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© ddp

Europawahl: Berlin in der EU: Hauptsache vernetzt

Berlin ist in Brüssel vertreten: Ein fünfköpfiges Team beobachtet Gesetzesvorhaben und berichtet darüber. Allianzen sind wichtig, gerade, wenn es um Delikates geht: die Feinstaubrichtlinie oder salzlose Brezeln.

Von Sabine Beikler

Einmal hätte sich Berlin in den Fallstricken der EU beinahe verheddert. Die EU mag es gar nicht, wenn Mitgliedsländer EU-Regelwerke nicht umsetzen. Deshalb musste der Senat Ende 2003 seinen Sesselliftverkehr regeln, denn die Europäische Kommission drohte schon mit einer Vertragsstrafe. Dass Berlin im Gegensatz zu alpinen Ländern wie Bayern und Baden-Württemberg gar keine Seilbahnen und Sessellifte hat, war dem europäischen Gesetzgeber egal. Die EU-Richtlinie 2000/9/EG vom 20. März 2000 über Seilbahnen für den Personenverkehr galt und hatte in allen Bundesländern umgesetzt zu werden. „Brüsseler Regelungen fallen eben nicht vom Himmel“, sagt Staatssekretärin Monika Helbig, die Bevollmächtigte Berlins beim Bund und Europabeauftragte. Jede Verordnung wird im EU-Ministerrat, in dem die 27 Mitgliedsstaaten vertreten sind, vorher abgestimmt.

Berlin ist in Brüssel seit 1989 mit einem Büro vertreten. „Unser Kerngeschäft ist, das Gras wachsen zu hören“, sagt Volker Löwe, der das Büro mit fünf Planstellen leitet. Jedes Gesetzesvorhaben, das die Kommission plant, wird von den Mitarbeitern begleitet, ausgewertet und die Fachverwaltung darüber informiert. Ein „Dauerbrenner“ und sehr entscheidend für die Berliner Entwicklung ist die EU-Strukturförderung. 1,2 Milliarden Euro erhält das Land in der Förderperiode 2007 bis 2013. Doch was passiert danach? So langsam beginnen in den Gremien in Brüssel die Gespräche über die Förderperiode 2014 bis 2020. Der Senat wird demnächst ein Positionspapier über seine Vorstellungen von EU-Förderpolitik verabschieden. Die Informationsflut in Brüssel ist enorm, es gibt überall Akteure, die nationale oder europäische Interessen vertreten. Das A und O ist eine gute Vernetzung. Berlin ist etwa im Netzwerk „Eurocities“ organisiert, sagt Löwe, und stimmt sich mit anderen europäischen Metropolen ab. Beim Thema Integration ist Berlin in unterschiedlichen Netzwerken vertreten. Wirtschaftspolitisch organisiert das Brüsseler Büro mit der Landesvertretung Brandenburg und der Wirtschaftsrepräsentanz Berlin-Brandenburg Dialogforen.

Ein wichtiges Gremium für Berlin in Brüssel ist der Ausschuss der Regionen. Ein 344 Mitglieder starkes Gremium, das sich aus regionalen, kommunalen Vertretern zusammensetzt und die Kommission berät. Monika Helbig (SPD) und ihre Stellvertreterin Martina Michels (Linke) sind dort die Berliner Vertreter. „Wir haben es in einem Memorandum der Hauptstädte europaweit durchgesetzt, dass städtisch relevante Kriterien wie Migrantenzahl oder Arbeitslosenquote bei der EU-Förderung mitberücksichtigt werden“, sagt Helbig.

Die SPD-Politikerin betont die Bedeutung der „Europafähigkeit“ der Verwaltungen. Jeder Bezirk hat einen Europabeauftragten, jede Verwaltung sendet Mitarbeiter für einige Monate oder ein Jahr nach Brüssel, damit sie Kontakte knüpfen, die Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene hautnah erfahren können und ihre Erfahrungen in die Verwaltung hineintragen. „Allerdings müssen europaerfahrene Mitarbeiter nach ihrer Rückkehr auch wieder adäquat eingesetzt werden. Das funktioniert nicht immer“, kritisiert Helbig die Verwaltungen.

Jeder, der in Brüssel arbeitet, seien es Verwaltungsmitarbeiter oder Parlamentarier, kennt das: Geht es um unpopuläre Maßnahmen wie zum Beispiel die Umsetzung der EU-Feinstaubrichtlinie, die zur Einführung der Umweltzonen geführt hat, schieben Politiker die Verantwortung gern auf Brüssel. „Das Spielen über Bande ist geläufig. Was national nicht durchgesetzt werden kann, wird über Europa gemacht. Das Spiel beherrscht jeder Europapolitiker“, sagt Löwe.

Die Opposition spricht zwar ausnahmslos von einer guten Arbeit des Berliner Büros in Brüssel, kritisiert aber, dass das Büro mit fünf Planstellen unterbesetzt ist. „Allerdings ist Lobbyarbeit auch Chefsache. Wowereit lässt sich in Brüssel zu selten sehen“, sagt FDP-Europapolitiker Mirco Dragowski. Das Parlament erfahre oft viel zu spät von Brüsseler Initiativen. Der Senat müsse sich stärker europapolitisch ausrichten, fordert CDU-Europapolitiker Oliver Scholz. Viel zu wenig habe sich Berlin bisher als „Scharniermetropole“ zwischen dem Westen und den osteuropäischen Ländern eingebracht, sagt Grünen-Europapolitikerin Anja Schillhaneck. Staatssekretärin Helbig lässt die Kritik nicht gelten und verweist auf die Kooperation mit den westpolnischen Wojewodschaften in der sogenannten „Oder-Partnerschaft“.

Für den Brüsseler Büroleiter Löwe zählen schon kleine Erfolge. So habe man einen „Unsinn“ der Kommission gerade noch verhindern können, als sie die Nährwertbezeichnung bei Lebensmitteln regeln wollte. Das hätte auch den Salzgehalt im Brot betroffen. Und beinahe wäre dadurch „deutsches Kulturgut“ untergegangen: die Laugenbrezel. Jetzt hat die Kommission davon Abstand genommen. Die Berliner müssen künftig nicht auf salzige Brezeln verzichten.

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