betroffenen bedrohen. Deswegen komme ein solcher Fall erst einmal ins Allgemeine Register, statt direkt ein staatsanwaltschaftliches Aktenzeichen zu bekommen. „Wenn es dann aber losgeht mit dem Verfahren gegen einen Prominenten, dann wird er nicht mehr geschont“, sagt der Ermittler.

Wie reagiert Böhning?

Der Chef der Senatskanzlei ließ seinen Anwalt Marcel Kelz zwei Stellungnahmen abgeben. Kelz kritisiert, dass die Justizverwaltung der Staatsanwaltschaft dabei vorgegriffen habe, die Ermittlungen offiziell zu bestätigen. Ihm und Böhning habe man noch nichts mitgeteilt; er habe auch keine Akteneinsicht nehmen können. Kelz moniert außerdem, dass CDU- Fraktionschef Florian Graf bereits von „erheblichen Vorwürfen“ spreche. Der Anwalt fragt, ob Graf diese Vorwürfe bekannt seien, denn dann müsse ein Geheimnisverrat geprüft werden. Böhning stehe weiterhin dazu, dass es damals notwendig gewesen sei, für eine menschenwürdige Versorgung der Flüchtlinge jede angebotene, erst recht ehrenamtliche Unterstützung anzunehmen.

Wie ist die Stimmung in der SPD?

Am Donnerstag soll Michael Müller (SPD) erneut zum Regierenden Bürgermeister gewählt und der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag unterzeichnet werden. Auch die Ernennung der Senatoren ist für diesen Tag geplant. Doch nun wirft der Fall Böhning einen Schatten auf den politischen Neubeginn. Berliner Sozialdemokraten sprachen am Donnerstag von einem „denkbar schlechten Start für die neue Regierung“. Noch verlangt niemand in der SPD Böhnings Entlassung. Man müsse den Ausgang der Ermittlungen abwarten, heißt es. Aber für Michael Müller kommen die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen seinen Senatskanzleichef zur Unzeit. Der Regierende Bürgermeister und SPD-Landesvorsitzende ist in den eigenen Reihen nicht unangefochten. Am Montag muss er beim SPD-Landesparteitag um ein Ja zum Koalitionsvertrag werben und zugleich einen Angriff auf die SPD-Senatorenriege abwehren. Ein Antrag des Kreisverbands Reinickendorf liegt vor, der eine Trennung von Amt und Mandat fordert. Dies würde vier amtierende und designierte Senatoren betreffen: Dilek Kolat, Matthias Kollatz-Ahnen, Andreas Geisel und Michael Müller selbst. Die Genossen argumentieren mit der Gewaltenteilung und sehen außerdem durch eine Personalunion die Fraktionsarbeit geschwächt, denn Senatoren stehen nicht als vollwertige Parlamentarier in den Ausschüssen zur Verfügung. Unklar ist, ob der Antrag auf dem Parteitag debattiert wird.

In den Arbeitsgemeinschaften und bei den Jusos ist zudem weiterhin Kritik über den politischen Stil von Michael Müller zu hören. Er würde Entscheidungen nur in seinem „inner circle“ treffen, sich nicht mit anderen Parteimitgliedern beraten. Und es gibt auch Unruhe wegen Müllers Personaltableau für den Senat. Der Regierende hat nicht nur an Finanzsenator Kollatz-Ahnen, sondern auch an seinem engen Gefolgsmann Andreas Geisel sowie an den Senatoren Dilek Kolat und Sandra Scheeres festgehalten.

Vor allem im linken SPD-Flügel rumort es. Geisel ist dort nicht gut angesehen. Auch an Kolat gibt es von den linken Genossen Kritik und die könnte auf dem Parteitag laut werden.

Wie reagieren die künftigen Koalitionspartner der SPD – Linke und Grüne – auf die Ermittlungen?

Im Frühjahr hatten die Grünen nach Einsicht in die Akten bezweifelt, dass Böhning keinen Einfluss auf Diwells Mitarbeit für McKinsey genommen hat. Im Gegenteil: Die Grünen-Politikerin Nicole Ludwig ging sogar davon aus, dass die Senatskanzlei die honorierte Mitarbeit Diwells in den schriftlichen Unterlagen verschleiern wollte. Auch Linken-Chef Klaus Lederer sagte nach Sichtung der Akten: „Es ist das Bemühen der Senatskanzlei deutlich erkennbar, dass der Name Diwell in möglichst keinem Papier auftauchen sollte.“

Grüne und Linke forderten damals Aufklärung. Jetzt ist man in beiden Parteien vorsichtig und will den zukünftigen Koalitionspartner SPD offenbar nicht kritisieren. Weder Lederer noch die designierte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop äußern sich zu den neuesten Entwicklungen. Aus beiden Fraktionen heißt es: „Wenn es Ergebnisse gibt, werden wir diese bewerten.“

Auch bei McKinsey äußert man sich dazu nicht.

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