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Erstochener Jugendlicher: Dreitausend Trauernde nehmen Abschied von Jusef El-A.

Der 18-Jährige Jusef El-A. wurde in Neukölln erstochen – nun fand die Trauerfeier statt. Zum Friedhof kamen so viele Menschen, dass die Polizei die Straße sperren musste.

Der Himmel ist grau, und über Neukölln liegt eine beklemmende Stille. Dabei sind doch etliche Menschen hier in der Flughafenstraße unterwegs. Bis auf die Straße stehen die Männer dicht gedrängt und beten. Es sind so viele zur Trauerfeier in die Dar-Assalam Moschee gekommen, dass die Polizei schließlich die gesamte Straße sperren muss und die BVG ihre Busse umleitet.

Über den Dächern von Neukölln ertönen Klagelieder. Dann zieht die Trauergemeinde weiter in Richtung Friedhof. Nur 400 Meter sind es bis zur Grabstätte an der Sehitlik Moschee.

„Es gibt keinen Gott außer Allah!“, skandieren einige. „Es gibt keinen Gott außer Allah!“ Dann heben sie den Holzsarg aus dem silbernen Mercedes und tragen ihn die letzen Meter per Hand zum Friedhof. Ganz langsam war das silberne Bestattungsfahrzeug vorher über den Columbiadamm gerollt – begleitet von knapp 3000 Menschen. Sie alle sind gekommen, um sich von Jusef El-A. zu verabschieden.

Der 18-Jährige war am Sonntag nach einer Auseinandersetzung in der Fritzi-Massary-Straße durch einen Messerstich getötet worden. Viele, die den Jungen kannten, stehen nun auf der platt getretenen Rasenfläche des Friedhofs. Die Familie, viele Freunde aus der „Weißen Siedlung“, wie das Hochhausviertel nahe der Sonnenallee genannt wird.

Es ist eine hektische Beisetzung, die an diesem Freitagnachmittag auf dem Friedhof am Columbiadamm folgt. Jeder drängt sich um den Sarg, will nahe dran sein, wenn Jusef bestattet wird.

Um sich ein Bild davon zu machen, wie der Leichnam ins Grab gelegt wird, klettern einige Männer sogar in die Bäume. Viele halten ihre Handykameras in die Höhe, um Fotos zu machen.

Frauen sind wenige anwesend. Im Islam ist ihre Teilnahme an der Bestattungszeremonie nicht verboten, aber unüblich.

Nach der Tat hatte es Rache-Androhungen gegeben.

„Jusef war ein Märtyrer“, ruft Imam Ferid Heider den Trauernden zu. Der junge Mann hätte in der Auseinandersetzung, die letztlich tödlich endete, versucht zu vermitteln. Keine Rache dürfe es geben, appelliert der Geistliche an die jungen Männer. Auch Jusefs Vater hatte sich während der Trauerfeier noch einmal an die Freunde und Bekannten seines toten Sohnes gewendet und zum Racheverzicht aufgerufen.

Denn in die Trauer der Freunde und Angehörigen mischt sich auch Wut. Der mutmaßliche Messerstecher Sven N., 34, ist nach der Tat wieder auf freiem Fuß. Gegen ihn war kein Haftbefehl erlassen worden, weil die Staatsanwaltschaft derzeit von Notwehr ausgeht.

Wie sich das Ganze am Ende des Verfahrens darstellt, ist allerdings noch nicht abzusehen. Sollte nach Abschluss der Ermittlungen zweifelsfrei feststehen, dass es Notwehr war, wird das Verfahren eingestellt. Wenn dies nicht der Fall ist, käme es auch zur Anklage, erklärt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Silke Becker.

Seit Sonntag waren tagtäglich bis tief in die Nacht Trauernde an den Tatort in der Fritzi-Massary-Straße gekommen, um Blumen und Kerzen für den toten Jusef El-A. niederzulegen. Dies allerdings stößt bei den Anwohnern auf Unbehagen: Bei einer Informationsveranstaltung der Polizei im Wohngebiet rund um den Tatort klagten viele der Bewohner, dass die Situation für sie belastend sei. Stets seien sie mit den furchtbaren Geschehnissen konfrontiert, einige fühlen sich zudem von den Menschenmassen beobachtet. Vereinzelt soll es zu verbalen Auseinandersetzungen mit den Jugendlichen gekommen sein – die Mehrheit würde jedoch still und traurig ihres Freundes gedenken.

Eine Zeit lang müsse die jetzige Situation mit der Trauerstätte beibehalten werden, sagte ein zuständiger Polizeibeamter. Allgemein werde derzeit diskutiert, ob ein Gedenkstein aufgestellt werden könne, der ein Stück von den Häusern der Anwohner entfernt liegt.

Wie andächtig das Gedenken sein kann, zeigt sich auch in den letzen Minuten der Bestattungszeremonie. Viele haben den Friedhof gegen halb sechs schon verlassen. Friedlich und ruhig stehen jetzt nur noch die engsten Freunde am Grab.

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