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Mark Espiner erfährt von den Leuten, die mit ihm in Schönefeld starten und landen, jede Menge über Berlin.

© dpa

Espiners Berlin: Berlin aus der Luft

Tegel macht nicht zu und Willy Brandt nicht auf, trotzdem erfährt Mark Espiner von den Leuten, die mit ihm in Schönefeld starten und landen, jede Menge über Berlin – zum Beispiel, warum bald ein paar Russen Ihre Miete kassieren könnten.

Sogar ich wurde von der Tegel-Nostalgiewelle mitgerissen – was eher seltsam war, da ich kaum von Tegel fliege oder dort lande. Letzten Monat bin ich dann doch dort gelandet, mit dem Gedanken, dass es wohl das letzte Mal gewesen sein wird. Mit dem drohenden Verlust vor Augen, verloren in einer Schwärmerei, dokumentierte ich Tegel im Retrostil. Was halten Sie von meinen imitierten Polaroid Schnappschüssen des bald stillgelegten Flughafens? Naja, jetzt haben wir ja doch noch ein Jahr, um uns daran zu erfreuen.

Ich werde mich jetzt nicht ewig über diesen vielgeliebten Flughafen auslassen: dass er nach dem Vogelmann von Berlin benannt ist, dass seine Architektur wie ein Lego Star Wars Modell aussieht (wirklich, das tut sie, sehen Sie hier) oder dass er in 90 Tagen von den Berlinern selbst gebaut wurde. Das wird alles im Tegel-Nachruf stehen, wenn der Flughafen dann schlussendlich verschieden ist.

Man kann sich allerdings nur schwer vorstellen, dass irgendjemand bei dem Gedanken an das Verschwinden von Schönefeld sentimental werden sollte. Ich aber fühle mich von diesem weniger geliebten Flughafen seltsam angezogen, dem schäbigen Cousin von Tegel und Tempelhof. Und da ich sie für Tegel gemacht habe, gibt es hier meine nostalgischen Fotos auch von dem Flughafen, der einst Aeroflot beherbergte, und nur Flüge abfertigte, die in benachbarte kommunistische Länder gingen – und jetzt der billigste Weg von und nach Berlin ist.

In diesem Augenblick schreibe ich all das hier hoch in der Luft. Über dem linken Flügel glänzt der Fernsehturm und darunter ausgebreitet liegt Berlins glitzernde Seenkette.

Der Blick durch die Luke ist nicht das einzige Bild von Berlin, das ich bei meinen Flügen von Schönefeld bekomme. Die Fluggäste, neben denen ich am Ende sitze (nach dem Anstellen für's Flugzeug auf unnachahmlich deutscher Weise), geben mir eine fantastische Momentaufnahme davon, wohin sich diese Stadt bewegen wird, welchen Platz sie in der Vorstellung und den Gefühlen der Leute, die sie besuchen oder dahin nach Hause kommen, einnimmt.

Espiner hat Retro-Fotos von Schönefeld und Tegel gemacht:

Gerade eben habe ich mich mit Daddy Freddy unterhalten. Einem Rapper, der als Schnellster der Welt im Guinness Buch der Rekorde verzeichnet ist. Er ist vor ein paar Tagen in einem Club in Friedrichshain aufgetreten – ist jetzt auf dem Weg nach Tokio, um mehr Konzerte zu geben – um dann wieder im Juni in Kreuzberg zu sein (wo er einmal gewohnt hat). „Berlin ist cool“, sagt er mit seinem jamaikanischen Akzent und erzählt mir, wo ich das beste jamaikanische Essen in der Stadt bekommen kann. Ich werde darüber schreiben, wenn ich dort war.

Daddy Freddy ist positiver eingestellt und eine ganze Welt entfernt von der Meinung eines eminenten Professors und Akademikers aus Cambridge, der fast schon Rock Star-Status bei seinen Studenten hatte. Er saß vor ein paar Monaten neben mir, bei einem EasyJet-Flug von London Luton nach Berlin. „Aus Berlin ist eine zweitklassige amerikanische Stadt geworden“, spuckte er aus, bevor er über die Vor-Wende-Zeiten ins Schwärmen geriet, als er an der Humboldt Universität Vorlesungen hielt und es liebte, in Ost-Berlin spazieren zu gehen und dessen Ungewöhnlichkeit genoss. Er mag Berlin nicht mehr so sehr, obwohl er immer noch zu Vorlesungen hierher kommt. Er war allerdings auch nicht glücklich über das Vereinigte Königreich, dessen Werdegang ihn schockierte und für das er nur die Bezeichnung „Sizilien, nur ohne Charme“ übrig hatte. Ich denke, er meinte damit das Treiben der Superreichen, der Presse und Polizei in Großbritannien.

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Mark Espiner

© Thilo Rückeis

Von Rappern und Akademikern abgesehen, bin ich mit dem Mann, der Banksys Skulpturen anfertigt, easy gejettet; mit einem Tattookünstler, der seine Zähne in Polen mit Metallzähnen ersetzen lassen wird (Metall-Zahntechnik ist dort anscheinend wirklich günstig); einem Computerprogrammierer, der hierher gezogen ist, um auf dem Start-Up Tsunami von Prenzlauer Bergs „Silicon Allee“ mitzureiten; einem Neurowissenschaftler aus Dahlem; einem Roboterexperten; einem Mann, der sein ganzes Jahreseinkommen mit seinen Ständen auf den Weihnachtsmärkten in nur wenigen Wochen macht und einem britischen Ingenieur, der für seine Arbeit von Bristol nach Berlin pendelt, um dort für die einst britischste aller Firmen zu arbeiten, die nun in Berlin Brandenburg stationiert ist – Rolls Royce.

All diese Leute sind ein interessantes Volk, das nach Berlin kommt und geht, und das auch in gewisser Weise das kulturelle und industrielle Kapital mitgestaltet. Aber keiner der oben genannten wird wirklich das, was Berlin ist, fundamental verändern.

Dann jedoch traf ich einen sehr elegant gekleideten, charismatischen Typen aus London. Wir sprachen über Berlin und was er hier so mache, und er erzählte mir, dass er einem Kunden beim Immobilienkauf helfe. Ah, ein Immobilienmakler also, fragte ich. Nein, antwortete er, nicht ganz. Er war damit einfach von seinen russischen Kunden betraut worden, als einer der die Stadt kennt und mit den Immobilienagenturen vor Ort verhandeln kann. Als wir uns unterhielten, kam heraus, dass seine Kunden nicht irgendwelche x-beliebigen Kunden waren. Sie waren reiche Russen. Sehr reiche Russen. Und er half ihnen auch nicht nur irgendein x-beliebiges Penthouse zu kaufen. Das ganze Ausmaß wurde deutlicher, als er sagte, einer seiner Kunden hätte schon 3000 Wohnungen in Amerika. Ich sage es nochmal: einer seiner Kunden besitzt bereits 3000 Wohnungen in Amerika – und war gerade dabei, seine ersten paar hundert in Berlin zu kaufen. Das Hauptkriterium für Berlin war eine gutes Einkommen aus den Mieteinnahmen der Ankäufe. Ein Wohnungsblock, der für ein paar Millionen Euro gekauft wurde, sollte die Ausgaben durch Mieteinnahmen innerhalb von ein paar Jahren wieder hereingewirtschaftet haben, erzählte er mir. Und Berlin wäre reif für solche Geschäfte.

Da haben Sie es. Berlin wird stückweise verkauft und an Sie vermietet. Das könnte auch eine weitere Ursache für die steigenden Mieten erklären. Und dann ist da ja die ganze Ironie – dass die Russen die Stadt vor einem halben Jahrhundert an sich reißen wollten, die Hälfte davon auch bekamen, diese jedoch dann wieder an Deutschland verkauften und sich nun Berlin wieder langsam zurückkaufen.

Ich denke, Sie Berliner könnten nicht zum ersten Mal sagen: „Die Russen kommen.“

Sie können Mark Espiner eine Email schreiben unter mark@espiner.com oder ihm auf Twitter folgen unter @deutschmarkuk. Seine Kolumnen können Sie hier auch im englischen Original bei uns lesen.

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