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Berlin: „Es geht um die Bekämpfung der blanken Not“

SPD-Fraktionschef Michael Müller über längere Hochschulverträge, höhere Kita-Gebühren und Aufsichtsräte ohne Sachverstand

Herr Müller, wie modern ist die Berliner SPDFraktion?

Wir sind sehr modern – und problemorientiert. Die SPD-Abgeordneten sind bereit, Tabus aufzubrechen, um zu vernünftigen Problemlösungen für die Stadt zu kommen.

Es soll Sozialdemokraten geben, die den harten Sparkurs und die Tarifpolitik des Senats als ziemlich unmodern empfinden.

Es geht nicht um irgendwelche Moden. Es geht um die Bekämpfung der blanken Not.

Was ist an der Privatisierung öffentlicher Leistungen und der Kündigung von Tarifverträgen noch sozialdemokratisch?

Sozialdemokratisch ist es, eine gerechte Balance zwischen den unterschiedlichen Interessen zu erhalten und politische Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Zum Beispiel in der Bildungs- und Hochschulpolitik.

Im Streit um Finanzen und die Rolle des Staates fällt die Berliner SPD jetzt aber in alte Muster zurück. Sie zerfällt wieder in zwei Lager…

…das sehe ich nicht. Es wird auf unserem Landesparteitag am 17. Mai sicher eine harte Debatte über die bundespolitische Entwicklung und die Reformpolitik in Berlin geben. Aber die Landes-SPD hat seit Mitte der neunziger Jahre einen großen Schritt nach vorn gemacht. Wir diskutieren jetzt offen über Themen, die früher tabu waren. Trotzdem muss man genau hingucken: Was kann man wem abverlangen? Einem Teil der öffentlich Bediensteten kann ich sehr wohl abverlangen, auf Teile des Weihnachtsgeldes zu verzichten. Anderen nicht.

Guckt der Finanzsenator auch so genau hin?

Die Vorschläge, die Thilo Sarrazin macht und die öffentlichen Debatten, die er anstößt, machen jedesmal deutlich, vor welchen Problemen Berlin steht. Trotzdem wird der Finanzsenator auch in Zukunft nicht die Richtlinien der Regierungspolitik bestimmen.

Jeder Sparbeschluss verschafft der rot-roten Koalition neue Gegner. Zurzeit stehen die Hochschulen auf den Barrikaden.

Mit den Hochschulen werden wir schon wieder auf einen gemeinsamen, vernünftigen Weg kommen. Dabei steht die langfristige Absicherung des Hochschulstandorts Berlin im Vordergrund; die Universitäten und Fachhochschulen brauchen Planungssicherheit. Vorstellbar sind zum Beispiel Hochschulverträge mit längeren Laufzeiten.

Die Eltern kleiner Kinder wollen auch Planungssicherheit. Werden die Kita-Gebühren auf das Hamburger Niveau angehoben?

Ich denke nicht. Die Hamburger machen schon ab den mittleren Einkommensgruppen große Sprünge in der Gebührentabelle. In Berlin sollten wir weiterhin auf sehr niedrigem Gebühren-Niveau einzusteigen und erst bei den richtig hohen Einkommen die Kostenbeteiligung deutlich zu erhöhen. Die Berliner mit mittleren Einkommen haben auch in anderen Bereichen die Grenzen der finanziellen Belastbarkeit längst erreicht. Da ist kaum noch Spielraum.

Die SPD bricht angeblich alle Tabus. Nur die landeseigenen Wohnungsunternehmen bleiben ihr heilig…

Richtig ist, dass die Berliner SPD Anfang der neunziger Jahre die Privatisierung öffentlicher Wohnungsbestände abgelehnt hat. Auch wegen der schlechten Wohnungsversorgung. Inzwischen gibt es über 100 000 freie Wohnungen in der Stadt und ideologische Barrieren wurden beiseite geräumt. Aber die Marktlage ist schlecht und es macht keinen Sinn, Wohnungsbestände zu Niedrigpreisen zu verschleudern.

Und bis sie verkaufbar sind, wirtschaften die hoch verschuldeten Wohnungsbaugesellschaften weiter wie bisher?

So wie bisher können die Wohnungsunternehmen nicht weiter arbeiten. Sie müssen ihre Strukturen ändern, und in den Vorständen und Aufsichtsräten muss mehr wirtschaftlicher Sachverstand vertreten sein.

Stadtentwicklungssenator Strieder will alle Wohnungsunternehmen unter das Dach einer Holding bringen. Was bringt das?

Es könnte helfen, Verwaltungskosten einzusparen. Aber der riesige Tanker Wohnungswirtschaft muss steuerbar bleiben. Ich bin skeptisch, ob eine Holding das leisten kann.

Die SPD/PDS-Koalition diskutiert über viele Projekte, kommt aber dabei nur mühsam voran. Nehmen wir beispielsweise die zentrale Anlaufstelle für die private Wirtschaft, die One-Stop-Agency: Es gibt sie bisher nur auf dem Papier.

Die geplante Struktur ist richtig, aber es müsste schneller vorangehen. Wir brauchen dringend eine Entscheidung, wer die One-Stop-Agency führen wird. Es sollte auch überlegt werden, die Technologiestiftung einzubeziehen, die ein wichtiger Ansprechpartner für Unternehmen in den Zukunftsbranchen ist. Ich plädiere für eine ganz enge Kooperation.

Ist der Wirtschaftssenator Wolf nicht durchsetzungsfähig? Man merkt wenig von ihm.

Als verlässlicher Gesprächspartner, der sich um die Abarbeitung der Probleme bemüht, wird Harald Wolf von den Unternehmern sehr geschätzt. Manche Entscheidungen könnten aber schneller getroffen werden, und um die kleinen und mittleren Unternehmen muss sich der Senat mehr kümmern.

Sie kritisieren den Kollegen von der PDS sehr zurückhaltend und freundlich. Dabei ist das Koalitionsklima doch in den letzten Wochen frostiger geworden.

Man spürt, dass die bundespolitische Debatte innerhalb der PDS an den Berliner Landespolitikern der PDS nicht spurlos vorübergeht. Deshalb gibt es manchmal Aufgeregtheiten, die unnötig sind. Trotzdem: Bei den großen, wichtigen Themen haben wir nach wie vor keine Differenzen. Das Koalitionsklima ist gut.

Derweil zerbröselt Ihnen der Koalitionspartner PDS unter den Händen.

Die Bundes-PDS war nie mein Ansprechpartner. Die SPD braucht in der Landespolitik einen verlässlichen Partner. Den haben wir. Es gibt keinen Grund, nervös zu werden.

Vielleicht droht bald Schwarz-Grün?

Das wird noch lange eine Gespensterdebatte bleiben.

Das Gespräch führte Ulrich Zawatka-Gerlach.

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