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Berlin: Ethik verdrängt Religion

Ein Viertel weniger Schüler als im Vorjahr besucht konfessionellen Unterricht. In Brandenburg ist die Entwicklung gegenläufig

Die Befürchtungen der Kirchen haben sich bestätigt: Nach der Einführung des Pflichtfaches Ethik in den siebten Klassen ist der Religionsunterricht wesentlich weniger nachgefragt als im Vorjahr. Die Zahl der Schüler sank um rund ein Viertel von 8471 auf 6262, wie die Kirchen gestern mitteilten. Die Daten beruhen auf den Meldungen der Lehrkräfte.

Die evangelischen Religionslehrer hatten noch im vergangenen Jahr rund 7000 Siebtklässler für ihren Unterricht gewinnen können. Jetzt sind es rund 2000 weniger. Bei den Katholiken ging die Zahl von rund 1400 auf 1200 zurück.

Nach Angaben der katholischen Kirche nennen die meisten Eltern als Grund für die Abkehr vom Religionsunterricht entweder die erhöhte Stundenbelastung der Siebtklässler, die unattraktive Verlegung des Religionsunterrichts in die Randstunden oder die inhaltliche Nähe zum Ethikunterricht, berichtet Kirchenschulrat Rupert von Stülnagel. Auf jeden Fall straften die jetzt vorliegenden Fakten „alle jene Politiker Lügen, die gesagt haben, es ändert sich nichts“. In einigen Schulen wie dem Tiergartener Heinrich- von-Kleist-Gymnasium sei der katholische Religionsunterricht „völlig zusammengebrochen“, berichtet der Kirchenschulrat. Dagegen gebe es auch Schulen wie das Gymnasium Steglitz mit weiterhin sehr hoher Nachfrage.

„Wir bedauern jede Abmeldung vom Religionsunterricht und ermuntern Eltern, ihre Kinder hinzuschicken“, sagte gestern der Sprecher der Bildungsverwaltung, Jens Stiller. Bildungssenator Klaus Böger (SPD) hatte ebenso wie Wolfgang Thierse und andere führende SPD-Politiker lange dafür geworben, Religion zum ordentlichen Unterrichtsfach aufzuwerten und den Schülern freie Wahl zwischen Ethik und Religion zu lassen. Dem wollte die Berliner SPD aber nicht folgen.

Bischof Wolfgang Huber und Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky sprachen gestern den Schülern ihren „großen Respekt“ aus, die weiterhin am Religionsunterricht teilnehmen „und damit eine Doppelbelastung ertragen, die das Abgeordnetenhaus von Berlin und der Berliner Senat hätten verhindern können“.

Wie berichtet, haben die Verkürzung des Abiturs und das zusätzliche Fach Ethik dazu geführt, dass die Siebtklässler jetzt statt 29 Wochenstunden 33 haben. Wer zusätzlich Religion belegen will, muss 35 Stunden absolvieren. Viele Schulen haben den Religionsunterricht in die siebte oder gar achte Stunde gelegt, obwohl sie laut Vorschrift angehalten sind, Religion „innerhalb“ des Stundenplans unterzubringen. „Innerhalb“ würde aber bedeuten, dass die anderen Schüler dann Freistunden hätten, was ihnen kaum ein Schulleiter zumuten will.

Es gibt allerdings auch gute Nachrichten für die Kirchen: Die Religionslehrer, die jetzt in Berlin ihre Schüler verlieren, finden neue Aufgaben in Brandenburg. Aufgrund einer anderen Rechtslage kann man sich dort vom staatlichen Wertefach LER (Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde) abmelden und stattdessen den Religionsunterricht besuchen. Von dieser Abmeldemöglichkeit haben schon etwa 6000 evangelische Schüler Gebrauch gemacht. Und auch die katholische Kirche expandiert: Sie unterrichtet jetzt an 75 Schulen – fünf mehr als im vergangenen Jahr und 50 mehr als vor vier Jahren.

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