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Mit der Auswahl in deutschen Supermärkten ist Mark Espiner nicht wirklich zufrieden.

© dpa

Espiners Berlin: Der London-Berlin-Krieg der Supermärkte

Mark Espiner vermisst die Würzpaste Marmite, ist besorgt um den Londoner Klassenkampf in Supermärkten und fürchtet, dass ihn die Spargel-Geheimpolizei festnimmt.

Wenn es eine Sache gibt, die unsere beiden Länder vereinigt, dann ist es die Tatsache, dass der Rest der Welt über unsere jeweiligen Küchen lacht. Es erscheint grausam, dass Englands größter kulinarischer Beitrag, die Pommes (the Chip), von einem Nachbar, den wir beide so gerne belächeln - den Franzosen - gestohlen und in French Fry umbenannt wurde. Typisch.

Sie, im Gegensatz, müssen Wurst-Witze über sich ergehen lassen. Und obwohl die Engländer die Kartoffel in Europa eingeführt haben, wurde sie von keinem so enthusiastisch aufgenommen wie von Ihnen, den Krauts - Entschuldigung, aber das ist natürlich nett gemeint, während ich gleichzeitig auf eine weitere Ihrer (und nur Ihrer) Lieblingsspeisen anspiele.

Sie haben aber auch kulinarischen Patriotismus. Berlins Spargel-Geheimpolizei (die Spargi?) scheint jederzeit bereit zu sein, all die wegzusperren, die nicht während der Saison die tägliche Portion mit Genuss in sich hineinstopfen. Und ich habe Angst, einen Streit anzuzetteln, wenn ich sage, dass Buletten nicht gut genug sind, um sich einen Teller mit einem hervorragenden Döner zu teilen - obwohl der letztere sogar in Berlin erfunden wurde.

Essen in Berlin einzukaufen, bringt aber noch andere Dinge zum Vorschein. In Großbritannien sind die Supermärkte ein fein eingestelltes Messinstrument unseres kalibrierten Klassensystems. In absteigender Reihenfolge an Eleganz (und entsprechend dem Konsens im Internet) sind es: Waitrose, Sainsbury's, Tesco, Asda, Co-Op, Morrison's, Iceland, Lidl und Aldi. Es ist nicht persönlich gemeint, dass Sie Deutschen am Schluss stehen. Sie gewinnen vielleicht bei den Autos, wir aber bei den Supermärkten. Es gibt einen Witz, keinen sehr netten, der den bösartigen Snobismus im Zusammenhang mit britischen Supermärkten zur Schau stellt: "Was ist das Beste an Sainsbury's? Es hält den Abschaum von Waitrose fern."

Gibt es so etwas auch in Berlin? Oder gibt es hier eine klassenlose Gesellschaft, wenn es ums Essen einkaufen geht? Existiert Supermarkt-Snobismus in der deutschen Hauptstadt? Hält Lidl die geschmacklosen Horden von Aldi fern oder umgekehrt? Oder sorgen Aldi und Lidl (was ich von nun an Aldidl nennen werde) zusammen dafür, dass Rewe frei von "Abschaum" bleibt? Ich habe gehört, dass es hier einen Trend bei den Gutsituierten gibt, bei Aldidl einzukaufen, in einem vereinigten Gefühl von Geiz. Und es gibt das beständige Gerücht, dass Aldidls Produkte Topqualität besitzen. Wirklich?

Wo gibt's guten Hummus? Wo Baked Beans oder Chiliflocken?

Mark Espiner meint: "Berlin, es ist Zeit für einen Realitäts-Check. Die East Side Gallery ist keine Galerie."
Mark Espiner meint: "Berlin, es ist Zeit für einen Realitäts-Check. Die East Side Gallery ist keine Galerie."

© Thilo Rückeis

Ich dachte mir jedenfalls, dass es da doch Potential für eine Sozialstudie über Berlins Supermärkte geben müsste, nachdem ich beobachten konnte, dass Netto am Alexanderplatz zum Beispiel für die am meisten gepiercten und oft schlimm betrunkenen Kunden da ist, mit manchmal abgelaufenen Produkten (oder schon geöffneten) in den Regalen, aber dafür einen ganzen Einkaufskorb voll für nur ein paar Euro bietet. Kaiser's auf der Straße gegenüber hingegen hat eher sedierte Kunden, die aus einer großen Anzahl an verschiedenen Bionudeln auswählen können. Ist Kaiser's Deutschlands Waitrose? Oder ist es Rewe? Oder hält Rewe den "Abschaum" von LPG fern?

Die bemerkenswerteste Sache allerdings, die ich immer feststelle, wenn ich nach London zurückkehre, ist die viel größere Auswahl in den Supermärkten dort. Ich behaupte nicht, dass dies eine gute Sache ist, aber es ist wahr. Und es erinnert mich an meine Deutschlehrerin aus dem ehemaligen Ostberlin, die mir erzählte, dass sie sich in Schockstarre vor der enormen Auswahl des Joghurtregals eines Hamburger Supermarktes wiederfand, nachdem sie in den Westen geflohen war. Wer braucht so viel Auswahl, fragte sie sich damals. Aber da ist es nun: Es gibt in London so viel mehr, mit dem man sich vollstopfen kann. Und es gibt das Phänomen - das erst in Berlin ankommen muss - bei dem sich Starköche an Supermärkte anschließen und neue Produktlinien anbieten, die dann wiederum willig von den Briten verspeist werden.

Mir ist es eigentlich egal, wer wo einkauft oder ob Jamie Oliver vielleicht einmal nach Berlin kommt, um Edeka-Kunden zu erklären, wie man Pukka-Bratwurst macht. Ich möchte nur ein paar Dinge hier bekommen können, die Supermärkte einfach in ihrem Sortiment verweigern. Guten Hummus. Gemahlenen Kreuzkümmel. Frischen Koriander. Chiliflocken. Chilis generell, trocken oder frisch. Thai Curry Paste. Lammhackfleisch. Lammfleisch, das nicht zur Unkenntlichkeit mariniert wurde. Baked Beans. Marmite. Die letzten beiden sind feine britische Delikatessen, die Sie unbedingt einmal versuchen sollten; und die jeder clevere Shop auf Lager haben sollte, für die immer größer werdende Anzahl an britischen Immigranten. Für den Fall, dass Sie Marmite (eine Hefepaste) eklig finden, versuchen sie es weiterhin, es ist ein Geschmack, den man erst erlernen muss. Gibt es dafür eigentlich ein deutsches Pendant?

Es sind jedoch nicht die Supermärkte, die ich vermisse. Es sind die lebhaften, unterschiedlichen Londoner Kulturen mit Ihren Gemeinschaften, bei denen man alles kaufen kann, was man für jedes beliebige ethnische Gericht benötigt: alle Zutaten für die libanesische Küche in der Edgware Road, Curryblätter und indisches Gebäck in der Brick Lane, portugiesische Vanillepudding-Kuchen und gesalzener Kabeljau in Notting Hill. Und ich wage zu sagen, das beste türkische Essen gibt es in Stoke Newington, nämlich hier in meinem Lieblingsrestaurant, dem Numara Bos Cirrik II. Um wirklich fair zu sein, hat die britische Küche eigentlich all diese Einflüsse aufgenommen und sich von Fish'n'Chips oder fleischigen Pies weiterentwickelt. Chicken Tikka Masala gilt mittlerweile als Nationalgericht. Sie Berliner haben fantastische türkische und südostasiatische Läden (gutes Antidot zu den korianderfreien Supermärkten), aber ich muss erst noch andere ethnische Enklaven entdecken.

Dann gibt es noch die zahlreichen, ganz speziellen Lebensmittelgeschäfte, die in jüngerer Vergangenheit in London wie aus dem Boden geschossen sind und die hier nicht vorhanden sind, wie es scheint. Hat Berlin einen vergleichbaren Käseshop oder so einen Liebhaberladen für spanische Delikatessen? Vielleicht sind sie ja in Hinterhöfen versteckt - wenn ja, dann werfen Sie doch Ihren Berliner Instinkt über den Haufen und teilen das Geheimnis mit mir.

In der Zwischenzeit importiere ich meine lebensnotwendigen Vorräte an Marmite selbst, sowie vegetarische OXO-Würfel für Freunde. Zu meinem nächsten Londonbesuch werde ich mir außerdem einen großen Koffer mitnehmen, um all die Dinge, die ich hier nicht bekommen kann, zu kaufen. Ich nehme auch Bestellungen an, Sie können mir gerne emailen. Aber ich handle auch in umgekehrter Richtung, und zwar mit der in Deutschland erhältlichen Koo Orangenmarmelade. Alle britischen Freunde, die mich hier besucht haben, sind seitdem süchtig danach. Schon lustig, dass ich nun so ein typisch britisches Frühstücksprodukt wie Orangenmarmelade nach England einführe. Was kommt als nächstes? Currywurst in Camden?

Eigentlich ist das eine gute Idee! Vielleicht ist der Weg zu einem guten Ruf unserer jeweiligen Küchen, sie multikulturell zu erweitern und zusammen einen anglo-germanischen Gerichte-Mix zu entwickeln. Darf es etwas Sauerkraut mit Chips sein?

Sie können Mark Espiner eine Email schicken unter mark@espiner.com oder ihm auf Twitter folgen @deutschmarkuk. Seine Kolumnen können Sie hier auch im englischen Original bei uns lesen.

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