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Mark Espiner

© Thilo Rückeis

Espiner's Berlin: Eine Stadt in königlicher Verzückung

In Berlin werden Demonstrationen gegen Gentrifizierung veranstaltet, die Massen erscheinen, wenn ein besetztes Haus geräumt werden soll, und gleichzeitig fiebern sie mit Kate und William mit und feiern so die Aristokratie. Konnte das wahr sein?

Vergessen Sie die Straßenproteste, die kürzlich in London stattfanden, die Versuche, das ungerechte Wahlsystem zu modernisieren oder all die anderen Debatten über die Vorzüge der Leistungsgesellschaft. Wenn es um königliche Veranstaltungen geht, scheint die Mehrheit meiner britischen Landsleute, oder Untertanen (da sie immer noch, zumindest theoretisch, die Anweisungen der Queen befolgen), kein Problem damit zu haben, Ungerechtigkeit zu vergessen, um dann dem Pomp und Prunk der „Monarchy in the UK“  zu erliegen.

Königliche Hochzeiten (und, nicht zu vergessen, Beerdigungen) sind ein theatralisches Spektakel fantastisch-pompösen Londoner Straßentheaters, das die ganze Nation zu hypnotisieren scheint.

Als die Hochzeit angekündigt wurde, freute ich mich darauf, dass ich mich zu dieser Zeit nicht in London aufhalten würde. Ich würde zwar einen Feiertag verpassen, aber auch die Hysterie umgehen, reichen Leuten zu applaudieren, die nur durch den Zufall der Geburt zu ihrer Position kamen. Damals wusste ich noch nicht, dass mich die Royalmania auch hier verfolgen würde.

Mein Unbehagen begann am Anfang dieser Woche. Ich war im tiefsten Bayern und genoss meinen Urlaub weg von Berlin, trank Weißbier (sehen Sie, wie deutsch ich schon geworden bin?), als ich God Save The Queen, gespielt auf einer Blockflöte, durch ein geöffnetes Fenster schwebend vernahm. Meine Furcht wurde größer, als ich erfuhr, dass nicht nur eine sondern vier, ja vier, deutsche Fernsehstationen die Veranstaltung übertragen würden. Als ich dann am Abend vor der Hochzeit in Berlin zurück war und feststellen musste, dass die ganze Stadt in Verzückung geraten war über die königlichen Hochzeitsfestlichkeiten, musste ich mich erst einmal hinlegen.

In derselben Nacht hörte ich bei der BBC, dass die Polizei besetzte Häuser in London und Brighton geräumt und ein paar „Anarchisten“ festgenommen hatte – die später wieder freigelassen wurden unter der Bedingung, dass sie sich nicht nach Westminster aufmachen würden. Vielleicht noch verstörender als dies ist, dass zwei Anti-Monarchie-Rentner, die ihr eigenes satirisches Straßentheater inszenieren wollten (eine königliche Zombiehochzeit mit einer Guillotine) schon verhaftet wurden, bevor sie irgendetwas tun konnten. 

Meine Bedenken über den ständig wachsenden britischen Polizeistaat stimmten aber auch mit der Sorge überein, dass ein Berlin, das Demonstrationen gegen Gentrifizierung veranstaltet und in Massen erscheint, wenn ein besetztes Haus geräumt werden soll, sich nun auf die Straße begibt, um die Aristokratie zu feiern. Konnte das wahr sein?

Ich machte mich auf zum Potsdamer Platz und guckte mir das im Cinemaxx Kino an. Ich fand einen roten Teppich vor und ein Auditorium vollgepackt mit Champagner schlürfenden Menschen, die sich die Live-Übertragung auf einem Großbildschirm ansahen. Das Ritz Carlton Hotel ums Eck war sogar noch festlicher. Ein Mann in einem Beefeater-Kostüm begrüßte die Gäste, die dann mit Kuchen, Scones und Clotted Cream gefüttert und mit Earl Grey Tee und Will-und-Kate-Cocktails gewässert wurden – Wills war scharf und Kates fruchtig. Und die Tickets kosteten 48 Euro.

Dort erzählte mir jemand, dass auch Feierlichkeiten im Schloss Charlottenburg stattfinden würden. Ich hüpfte also in ein Taxi und fragte den kurdischen Taxifahrer, ob er etwas über die Hochzeit wüsste. „Ja!“, sagte er. Oh nein, dachte ich, sogar die Taxifahrer konvertieren nun zum Royalismus, bevor er hinzufügte: „Prinz Charles Hochzeit!“. Er setzte mich an der Orangerie des Schlosses ab, wo das majestätische Umfeld mit der Kleidung der Leute übereinstimmte. Es gab sogar eine Hochzeitstorte. Ich hielt mich am Rande auf und dachte gerade darüber nach, ob Berlin seinen Verstand verloren hatte, als ich mit Johannes ins Gespräch kam, der außer mir die einzig andere Person in Jeans war. Ich erzählte ihm vom Public Screening am Marlene Dietrich Platz. „Lass uns dort hingehen“, meinte er, „das ist sicher etwas lebendiger als das hier.“ Er sagte, er könnte mich auf seinem Moped mitnehmen. Wir fuhren also zurück durch Tiergarten, vorbei am goldenen Engel und für einen Moment fühlte ich mich wie in London, die Mall hinuntersausend, entlang majestätischer Architektur hinunter zum Palast.

Bei der Großbildleinwand dort hatte sich eine Menge versammelt. Ich sah einen Typen in einem „Anarchy in the UK“ T-Shirt der Sex Pistols, offensichtlich unwissend darüber, wie verzweifelt ironisch dieses Statement doch war. Ein Haufen britischer Männer auf Junggesellenabschied, eingewickelt in Union-Jack-Flaggen taten das, was die Briten am besten können: sich an der Bar zu besaufen. Die TV-Teams waren fast in der Überzahl zu den Zuschauern und manche Frauen waren am Heulen.

Stephanie, die in Nord-Berlin geboren war, war nicht so sentimental. Sie war nur neugierig zu sehen, was die Stadt mit all dem anfangen würde. Ihre eigene Hochzeitsgeschichte war, dass sie ihren Verwandten in Ost-Berlin immer sagte, sie würde erst dann heiraten, wenn die Mauer gefallen wäre, damit alle zur Feier kommen könnten. Sie dachte nicht, dass das jemals passieren würde, aber als es dann so weit war, hielt sie ihr Wort. Julia und Matthias von, ganz passend, Wedding verlobten sich erst kürzlich und fühlten das Bedürfnis, sich irgendwie zu beteiligen. Eine Gruppe Männer der Berliner Stadtreinigung versammelten sich am Rand der Menschenmenge und betrachteten untätig den Bildschirm. Waren sie wirklich an Kate‘s Hochzeitkleid interessiert? „Nein, wir machen nur Zigarettenpause“, sagte einer von ihnen. „Das interessiert uns überhaupt nicht“, fügte ein anderer hinzu.

Ich schaltete mich auf Twitter ein und wurde daran erinnert, dass Kate und Will ihren besonderen Tag mit Hitlers und Eva Brauns 66. Hochzeitstag teilen. Mit dem im Hinterkopf schien es wohl passend, Spitfire-Flugzeuge vorbeifliegen zu lassen und dies als eine weitere Gelegenheit zu nutzen, dem Blitz-Spirit zu gedenken. Oder nicht.

Ein anderer Tweeter sagte, dass Not-The-Royal-Wedding-Parties in London stattfinden werden. Ich versuchte herauszufinden, ob auch etwas Ähnliches in Berlin passieren würde. Wenn, so dachte ich, dann in Kreuzberg. Aber es leuchtete mir sofort ein, dass sie dort nicht ihre Energien damit verschwenden, sondern sich wahrscheinlich gerade in diesem Moment auf die Maikrawalle vorbereiten würden, zusammen mit den 6.000 Polizisten.

Doch dann hatte ich den Gedankenblitz. Wenn Sie hier wirklich so sehr auf diese royale Sache abfahren, warum erschaffen Sie dann nicht Ihre eigene Monarchie und Hochzeit? Sie könnten eine Show namens „Deutschland sucht seine königliche Familie und Hochzeit“ im X-Faktor-Stil aufziehen. Im Grunde wäre das genauso willkürlich wie das System, das man in England hat. Sie könnten Will und Kate als Juroren engagieren. Oder Karl-Theodor zu Guttenberg – er sucht gerade Arbeit und das könnte ihm ganz gut passen. Und Lena Meyer-Landrut könnte Ihre Kate sein. Oder haben Sie bessere Vorschläge?

Sie können Mark Espiner emailen unter mark@espiner.com oder ihm auf Twitter folgen @DeutschMarkUK.

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