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Berlin: Eveline Reinke (Geb. 1937)

Jeder kennt die Frau, die schick zurechtgemacht über die Flure hastet

Der sanfte Wind, die silbrige See, der Duft von Thymian und Rosmarin. Zypern, die Insel der Aphrodite – ihre zweite Heimat. Der hat Eveline immer mit geschlossenen Augen nachgespürt, wenn ihr hier alles zu viel wurde. Dabei war das in Evelines Plan gar nicht vorgesehen, dass irgendwas zu viel wurde. Allein die Zahl ihrer Familiennamen hätte für mehrere andere gereicht: geborene Hermenau, verheiratete Beyer, Zimmer und Reinke.

Die Eltern kamen aus Danzig nach Berlin, Handelsvertreter der Vater, Putzfrau die Mutter. Einfache Leute, einfache Straße, eine gute Kindheit für Eveline und ihre beiden Geschwister Gertrud und Heinz. Der Krieg rührt trotz Luftangriffen und Evakuierung kaum an Evelines robustem Wesen. Ihrer Tochter erzählt sie später nie groß davon.

Mehr als neun Jahre Volksschule bekommt Eveline trotz ihres Wissendurstes nicht zusammen. Die Zeiten sind wirr, das Geld ist knapp, ein Zeugniseintrag von 1951 lautet: „Oft hat sie den Unterricht durch rege Mitarbeit gefördert und der Klasse bei vielen Problemen geholfen.“

Sie lernt drei Jahre Verkäuferin für Textilien und Kurzwaren und merkt schnell, dass das nichts für sie ist. Eveline will mehr aus sich machen. In Abendkursen wird sie Stenokontoristin. 1956 wechselt sie dann erstmals den Nachnamen. Und zieht nach Hannover um, wo Gatte Karlheinz bei der Bundeswehr eintritt. Aber was soll eine Berlinerin in einer öden Neubausiedlung in Hannover-Bothfeld? Eveline will nicht nur Soldatenfrau sein. Schwanger, aber entschlossen kehrt sie zurück, findet für sich und Tochter Claudia eine kleine Wohnung in Lankwitz und ist ab sofort eine ebenso flotte Mutter wie tüchtige Bürokraft. Auch ohne Abitur macht sie Karriere im öffentlichen Dienst. Ihrer Klugheit, ihrer Arbeitswut, ihrem Witz kann keiner widerstehen. Auch nicht Peter, den sie 1967 heiratet. Die zweite Ehe geht sieben Jahre gut.

Dieser wache, ein bisschen aufmüpfige Blick, den sie auf vielen Fotos zeigt, der ist typisch für Eveline. So wie ihr Gerechtigkeitssinn und ihr Einsatz für andere. War ja schon in der Schule so. Und ist so, als sie Personalratsvorsitzende beim Senator für Wirtschaft und Arbeit wird.

Eveline ist überzeugte Sozialdemokratin, ein Fan von Willy Brandt. Ihr 50. Geburtstag beim Senator ist eine Riesenfeier. Jahrelang hat Eveline in der Wirtschaftsverwaltung schräg gegenüber vom Rathaus Schöneberg die Verbindungsstelle zwischen Abgeordnetenhaus, Senatskanzlei und ihrem Senator geleitet. Jeder kennt die Frau, die immer schick zurechtgemacht über die Flure hastet und deren Bürotür grundsätzlich offen steht. Wenn einer Witze über den lahmen öffentlichen Dienst macht, packt sie die Wut.

Ein halbes Jahr nach dem Fest passiert es: Der Blitz schlägt in Evelines Gehirn. Ostern 1988 erleidet sie den Schlaganfall, verstummt und erlahmt von einem Tag auf den anderen. Wie eine kaputte Puppe habe sie sich gefühlt, schreibt sie Jahre später. Das ist die Zeit, in der Eveline sich oft in Gedanken auf die duftende Insel der Aphrodite rettet. Dort ist sie so gern mit ihrem dritten Mann Helmut Reinke hingefahren. Ein Schwerstpflegefall werde Eveline sein, haben die Ärzte zu Helmut gesagt. Und rechnen nicht mit ihrem Kampfgeist. Sie lernt alles neu, gehen, sprechen, leben.

Nicht, dass alles je wie vorher wird. Aber sie will im Personalrat wieder mitarbeiten, und sie schafft das auch. Von wegen Schwerstpflegefall. Und öfter mal nach Zypern fahren, das schafft sie auch. Dort stirbt Helmut, der ihr zu Hause in Wilmersdorf, so gut er konnte, geholfen hat. Eine Hälfte ihres Körpers bleibt gelähmt.

Statt Helmut hilft nun ihre Tochter. Eveline hält sich, obwohl die Welt aus den Fugen ist. Jeden Vormittag geht sie in ihr Stammlokal, mit Leuten reden, Zeitung lesen. Dort versagt zehn Tage vor ihrem 74. Geburtstag das Herz. Zum Schluss ist sie ganz milde geworden. Das kannte keiner von ihr. Gunda Bartels

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