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Berlin: Evangelische Kirche entdeckt das Show-Geschäft

Freie Gemeinden füllen mit Gottesdiensten nach amerikanischem Vorbild die Bänke. Jetzt macht es die Gedächtniskirche nach

Die Freikirchen machen vor, wie man die Berliner in die Kirchen lockt: mit emotionsgeladenen Gottesdiensten, mit klaren Handlungsanweisungen für ein frommes Leben und Predigten, die den einzelnen mit seinen alltäglichen Problemen ansprechen Von diesem Trend zum Gefühlig-Frommen will nun auch die evangelische Landeskirche profitieren und wird selbst ein bisschen zur Freikirche. Sie hat für ein Jahr den Prediger Ulrich Parzany von der freikirchlichen Bewegung „Pro Christ“ an die Gedächtniskirche geholt, auf dass er dort „Gottesdienste als Entdeckungsreisen“ zelebriert. „Die Zeit ist reif für einen Wandel“, sagt Landesbischof Wolfgang Huber.

Der Zeitpunkt ist günstig gewählt: Unter dem Eindruck von Papstwahl und Weltjugendtag sind in beiden Amtskirchen die Zahlen der Austritte im vergangenen Jahr zurückgegangen. Es gibt wieder mehr Taufen und Eintritte. 1 200 000 Berliner gehören momentan der evangelischen Kirche an, 309 000 der katholischen Kirche. Schätzungsweise 10 000 Berliner sind in Freikirchen organisiert, Tendenz steigend. Dazu kommen noch einmal 20 000, die zum fromm-freikirchlichen Spektrum innerhalb der evangelischen Landeskirche gehören. Vor allem in Ost-Berlin sind in den vergangenen fünf Jahren etliche neue Freikirchen entstanden. Zulauf haben vor allem die charismatisch-evangelikalen Gemeinden, die ihre Mitglieder dazu anhalten, ihren kompletten Alltag strengen Regeln zu unterwerfen und deren Gottesdienste von spontanen Gebeten und persönlichen Bekenntnissen bestimmt sind. Mitte Juli wollen charismatische Bewegungen sogar das Olympiastadion füllen.

Der Theologe Ulrich Parzany vertritt im freikirchlichen Spektrum eher das Traditionelle. Aber auch er feiert mit seiner Pro-Christ-Bewegung Gottesdienste als Mega-Events nach amerikanischem Vorbild, zuletzt im März vor 6000 Gläubigen im Münchner Olympiastadion. Die Gottesdienste, die an Fernsehshows erinnern, werden in über tausend Gemeinden in ganz Europa übertragen. Sein Einsatz gerade in der prominenten Gedächtniskirche wäre noch vor drei Jahren undenkbar gewesen, sagen Pfarrer der evangelischen Landeskirche. „Ein Experiment“, sagt Bischof Huber.

Wie in Freikirchen üblich, wird bei Parzany in der Gedächtniskirche nicht der Organist Choräle spielen, sondern eine Band Softrock. Jedesmal wird ein Christ von seinem Glauben berichten. Nach dem Gottesdienst, auch das entspricht freikirchlicher Praxis, werden Menschen zum seelsorgerlichen Gespräch mit gemeinsamem Beten eingeladen.

Die Kirchen müssen wieder missionieren, betonen die Bischöfe, auch die katholischen. Das Wort klingt für Atheisten nach Mittelalter. Die Bischöfe meinen damit heute, dass die Kirchen wieder auf die Leute zugehen sollen, anstatt zu warten, bis jemand zu ihnen kommt. Huber empfiehlt seinen Pfarrern etwa auch, mehr Hausbesuche zu machen – bei denen, die nicht von sich aus kommen. Gelingt es der evangelischen Kirche nicht, wieder attraktiver zu werden, so Hubers Prognosen, werden sich in den nächsten 25 Jahren die Einnahmen aus der Kirchensteuer halbieren und die Zahl der Kirchenmitglieder um ein Drittel zurückgehen.

Der erste Parzany-Gottesdienst findet statt am 23. April, 18.30 Uhr, Gedächtniskirche, dann jeden dritten Sonntag im Monat. Freitags zuvor lädt Parzany um 18 Uhr zum Bibel-Forum.

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