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Berlin: Ethik-Unterricht: Wer darf lehren, wer bleibt draußen? Bernhard Schlink erklärt, warum die Islamische Föderation keine Religionsgemeinschaft ist

Im Unterschied zu den meisten anderen Bundesländern ist Religion in Berlin kein Pflichtfach. Stattdessen können Religions und Weltanschauungsgemeinschaften auf Staatskosten freiwillige Unterrichtsangebote machen.

Im Unterschied zu den meisten anderen Bundesländern ist Religion in Berlin kein Pflichtfach. Stattdessen können Religions und Weltanschauungsgemeinschaften auf Staatskosten freiwillige Unterrichtsangebote machen. Davon profitiert auch die umstrittene Islamische Föderation. Sie unterrichtet an 37 Schulen rund 4000 Kinder. Die SPD/PDS-Koalition will die Religions- und Ethik-Erziehung jetzt gesetzlich neu regeln. Darüber sprachen wir mit dem Juristen und Schriftsteller Bernhard Schlink, der den Senat in dieser Frage berät.

Herr Professor Schlink, Bildungssenator Klaus Böger schlägt ein Modell für den Religions- und Werteunterricht vor, bei dem die Islamische Föderation außen vorbleiben soll. Verstößt das nicht gegen das Gebot der Gleichbehandlung mit anderen Religionsgemeinschaften?

Nur, wenn man sie überhaupt als Religionsgemeinschaft ansehen kann. Nach dem alten Berliner Schulgesetz konnte sie als Religionsgemeinschaft bewertet werden – jedenfalls hat das Bundesverwaltungsgericht es so gesehen und entschieden. Seit man im neuen Berliner Schulgesetz aber dem Verständnis von Religionsgemeinschaft folgt, von dem das Grundgesetz ausgeht, ist die Föderation keine Religionsgemeinschaft.

Was spricht denn dagegen, dass sie eine Religionsgemeinschaft ist?

Es spricht alles dagegen. Eine Religionsgemeinschaft ist, wie das neue Berliner Schulgesetz richtig definiert, eine „Vereinigung ..., deren Bestrebungen und Tätigkeiten auf die umfassende Pflege eines religiösen Bekenntnisses ausgerichtet und deren Mitglieder auf dieses Bekenntnis verpflichtet und durch es verbunden sind“. Eine Religionsgemeinschaft bemüht sich nicht nur um einzelne Aspekte eines religiösen Bekenntnisses.

Aber die Föderation verfolgt doch vielfältige Aktivitäten, sie hat Moscheen und bietet nicht nur Religionsunterricht an.

Die Föderation hat in sich alles Mögliche vereinigt. Was sie zusammenhält, ist die Beförderung religiös geprägter politischer und sozialer Interessen. Sie ist nicht eine Religionsgemeinschaft, sondern eine religiös geprägte Interessenvertretung. Daher konnte sie auch Vereine aufnehmen, deren Mitglieder sich nicht zum Islam bekennen mussten, und sich eine hierarchische Struktur geben, die mit dem Anspruch, Gemeinde aller Berliner Muslime zu sein, unvereinbar ist.

Seit man im Berliner Schulgesetz die Definition von Religionsgemeinschaft geändert hat, kann die Föderation also eigentlich nicht mehr in den Berliner Schulen unterrichten?

So ist es. Seit Berlin im neuen Schulgesetz dem grundgesetzlichen Verständnis von Religionsgemeinschaft folgt, ist für einen Religionsunterricht der Föderation kein Raum mehr.

Warum hat Berlin diese Definition nicht viel früher geändert, sondern stattdessen einen jahrelangen Prozess gegen die Föderation geführt, den sie schließlich verlor?

Erst das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat festgestellt, dass das alte Berliner Schulgesetz ein großzügigeres Verständnis von Religionsgemeinschaft hatte als das Grundgesetz, und damit den Anlass zur neuen, engeren Regelung gegeben. Dass man sich mit der neuen Regelung dann einige Zeit nahm, mag daran gelegen haben, dass man sich scheute, den Humanistischen Verband aus den Schulen zu treiben. Denn auch er entspricht nicht den Anforderungen, die nach dem grundgesetzlichen Konzept an Religions- und ebenso an Weltanschauungsgemeinschaften zu stellen sind.

Dann hätte der Humanistische Verband, der 34 000 Kindern Lebenskunde unterrichtet, also auch kein Recht mehr, an den Schulen zu unterrichten?

Er ist nun einmal keine Weltanschauungsgemeinschaft. Theoretisch kann er sich natürlich zur Weltanschauungsgemeinschaft entwickeln. Damit hat er aber dann nicht viel gewonnen, wenn ein neues Fach Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde angeboten wird. Denn dann werden viel weniger Eltern und Kinder Interesse an Lebenskunde haben. Viele haben Lebenskunde ja nur gewählt, weil es kaum Alternativen gab.

Deutschlandweit gibt es rund eine halbe Million muslimische Schüler. In Berlin allein rund 100 000. Warum existiert keine muslimisch-theologische Fakultät, an der Islamlehrer ausgebildet werden können?

Die Einrichtung einer muslimisch-theologischen Fakultät ist eine dringende Aufgabe. Aber sie ist eine mühsame und teure Sache. Die Bundesländer haben unterschiedliche Ansichten darüber, was zu tun ist, und müssten sich einigen – wir wissen, wie schwer sie sich damit tun.

Das Gespräch führte

Susanne Vieth-Entus

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