zum Hauptinhalt

Berlin: Erschöpfte Raver schliefen mitten im MüllDr. Motte: Love Parade soll noch größer werden

Hunderte Tonnen Müll, völlig übermüdete Raver und riesige Staus auf den Ausfallstraßen durch nach Hause reisende Teilnehmer der weltgrößten Party. Rund 1,5 Millionen Menschen habe an der diesjährigen Love Parade teilgeneommen.

Hunderte Tonnen Müll, völlig übermüdete Raver und riesige Staus auf den Ausfallstraßen durch nach Hause reisende Teilnehmer der weltgrößten Party. Rund 1,5 Millionen Menschen habe an der diesjährigen Love Parade teilgeneommen. Erstmalig gab es dabei einen Toten. Über den Täter, der einen 27 jährigen Oranienburger erstach, gibt es nur vage Hinweise.Die Ermittlungen zu dem Mord auf der Love Parade haben bisher erst wenige Anhaltspunkte erbracht. Bei dem inzwischen identifizierten Opfer handelt es sich um einen 27jährigen Mann aus Oranienburg. Er wurde, wie berichtet, durch einen Stich mit einem Klappmesser, das ihm direkt ins Herz gestoßen wurde, am Sonnabend nach 18 Uhr nahe der Siegessäule getötet.Das Opfer war mit zwei Bekannten auf der Love Parade. Einer seiner Begleiter, ein ebenfalls 27 Jahre alter Mann aus Königs Wusterhausen, wurde bei der Auseinandersetzung ebenfalls schwer verletzt. Die Täter zerschlugen eine Flasche auf seinem Kopf und stießen ihm das Messer in den Bauch. Lediglich der dritte, ein 31jähriger Hamburger, blieb unverletzt, erlitt aber einen Schock. Die Mordkommission sucht nach drei 20 bis 25 Jahre alten Tatverdächtigen. Der Messerstecher soll schätzungsweise 1,75 bis 1,80 Meter groß und kurze, eventuell hellblond gefärbte Haare gehabt haben. Zeugen aus dem unmittelbaren Tatortbereich die möglicherweise sogar Videoaufnahmen angefertigt haben, werden gebeten, sich unter den Telefonnummern 699 32 772/-773 zu melden.Wie es zu der Bluttat kam, war für die Polizei gestern noch ein Rätsel: "Vielleicht haben sei einander angerempelt", sagte ein Ermittler. Man ging gemeinsam raus aus dem Menschengewühl der Love Parade, um am Rand den Streit zu klären. Plötzlich erhielt das erste Opfer den Schlag mit der Flasche und unmittelbar darauf wurde ihm das Messer in den Bauch gestoßen. Sekundenbruchteile später stach der Täter erneut zu und traf den Oranienburger ins Herz. Ohne das Messer aus dem Körper zu ziehen, flohen die Täter. Die Wiederbelebungsversuche der Ärzte in der Charité waren umsonst.Trotz dieser Bluttat zog der Bundesgrenzschutz (BGS) gestern eine überwiegend positive Bilanz der Love Parade. Als ein "absolutes Rekordergebnis" bewertete BGS-Sprecher Torsten Weidemann gestern die Tatsache, daß rund 365 000 Love-Parade-Besucher mit den Zügen der Bahn AG und der S-Bahn die Heimreise angetreten hatten. Die Züge waren bis zu 300 Prozent ausgelastet, zeitweise mußten sogar die Bahnsteige wegen des enormen Andrangs von Reisenden gesperrt werden. Im Bereich der Toilette des Regionalexpress RE 38161 nach Dessau legten Passagiere Feuer. Der Zug wurde in Wannsee gestoppt und geräumt. Die Reisenden mußten ihre Fahrt in anderen Zügen fortsetzen. Im Regionalexpress RE 38300 nach Rostock zog ein 21jähriger Rostocker zwischen den Stationen Oranienburg und Sachsenhausen sechsmal die Notbremse. Gegen ihn wurde Anzeige wegen Mißbrauchs von Nothilfemitteln erstattet.Aber nicht nur der Bahnverkehr wurde gestern von den Ravern dominiert, die nach der größten Open-Air-Disco der Welt wieder nach Hause fuhren, auch die Straßen aus Berlin hinaus waren von den Autos der Love-Parade-Teilnehmer blockiert. Die Avus war ab der Zufahrt am ICC blockiert und auf dem Zubringer zum Berliner Ring und auf dem Ring selbst dröhnten die Techno-Bässe aus den Lautsprechern der Raver-Autos.In den 24 Stunden zwischen Sonnabend 10 Uhr und Sonntag 10 Uhr zählte der BGS über 240 Straftaten, vorwiegend Taschendiebstahl und Diebstahl von Gepäckstücken. Aber auch 35 Sachbeschädigungen und 14 Drogendelikte wurden registriert. Es sei in vier vier Fällen zu gefährlichen Eingriffen in den Bahnverkehr gekommen, dabei sei aber niemand verletzt worden, sagte Weidemann, der das "gute Verhältnis zwischen Ravern und den eingesetzten BGS-Beamten" hervorhob.Die Berliner Polizei zog eine knappere Bilanz als der Bundesgrenzschutz. Es habe 100 Festnahmen unter anderem wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung und Drogenvergehen gegeben, sagte ein Beamter der Lagenzentrale der Polizei. Wegen verschiedener Delikte gab es zudem 150 Anzeigen, es seien auch 300 Platzverweise ausgesprochen und vorwiegend wegen gewerberechtlicher Verstöße 45 Ordnungswidrigkeitenanzeigen geschrieben worden. Der Malteserhilfsdienst leistete nach Darstellung der Polizei in 4521 Fällen Hilfe und brachte 337 Raver in Krankenhäuser.Wegen der Aufräumungs- und Reinigungsarbeiten in der Innenstadt verzögerte sich nicht nur der Busverkehr der BVG teils erheblich. Auch die Straße des 17. Juni und die Hardenbergstraße waren am vormittag gesperrt und machten teils langwierige Umleitungen notwendig. Nach den Worten von BVG-Sprecherin Barbara Mansfield fuhren die Busse erst seit 12 Uhr nach Fahrplan. Bei der U-Bahn gab es 673 zusätzliche Fahrten. Die BVG registrierte eine eingedrückte Scheibe und drei zertrümmerte Vitrinen in der U-Bahn-Station Wittenau. "Wenn Hertha BSC spielt, ist es schlimmer", sagte Barabara Mansfield. Die Sprecherin schätzte, daß 500 000 Raver am Wochenende mit Bussen, U- und Straßenbahnen gefahren sind. Dr. Motte: Love Parade soll noch größer werden Macher der Love Parade ziehen Bilanz / Wirtschaftssenator Branoner will runden Tisch einrichten oew Nach der Parade ist vor der Parade. Matthias Roeingh steht am Fuß der Siegessäule, blinzelt gegen das Licht der Mittagssonne, und ist von Kameras und Reportern umringt. Das wäre er nicht, wenn er nicht Dr. Motte wäre, einer derjenigen, die vor zehn Jahren die erste Love Parade organisiert haben. Von der Messerstecherei habe er erst nach Ende der Veranstaltung erfahren, die Love Parade sei trotzdem ein großer Erfolg, weil "so viele Menschen friedlich untereinander klarkommen." Zur Zukunft des Techno-Spektakels sagt er: "Wir ziehen eine zweite Ebene ein, damit noch mehr Leute kommen können."Alles wie gehabt. Am Tag danach versammeln sich zeitversetzt die wichtigsten Köpfe um die Auseinandersetzung der Love Parade zum Aprés-Rave. Dr. Motte ist wieder mächtig in Fahrt und redet dummes Zeug. Horst Porath, SPD-Baustadtrat im Bezirk Tiergarten, wiederholt gebetsmühlenartig seine Forderung: Weg mit der Love Parade aus dem wichtigsten Park der Stadt. Unterstützt wird er von grünen Bürgermeister Jörn Jensen. Alle drei sollen sich am Monatsende bei Wolfgang Branoner (CDU) an einem Tisch einfinden.Der Wirtschaftsenator möchte endlich Schluß machen mit der alljährlichen Debatte um die Love Parade, die Schäden im Tiergarten, den Müll und vor allem, wer für die Hinterlassenschaften des Riesen-Raves zahlt. Branoner weiß: Die ganze Stadt ist vom quälenden Streit genervt. Sollte er jedoch ernsthaft daran interessiert sein, die Fronten aufzubrechen, wird mehr Engagement nötig sein, als die Streithähne einmal zum Kaffeetrinken einzuladen. Denn: Sowohl Porath als auch Motte verharren auf ihren Positionen.Motte und Co. wollen nicht auf die telegene Route durch den Tiergarten verzichten, weil sich so die Fernsehbilder millionenschwer vermarkten lassen. Das wollen Porath und Jensen nicht mitmachen und werden auch im nächsten Jahr dazu beitragen, daß über Folgen und Nebenwirkungen debattiert wird. Das indes will niemand mehr hören, am allerwenigsten die Stadtreinigung (BSR), die immer wieder betont: nicht mehr Müll ist das Problem, sondern die Rechnung fürs Saubermachen.Was Branoner klären sollte: Wieviele Menschen verträgt der Tiergarten? Zwei Millionen? Mehr? Wo liegt die logistische Grenze für Partys dieser Art? Warum zahlt nicht der Senat die Rechnung für das Müllsammeln im Tiergarten, wenn er die Parade als politische Demonstration durchgehen läßt? Warum sind die Gartenbaudenkmalpfleger unter der Leitung von Klaus von Krosigk so auffällig ruhig, wenn zur Love Parade das wichtigste Landschaftsdenkmal der Stadt niedergetrampelt wird, gleichzeitig aber spielende Kinder vom Viktoria-Luise-Platz in Schöneberg gescheucht werden, weil sie angeblich den Rasen dort schädigen? Ist es wirklich nötig, daß die Fernsehbilder der Techno-Karawane mit den Berliner Insignien Siegessäule und Brandenburger Tor gespickt sind, oder lassen sich die Rechte nicht genauso teuer verkaufen, wenn die Parade anderswo stattfindet?

MICHAEL BRUNNER[MATTHIAS OLOWE], WERNERSCHMIDT

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false