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Essen und Trinken: Der Geschmack der Großküchen

Unsere Probierrunde versuchte Hühnerfrikassee aus dem Glas – und wurde überwiegend enttäuscht.

Zum Kanon der gutbürgerlichen Küche existiert ein Gegenbild, in dem deren Errungenschaften in verzerrter Form weiter existieren. Gemeint ist die Krankenhauskost. Bei ihr findet das Geschmackserlebnis hinter einem Schleier statt. Salz und Gewürze sind wie alle anderen prägnanten Reize eingeebnet, auch die Konsistenz, die auf das Zahnlose zielt. Man kann sich durchaus die Frage stellen, ob diese Beköstigung in ihrer gegenwärtigen Form nicht den Anstrengungen der Ärzte zuwiderläuft. Jedenfalls hat es nur ein Gericht, das in der Großküche seine selbstverständliche Heimat gefunden hat, geschafft, diesen Widerspruch hinter sich zu lassen. Das Hühnerfrikassee schont nicht nur den Verdauungsapparat, sondern auch die Ressourcen der Küche, weil es sich dabei um die sinnvolle Verwertung von Resten handelt.

Im Grunde baut es auf dem ausgekochten Suppenhuhn auf. Fast wichtiger als das Fleisch ist der mit Bechamél und Sahne ausgebaute Fond, der das volle Aroma des Huhns transportieren sollte. Eine Erweiterung des Frikassees stellt das Ragout fin dar, das gewöhnlich mit fein geschnittenem Kalb und Champignons sowie weiterem Gemüse interpretiert wird. Beide Variationen erreichen den heimischen Herd in der Regel nur in der Dose oder dem Schraubglas – schon allein deshalb, weil im heutigen Haushalt kaum noch Hühnerfond hergestellt wird. Aus diesem Grund traf sich die monatliche Testrunde mit gemischten Gefühlen, schließlich genießen Fertiggerichte einen zweifelhaften Ruf. Gastgeber waren Heike Kaschny und Luc Wolff, die mit ihrem „De Maufel“ in den vergangenen Jahren Maßstäbe gesetzt haben. Denn das kleine Delikatess-Bistro am Charlottenburger Amtsgericht ist der bodenständigen Luxemburger Tradition verpflichtet und glänzt vor allem mit täglich frisch gefertigten, fleischgefüllten Pasteten, Terrinen und süßen Tartelettes sowie köstlich buttrigen Brioches. Die beiden waren erstaunt, dass das Delikatess-Hühnerfrikassee von „Döring“ aus der Galeria Kaufhof am Alexanderplatz weit von dem abwich, was sie sich unter einer solchen Speise vorstellen. In einer leimigen Sauce lagen strohige, teilweise jedoch auch saftige Geflügelteile, die vom Aroma her eher an Thunfisch erinnerten. Als wäre es damit nicht genug, schob sich noch ein penetranter Erbsengeschmack nach vorne. Als wesentlich kräftiger gewürzt erwies sich das ebenfalls in der Galeria gekaufte Geflügelragout mit feinem Gemüse von „Sachsengold“. Womöglich liegt das an der Verwendung von Pökelsalz, denn einige Juroren glaubten den charakteristischen Ton von Wurstwasser zu verspüren.

Als Leberknödel-Frikassee könnte man das Erzeugnis von „Keunecke Feiner Genuss“ aus Sachsen-Anhalt ansprechen, das die Lebensmitteletage im 6. Stock des KaDeWe führt. Im Kaufhaus am Wittenbergplatz steht auch das Frikassee vom Huhn von „Englert Exquisit“ im Regal. Dessen Sauce ist stark gebunden, ohne dass sich eine echte Konsistenz ausbilden würde. Das Geleehafte von Englert wird von einem säuerlichen Duft unterstrichen. Nach diesen ernüchternden Auftakt lagen die Hoffnungen auf dem „Gut Krauscha“. Vor Jahresfrist wurden die durchsetzungskräftigen Fonds des Bio-Landwirtschaftsbetriebs aus der Oberlausitz von der Runde gewürdigt, jetzt traten gleich zwei Fertigprodukte im Schraubglas an, die im einschlägigen Biohandel erhältlich sind. Krauschas Hühnerfrikassee ist frei von jeglichem Konservenaroma und wirkt wie hausgemacht. Das gilt in erster Linie für das Fleisch, das trotz der Suppenhuhn-Herkunft sich sehr saftig präsentiert. Dass nicht alles Hausgemachte gelingt, beweist die Saucenbegleitung mit viel Gemüse. Offenbar funktioniert das Zusammenspiel der Zutaten nicht richtig und das Geflügel gerät ins Hintertreffen. Das ist beim Bio-Ragout vom Huhn ganz anders. Hier verzichtet das Görlitzer Unternehmen auf die Gemüsebeilage und richtet das ganze Augenmerk auf große kräftige Fleischstücke sowie eine Velouté, in der Brühe, Weißwein und Zitronensaft fein austariert wurden. Gerade weil eine gewisse Langeweile zu den Qualitätsmerkmalen des Frikassees gehört, wusste die Testrunde augenblicklich, dass sie den Sieger gefunden hatte.

Anschließend wandte man sich im De Maufel dem Ragout fin zu. In einer Zeit, in der Retro und Revival geschätzt wird, wäre eigentlich mit seiner Renaissance zu rechnen. Allerdings bietet das Produkt von „Jürgen Langbein“ wenig Anlass zu dieser Hoffnung. Schon die Optik, die an ein durchweichtes Müsli erinnert, legt nahe, dass diese Creme tunlichst in einer Prinzessinnen-Pastete versteckt werden sollte. Auf dem Teller wirkt das Fleisch zerrissen. Das Ragout fin von „Dörffler“ sieht in kaltem Zustand aus wie Mayonnaise mit einer Einlage aus fein gehacktem Fleisch und weckt unwillkürlich Reminiszenzen an das Dosenfleisch aus der Senatsreserve. Aus dem Hause „Lacroix“ ist auch eine Enttäuschung zu vermelden. Das Ragout fin nach Toulouser Art wirkt wie ein Corned Beef vom weißen Fleisch, aus dem hefige Noten und Selleriesalz hervor stechen. Die Galeries Lafayette bieten ein echtes französisches Erzeugnis an. Die Bouchées à la Reine von „Raynal et Roquelaure“ sind schwer zu identifizieren. In einer gut abgerundeten, ein wenig nach gratiniertem Käse schmeckenden Sauce tummeln sich neben weichen Champignons Gnocchi und Markklößchen sowie wenig Hühnerklein. Alles in allem ergibt sich in geschmacklicher Hinsicht ein unscharfer Eindruck. Wie durch den Mixer gejagt und in mehlige Sauce gebettet erscheint das Ragout fin von „Englert Delikatessen“ aus dem Spessart. Es unterscheidet sich wenig von Rewes „Kaufmann’s“ und der verblüffend titanweißen Mischung von „Dreistern“. Es handelt sich dabei um Produkte für Leute, die das Würzfleisch aus der Mitropa-Raststätte vermissen. Am Schluss blieb das Ragout fin des Wurstspezialisten „Meica“ übrig, das von Ullrich am Zoo besorgt wurde. Immerhin handelt es sich um ein verlässliches Industrieprodukt, in dem das Fleisch noch Kontur besitzt und die ein bisschen puddingartige Sauce durchaus gehaltvoll ist. In den Rang eines Siegers erheben mochte es die Runde nicht.

Bis auf das Ragout von Gut Krauscha dürfte keine der verkosteten Speisen wert sein, für Anlässe, die nach Schonkost verlangen, in die Vorratskammer gestellt zu werden. Kein gutes Zeugnis für eine Industrie, deren Theorie das Praktische ist.

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