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Erste Wahl 1990: "Kohl war für die Einheit"

Berlinerinnen und Berliner erzählen von ihrer ersten Wahl. 1990 war das Jahr der Einheit: Der ehemalige DDR-Bürger Harald Gohrock und Thomas Sanchez aus West-Berlin erinnern sich.

Der Erstwähler aus dem Osten

Mein Name ist Harald Grohrock. Ich bin 57 Jahre alt. Ich war also bei der ersten Bundestagswahl, bei der ich mitwählen durfte, schon 31 Jahre.

Woran ich mich am meisten erinnern kann, ist der Wahlkampf. Der war sehr intensiv und auch ein bisschen schmutzig. Da sehe ich ein Plakat noch sehr deutlich: Da standen die Buchstaben SPDSPDSPDSPDS. Das war von der CDU und das fand ich deshalb so schmutzig, weil die CDU damals versucht hat, alle linken Kräfte, also die SPD, die ja für weite Teile der CDU auch links war, mit der PDS in eine Reihe zu stellen.

Es war schon toll. Dass man in eine Wahlkabine geht, gehen muss, weil man sonst gar nicht hätte wählen können. Dass man sein staatsbürgerliches Recht wahrnehmen kann und da votiert. Das war natürlich eine tolle Erfahrung.

Noch nicht angekommen

Ich hatte noch nicht das Gefühl, so richtig in der Bundesrepublik angekommen zu sein. Nicht etwa, weil ich so große Sehnsucht nach der alten DDR hatte, sondern weil es mental ein Problem war, mich als Bundesbürger zu fühlen. Deshalb war die Regierung, die ich mitwählen durfte, noch nicht so richtig meine Regierung. Genauso wenig wie die Fußballmannschaft, die 1990 den Weltmeistertitel holte, meine Fußballmannschaft war.

Der emanzipatorische Gedanke, der da vielleicht mitschwingt, wenn man sich die Reden von Joachim Gauck anhört, den haben wir so nicht empfunden, weil wir damals doch sehr damit beschäftigt waren, unseren Alltag zu organisieren. Dieses staatsbürgerliche Hochgefühl, das man heute im Rückblick gern hineinlegt, das war für mich damals nicht so stark. Es gab schon einen Konsens.

Für meine Eltern gab es nur eine Partei

Es gab damals Aufkleber von der „Bild“-Zeitung. Da war die Bundesrepublik in ihrer neuen Gesamtheit abgebildet, mit einer schwarz-rot-goldenen Fahne unterlegt und da stand irgendwas mit Freiheit. Das klebte auf vielen Trabanten hinten drauf. Anders war es bei meinen Eltern oder Leuten, die dem alten System sehr nahe standen. Da war natürlich klar: Die wählen die PDS.

Kohl hatte das Glück, durch die Wende eine zweite Chance zu kriegen. Und er hat diese Chance mit Bravour genutzt. Er hat diese Wahl zu Recht gewonnen. Er hatte ein Programm. Die CDU war damals, was man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann, so was wie utopiefähig. Weil die Deutsche Einheit damals eine Utopie war. Und die CDU ist ganz klar mit dieser Utopie in die Wahl marschiert.

Eine linke Zukunft

Mein Herz ging so in Richtung Grün. Das fanden viele überhaupt nicht toll, die natürlich erstmal einen BMW haben wollen. Ich wollte weder Kohl, noch die CDU haben. Das sage ich ganz ehrlich. Der Satz mit den blühenden Landschaften war schon etwas arrogant.

Das Interesse an Politik ist gut. Was ich auch gut finde: Dass man heute wieder über Karl Marx nachdenkt. Dass es viele junge Leute gibt, die die Linken wählen. Dass man die Linke heute überhaupt wieder wählen kann. Weil diejenigen, die es uns damals unmöglich gemacht haben, die Linke zu wählen, langsam aus dem politischen Betrieb verschwinden. Und dass Platz ist für neue Ideen, das finde ich natürlich gut.

Der Erstwähler aus dem Westen

Ich heiße Thomas Sanchez und bin jetzt 46 Jahre alt. Meine erste Bundestagswahl war 1990, die Wahl zur Deutschen Einheit. Ich bin West-Berliner, bin im Schatten der Mauer aufgewachsen: Im Süden, in Zehlendorf, am Teltowkanal. Und wir haben dann plötzlich erlebt, dass die Brücke, die früher zur Hälfte gesperrt war und die man nachher gar nicht mehr betreten konnte, plötzlich wieder offen war. Dass sich das alles zusammenfügte. Dass der Teltower Damm nach Teltow führt. Das war eine neue Erkenntnis für uns.

Meine persönliche Situation befand sich damals auch gerade im Umbruch. 1990 war ich 20 geworden, hatte ganz frisch meine Ausbildung hinter mir, meine erste Wohnung bezogen. Aus dem beschaulichen Zehlendorf nach Schöneberg, Martin-Luther-Straße. Zehn Minuten zum KaDeWe. Man lebte plötzlich mitten in der Weltstadt, im Herzen der Stadt. Damals haben wir noch nicht Hauptstadt gesagt, das war sie ja nicht.

Das eine Thema

Das Hauptthema im Wahlkampf war die Deutsche Einheit. Ich kann mich an kein anderes Thema erinnern, dass irgendwie dominierend war. Die CDU mit Helmut Kohl und der damals in Ostdeutschland formierten „Allianz für Deutschland“ war ganz klar für die Einheit. Die SPD war nicht offen gegen die Deutsche Einheit. Ich hatte aber den Eindruck, sie wollte sie nicht.

Das mag ein falscher Eindruck sein, aber der Eindruck war bei mir da. Und sie sagte: Das kostet alles ganz viel. Damaliger Spitzenkandidat war Oskar Lafontaine, gerade Ministerpräsident im Saarland gewesen. Ich sag es mal bösartig: Der war so weit weg von allem, was mit Berlin und Deutschland und Deutscher Teilung zu tun hatte. Ich glaube dem wäre die Wiedervereinigung mit Frankreich lieber gewesen, als die mit der DDR. Rein regional, ich bitte das nicht falsch zu verstehen.

Es bleibt etwas Besonderes, das Recht zu haben, zu wählen. In vielen Ländern wünschen sich Menschen dieses Recht, gehen dafür auf die Straße. Wir haben das Recht hier und es ist erschreckend, wie viele Menschen es nicht wahrnehmen.

Jede Wahl ist besonders

Es ergab sich noch eine persönliche Wendung bei mir, dass ich 1992 in der Verwaltung des Bundestages angefangen habe. Damit ist natürlich jede Bundestagswahl etwas ganz besonderes, weil sie mein ganz persönliches Arbeitsumfeld verändert. Plötzlich sind da neue Leute, von der ein oder von der anderen Partei. Das nimmt man dann natürlich auch wahr.

Zeitweilig war ich dann auch am Wahltag im Bundestag involviert in der Betreuung von Korrespondenten und Berichterstattern. Seit mehreren Jahren bin ich das nicht mehr und kann wieder selber als Wahlhelfer arbeiten. Und bin jetzt auch wieder Wahlvorsteher bei Wahlen. So auch dieses Jahr. Das ist auch etwas Besonderes, aber den Stellenwert von 1990, den kriegen Sie nur einmal hin.

Aufgezeichnet von Muhamad Abdi und Hannes Soltau

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