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© Thilo Rückeis

Espiners Berlin: Jemand hat Berlins Werbespruch geklaut

Be Berlin or be Marlboro? Unser Kolumnist Mark Espiner ist erstaunt, überall in der Stadt Poster mit Zigarettenwerbung zu finden, die den Werbeslogan der Stadt kopiert. Ob das Absicht ist?

Ein ganz glückliches 2012 für Sie alle, wenn es nicht schon zu spät ist, dies zu sagen. Und ich möchte mich auch, wenn Sie es gestatten, willkommen zurück in Berlin heißen. Während der letzten Monate war ich immer wieder weg von der Hauptstadt, beschäftigt mit anderen Schreibprojekten, von denen ich Ihnen zu einem späteren Zeitpunkt erzählen werde.

Als ich das letzte Mal hier geschrieben habe, ging es um Nachtigallen in Berlin und seitdem fühlte ich mich ein bisschen wie diese, bei diesem ganzen in-der-Welt-Herumgefliege. London (natürlich), Schottland und Sydney. Ich habe weitaus mehr Flughäfen gesehen als normal ist in fünf Monaten und dabei beobachtet, dass sie, trotz Globalisierung, immer noch eine kleine Reflektion der Städte sind, zu denen Sie gehören. Heathrows glitzernder Terminal 5 ist fast ein obszöner Tempel des Kapitalismus. Und nachdem ich dort durch war, war es wohltuend, zu dem guten alten, unprätentiösen Tegel zurückzukommen, mit seinen chaotischen Schlangen und schroffen Angestellten. Als ich in den TXL Bus einstieg, las ich auf Twitter, dass eine Anti-Flughafen-Demo in Schönefeld stattfand, worauf ein ganzer Chor an besorgten Twitter-Nachrichten losbrach, ob dies nun verspätete Flüge verursachte. Ich musste schmunzeln. Stadt der Demonstrationen, ich bin mal wieder bereit, Be Berlin zu sein, wie schon dein Werbeslogan sagt.

Gesagt, getan – aber es scheint nun, als hätte jemand Berlins Slogan gestohlen. Mit der verdächtig ähnlichen Aufforderung “Be Marlboro” ist zur Zeit die ganze Stadt zugeklebt, zu sehen auf großen Zigaretten-Werbeplakaten. Be Berlin oder Be Marlboro? Welches nun? Was zu sein oder nicht zu sein ist die Frage. Und wenn man Be Marlboro wählt, wie lange kann man dann erwarten zu leben?

Manch einer möge wohl argumentieren, dass beides gleichzeitig möglich ist, Berlin und Marlboro. Im Endeffekt war diese Stadt ja die letzte Verteidigungslinie der Pro- und Anti-Raucher-Fraktionen. Nehmen Sie den britischen musiker Joe Jackson, der lieber England als seinen Kippen den Rücken kehrte und nach Berlin zog, damit er hier weiterqualmen konnte. Ich bin mir nicht sicher, ob er immer noch hier ist oder sich ins Exil abgesetzt hat, sagen wir nach Kuba, um seine Nikotinration aufrecht zu erhalten. Dann gibt es da noch Gregor Scholl vom Rum Trader, der gegen das Gesetz gekämpft hat (und das Gesetz hat nicht gewonnen), um seine Bar mit Rauch füllen zu können.

Ich habe gemischte Gefühle in Bezug auf Rauchen und das Rauchverbot in Berlin. Als ich zum ersten Mal hierher kam, fand ich die entspannte Einstellung zum Indoor-Rauchen – im Grunde das ganz offensichtliche Ignorieren des Gesetzes – erfrischend, wenn das nicht ein Widerspruch ist. So wie das Grillen im Tiergarten (das nun auch verboten wurde) und die Freistil-Silvester-Feuerwerke (die wahrscheinlich bald verboten werden), war es ein weiteres Beispiel einer wir-machen-hier-alles-anders-in-Berlin-Attitüde. Leben und leben lassen, rauchen und es rauchen lassen. Und es erinnerte mich an alte Zeiten, in denen zigarettenverauchte Klamotten das Zeichen einer guten Ausgehnacht waren.

Da jedoch nun die Raucher zunehmend gesetzestreuer werden (oder ist das Gesetz jetzt härter?), werden auch die unvorhergesehenen negativen Auswirkungen des Verbots ganz deutlich, so wie auch beim damaligen Smoking Ban in London. Als ich vor ein paar Wochen auf einem Palais Schaumburg-Konzert im wunderbaren HAU 2 war, bot sich mir Folgendes. Die neue deutsche Welle des Nichtrauchens und somit der Mangel an Rauchschwaden offenbarte all die anderen Körpergerüche – freigesetzt von einer enthusiastischen (fast nur männlichen) Menge – die sonst von Zigarettenrauch überdeckt worden wären.

Aber ich war auch geschockt, als ich Berlins Riesenposter mit Zigarettenwerbung sah. In Großbritannien ist Tabakwerbung verboten. Ich kann nicht glauben, dass das hier nicht so ist.

Allerdings ist Marlboro ganz groß in Berlin. Und ich überlege, ob es nicht den Be Marlboro Slogan absichtlich an den Be Berlin Slogan angelehnt hat. Im Grunde ist diese Zigarette mehr Berlin als alle anderen: die Fabrik des Konzerns in der Neuköllnischen Allee ist die zweitgrößte Produktionsstätte in Europa.

Abgesehen von den Plakaten erinnerte ich mich auch – oder war es nur meine Einbildung – an einige schicke Lokale, deren Dekor und Einrichtung farbkodiert waren. Rotes Licht, weiße Tische und sandig-farbene Holzbalken, die das Interieur wie eine Schachtel Zigaretten erscheinen und einen fast nach einem Glimmstengel lechzen ließen. Ich war in so einem Lokal, Ressort, und meine Begleitung ertappte sich völlig untypisch dabei, wie sie andere Gäste um Kippen anschnorrte. Ich überlegte, ob das Innendekor eine Art subtiles Zigarettensponsoring war. Kann jemand von Ihnen diese Annahme unterstützen oder meine Theorie komplett im Aschenbecher ausdrücken? Ist Interieur-Design die neue Tabakwerbung?

An diesem Punkt fühle ich mich geneigt, meine moralische Verpflichtung auszudrücken. Dass Rauchen ernsthaft Ihrer Gesundheit schadet, dass ich weder Teil der Be Marlboro oder Be Berlin Kampagne bin (egal, ob sie nun verbunden sind oder nicht), aber dass ich sehr glücklich darüber bin, Be Back zu sein und vielen Dank an alle Leser, die mir Emails geschickt und nach mir gefragt haben. Sie werden bald wieder von mir hören.

Sie können eine Email an Mark Espiner unter mark@espiner.com schicken und

ihm auf Twitter unter @deutschmarkuk folgen.

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