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Bernd Palenda (52), ist seit dem 19. November kommissarischer Leiter der Abteilung Verfassungsschutz beim Innensenator. Der Jurist war zuvor für die Aufsicht über den Polizeivollzugsdienst zuständig. Foto: dapd

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Berlin: „Es gilt ein Schredderstopp“

Berlins neuer Verfassungsschutzchef Bernd Palenda über vernichtete Akten, die Aufstockung der Behörde und die rechtsextreme Terrorgefahr.

Ist die Leitung des Berliner Verfassungsschutzes Ihr Traumjob?

Als ich vor 22 Jahren beim Verfassungsschutz als Referent angefangen habe, hätte ich mir nicht vorstellen können, mal die Funktion des Leiters zu bekleiden. Das ist eine Herausforderung, der ich mich gerne stelle.

In welchem Zustand befindet sich die Behörde nach dem vorzeitigen Abschied der langjährigen Chefin Claudia Schmid?

Die Abteilung Verfassungsschutz befindet sich in einem guten Zustand. Frau Schmid hat die Behörde so aufgestellt, dass sie ihre Aufgaben und Herausforderungen bewältigen kann. Aber der Innensenator hat ja bereits darauf hingewiesen, dass es auch Probleme gibt. Darum müssen wir uns kümmern.

Sehen Sie eine Möglichkeit, den Inhalt der unerlaubt vernichteten Akten zum Rechtsextremismus rekonstruieren zu können?

Das wird nur begrenzt möglich sein. Die Vernichtung von Akten erfolgt im Regelfall gründlich, da bleibt außer Schnipseln nichts übrig. Wir fragen aber weitflächig andere Verfassungsschutzbehörden, ob von den Informationen, die wir früher aus den Akten übermittelt haben, noch etwas vorhanden ist. Ich gehe davon aus, dass die anderen Verfassungsschutzbehörden, sollten sie etwas finden, uns das zuleiten und dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages.

Haben Sie schon Rückmeldungen bekommen, was woanders noch vorhanden ist?

Bislang nicht. Es ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei den Informationen aus den geschredderten Akten um Themen handelte, die sehr lange zurückliegen, wie die Aktivitäten der rechtsextremen Band Landser und der im Jahr 2000 bundesweit verbotenen Skinhead-Organisation Blood and Honour. Ich hoffe aber, wir erhalten genügend Informationen und Rückläufe, um darstellen zu können, dass die geschredderten Akten keinen Bezug zur Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund hatten.

Wie groß ist der Schaden, der durch die Berliner Schredderaktion entstanden ist?

Schaden ist vor allem für das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden entstanden. Das verlorene Vertrauen müssen wir zurückgewinnen.

Wie soll das passieren?

Wir wollen noch transparenter werden. Das gilt nicht nur für den Umgang mit den Parlamentsausschüssen, sondern mit der Öffentlichkeit überhaupt.

Ist jetzt sichergestellt, dass keine weiteren Akten zu Neonazis verloren gehen?

Die Mitarbeiter des Berliner Verfassungsschutzes sind unterrichtet, dass es keine Vernichtung von Akten aus dem Beobachtungsbereich Rechtsextremismus mehr geben darf. Außerdem ist sichergestellt, dass das Landesarchiv in einem ordentlichen Verfahren alle Akten erhält und dann selbst auswählen kann, was es behalten möchte und was nicht. Bei Dokumenten zum Rechtsextremismus gilt auch weiter ein Schredderstopp.

Was muss an der Struktur des Verfassungsschutzes geändert werden?

Die Grundstruktur ist in Ordnung. Andererseits ist da seit dem Jahr 2000 nichts mehr geändert worden, deshalb überlegen wir schon, wo Reformen nötig sind. Als erste Maßnahme habe ich in Absprache mit dem Senator die Schaffung eines eigenen Referates Rechtsextremismus angeordnet. Bislang waren Rechts- und Linksextremismus in einem Referat. Die Stelle des neuen Referatsleiters Rechtsextremismus wird in zwei, drei Wochen ausgeschrieben. Dass wir ein eigenes Referat einrichten, zeigt, dass wir dem Thema Rechtsextremismus Priorität einräumen.

Warum erst jetzt? Rechtsextremisten fallen immer wieder mit Straftaten bis hin zu Brandanschlägen auf.

Das hatte der Verfassungsschutz auch in der Vergangenheit im Blick. Aber die strukturelle Änderung ist auch eine Konsequenz aus den Erkenntnissen der NSU-Untersuchungsausschüsse im Bund und in mehreren Ländern. Wir müssen uns noch intensiver mit der rechtsextremen Szene auseinandersetzen. Deshalb nimmt der Berliner Verfassungsschutz auch eine personelle Verstärkung vor. Das neue Referat Rechtsextremismus wird fünf neue Planstellen erhalten. Das ist für eine Behörde mit bislang knapp 200 Mitarbeitern schon viel.

Nimmt dann die Beobachtung von Linksextremismus und Islamismus ab?

Nein. Der Verfassungsschutz wird ja insgesamt aufgestockt, so dass Linksextremismus und der gewaltbereite Islamismus mit unverminderter Intensität beobachtet werden.

In der Öffentlichkeit wird der Einsatz von V-Leuten kritisch diskutiert. Halten Sie die Spitzel weiter für notwendig?

Ich bin fest davon überzeugt, dass der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem nur funktionieren kann, wenn er über V-Leute Informationen aus extremistischen und terroristischen Milieus bekommt.

Wie kommt der Verfassungsschutz, der nicht nur in Berlin, sondern bundesweit seit dem NSU-Desaster an Vertrauen verloren hat, aus der Krise heraus?

Er muss stärker als bislang Ansprechpartner für die Bürger sein. Er muss mehr Hilfe bei der Verteidigung der Demokratie gegen Extremisten bieten. In der Prävention und Öffentlichkeitsarbeit wird es nicht nur um extremistische Gefahren gehen, sondern um den Einsatz für demokratische Ziele überhaupt.

Sehen Sie angesichts der vielen rechtsextremen Gewalttaten in Berlin eine Gefahr, dass Neonazis auch hier in den Terrorismus abdriften?

Im Augenblick ist in Berlin eine terroristische Bestrebung im Sinne einer Braunen Armee Fraktion nicht zu erwarten. Dennoch sehen wir mit Sorge, dass Gruppierungen wie der Nationale Widerstand Berlin eine erhebliche Gewaltbereitschaft zeigen, bis hin zu militanten Aktionen gegen Demokraten und Linksextremisten.

Das Interview führte Frank Jansen

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