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Cramer

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Europawahl: Michael Cramer: Europa auf die Schienen bringen

Vor fast 30 Jahren hat er sich für ein Leben ohne Auto entschieden: Der Grünen-Kandidat Michael Cramer kämpft für den Ausbau des Bahnnetzes.

Von Sabine Beikler

Michael Cramer kann nerven. Und er macht es mit Freude, wenn es ihm um die Sache geht. Schon bei den ersten Worten seiner Rede zur Kandidatur für die Europaliste im Januar auf dem Grünen-Bundesparteitag in Dortmund fingen viele Parteifreunde an zu grinsen und zu lachen. „Als ich vor fünf Jahren zum ersten Mal für das Europäische Parlament kandidierte, habe ich euch erzählt, dass ich mit der Bahn von Berlin nach Tallinn 60 Stunden brauchte. Jetzt kann ich einen Erfolg vermelden. Es sind nur noch 35 Stunden, doch die Dampflokomotive im letzten Jahrhundert war immer noch zehn Stunden schneller.“ Es ist auch Cramers Hartnäckigkeit zu verdanken, dass der Ausbau der Schienenverbindung Berlin – Warschau – Tallinn fünf Jahre später zu den sechs wichtigsten EU-Verkehrsprojekten von 30 transeuropäischen zählt.

Cramer tritt auf der bundesweiten Europa-Liste der Grünen auf Platz sechs an. „Als Berliner liegt mir sehr am Herzen, dass Europa von Ost nach West optimal verbunden ist“, sagt der 59-jährige Berliner Grünen-Kandidat. Michael Cramer ist überzeugter Europapolitiker. Mehr als 50 Prozent der deutschen Gesetze seien aus der EU-Gesetzgebung abgeleitet. Und es gebe kein Gesetz, bei dem Deutschland nicht mitabgestimmt habe. Deshalb ärgert es ihn maßlos, wenn Politiker ihre Verantwortung auf Brüssel abwälzen. „Europa ist kein Schuttabladeplatz“, sagt Cramer, der im EU-Ausschuss für Verkehr und Fremdenverkehr der Sprecher der Grünen ist. Von 785 EU-Parlamentariern haben die Grünen 43 Abgeordnete.

Nach harten politischen Auseinandersetzungen haben die EU-Verkehrspolitiker im Parlament durchgesetzt, dass ab Januar 2010 die Fahrgastrechte im Schienenverkehr nicht nur im internationalen Verkehr, sondern im gesamten Fernverkehr gelten. Das heißt: In allen Fernzügen kann das Fahrrad mitgenommen werden. „Das muss auch für ICE-Verbindungen gelten“, fordert Cramer. Was in französischen Hochgeschwindigkeitszügen möglich sei, müsse auch für die deutschen gelten. Er lasse das Argument nicht gelten, dass es technisch nicht möglich sei. Auch die im EU-Parlament beschlossene Kostenerstattung für Verspätungen gelte nicht nur im internationalen Transport, sondern auch national, sagt Cramer. „Das wollten Kommission und Rat zunächst nicht, aber da haben wir Verkehrspolitiker uns durchgesetzt und gesagt, dass wir so einen Blödsinn nicht mitmachen.“

Vor fast 30 Jahren hat sich Cramer für ein Leben ohne Auto entschieden. Er ist ein begeisterter Fahrradfahrer, hat den 160 Kilometer langen Berliner Mauerweg für Fahrräder und Fußgänger maßgeblich initiiert. Auf europäischer Ebene ist Cramer der Wegbereiter des durch 20 Staaten führenden 7000 Kilometer langen Europa-Radweges „Iron Curtain Trail“, der die Geschichte des Eisernen Vorhangs „erfahrbar“ macht.

15 Jahre Abgeordnetenhaus lagen hinter dem Sport- und Musiklehrer, als er 2004 auf Platz zehn der Grünen-Europaliste nominiert wurde. Bundesweit erzielten die Grünen damals 11,9 Prozent und holten in Berlin ihr bisher bestes Ergebnis bei der Europawahl mit 22,8 Prozent. 13 Grüne zogen bundesweit ins EU-Parlament ein. Seitdem ist Michael Cramer „so viel geflogen wie noch nie“. Dass seine eigene Öko-Bilanz so negativ ausfällt, ärgert ihn. Aber er sagt auch, dass sein Beruf als EU-Parlamentarier ohne Flugverbindungen nicht möglich wäre. Reumütig zahlt er deshalb jedes Jahr 800 Euro als Klimaschutzabgabe an die gemeinnützige Organisation „Atmosfair“. Besser wird seine private Ökobilanz in den nächsten fünf Jahren vermutlich aber nicht. Sabine Beikler

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