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Berlin: Eva-Maria Redemund (Geb. 1919)

Aber die Hände der Prinzessin fassen kein rohes Fleisch an.

Eva-Maria, Eva, Tante Evi, Mama, Muddel: das sind keine ungewöhnlichen Rufnamen im Leben einer Frau. „Prinzessin“ kommt schon seltener vor. Ungewohnt klingt es erst recht aus dem Mund der jüngsten Tochter. Eva-Maria aber hatte nun einmal etwas von einer Prinzessin: Aufrecht und stolz, schön gewandet und ein wenig anspruchsvoll und zerbrechlich.

Der Vater hatte sie geliebt, behütet und verwöhnt. Ein Puppenhaus hatte er ihr gebaut, exakt nach Anweisung. Selbst das elektrische Licht und die puppenkleinen Schalter hatte er nicht vergessen. Da lag die Messlatte für den künftigen Partner hoch. Eva fand ihn trotzdem schon mit 17: An der Ecke Müllerstraße-Seestraße stieg sie aus der Elektrischen, stolperte und stürzte in die starken Arme eines Fleischers. Er hieß Paul wie ihr Vater und war ein so hübscher Kerl, dass Eva sich sofort verliebte. Beim Rendezvous im Café sagte er ihr aber: „Du bist mir noch ein bisschen jung. Wenn es das Schicksal will, treffen wir uns in ein, zwei Jahren wieder.“ Er war elf Jahre älter als sie. Und das Schicksal oder mindestens einer der beiden wollte es: Bei einer Feier von Evas Brüdern, zwei Jahre später, tauchte Paul wieder auf. Evas Eltern waren zunächst skeptisch, aber die mitgebrachten Koteletts und Würste ließen den werbenden Paul bald in einem milden Licht erscheinen. An Evas Brautkleid tat jeder ihrer Schneiderkollegen ein paar Stiche.

Während des Krieges müssen Eva und Paul mit Tochter Helga nach Spremberg umziehen. Das zweite Kind, Renate, kommt dort zur Welt. Paul wird eingezogen. Die russischen Soldaten rücken näher. Als sie vor Spremberg stehen, schnappt sich Eva das Nötigste. Im tarnfarbenen Morgenmantel, ein Bündel auf dem Rücken, Stiefel um den Hals, den Kinderwagen vorneweg flüchtet sie in die Wälder. Renate liegt im Wagen, Helga hockt auf einem Brettchen darüber. Das Brett bricht, das Geschrei ist groß. Ein Mann mit Fahrrad bietet an, Helga mitzunehmen. Die Russen kommen, ein Drunter-und-Drüber. Am Ende ist Helga verschwunden. Ein nervenzerfetzendes halbes Jahr später bekommt Eva Nachricht aus Spremberg: Doch, doch, ganz sicher, Helga wurde hier abgegeben. Sechs Jahre später ist auch Paul wieder zurück, müde und mager nach der Kriegsgefangenschaft. Als er nach ein paar Wochen etwas aus Evas Handtasche holen möchte, steht Tochter Renate neben ihm: „Lassen Sie bitte die Handtasche meiner Mutter stehen.“

Eva und Paul raufen sich zusammen, sind höflich zueinander, aber nun manchmal fremder als in den frühen Jahren.

Das Haus in der Oderberger ist zerbombt, die Wohnung von Evas Eltern in der Wriezener zu klein. Ein Haus im Pankower Rosenthal wird 1954 bezogen. Schön mit Garten, in dem fast nur Paul arbeitet. Ein Jahr später kommt Ingrid zur Welt. Paul wünscht sich, dass Eva im Fleischerladen mithilft, aber die Hände der Prinzessin fassen kein rohes Fleisch an. Sie nähen lieber und greifen zwischendurch zu Pralinen und Kaffeetassen. Eva näht für ihre Kinder, für Freunde und Bekannte. Sie liebt geselliges Beisammensein und das Familiäre und freut sich, als sie ihren drei Töchtern Brautkleider nähen kann und als nach und nach sieben Enkelkinder die Familie vergrößern.

Pauls Ende kommt schnell: Bluthusten, die Diagnose Magenkrebs, Morphium. Tochter Renate ist inzwischen Frisörin. Kurz vor dem Ende bittet Paul sie, ihm noch einmal die Haare zu schneiden. Den Mauerfall, den er jahrelang herbeigesehnt hatte, verpasst er knapp. „Wenn das Papa wüsste“, sagt Eva von nun an öfter: Bei der Wiedervereinigung etwa und auf den Urlaubsreisen nach Sylt, Bayern oder Venedig, oft mit Renate und ihrem Mann.

Renate, die mit komplizierten, chronischer Krankheiten jahrelang das Sorgenkind der Familie war und besonders lange zu Hause wohnte, ist nun besonders eng mit ihrer Mutter. In den schweren letzten Jahren betreut sie Eva bis zur Erschöpfung. Eva will nicht in ein Heim, wohnt entweder zu Hause oder bei Tochter Helga in Papenburg. Vor allem Renate gegenüber zeigt sie jedoch ihre bedürftige Seite, wird selbst wieder Kind und bei allem Stolz eine weinerliche Prinzessin. Einer der letzten Dialoge:

„Natchen, jetzt werd ich eingeschläfert wie ein Hund.“

„Mama, das ist nur Morphium, wie bei Papa.“

„Natekin, jetzt holt er mich zu sich.“ Anselm Neft

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