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Jeder nur ein Kreuz. In den Wahllokalen wie hier in Parchim blieb der Andrang den gesamten Sonntag über überschaubar.

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Ex-DDR-Bürgerrechtlerin: Frau Poppe, warum gehen die Brandenburger nicht zur Wahl?

Die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe versucht im Tagesspiegel-Interview, die vielen Nichtwähler in Brandenburg zu erklären - und gibt Tipps, wie die Wähler wieder an die Urne geholt werden können.

Frau Poppe, nicht einmal 48 Prozent der Brandenburger haben bei der Landtagswahl abgestimmt. Was sagt Ihnen das?

Dass nicht einmal jeder zweite Brandenburger zu einer freien Wahl geht, finde ich enttäuschend. Ich hatte auch gehofft, dass die Wahlbeteiligung steigt, weil diesmal auch 16- und 17-Jährige abstimmen konnten. Aber Brandenburg ist da wohl keine Ausnahme.

Wie erklären Sie sich, dass gerade in ostdeutschen Bundesländern die Wahlbeteiligung so niedrig ist?

Vielleicht ist es Gleichgültigkeit, vielleicht auch die Annahme, dass sich nicht viel ändert, ob auf Landesebene diese oder jene Partei am Ruder ist. Die Parteien sind für viele offenbar wenig unterscheidbar. Bei manchen Menschen nehme ich eine Art politischen Fatalismus wahr, - die „da oben“ machen ohnehin, was sie wollen. Vielleicht sind einige Brandenburger einigermaßen zufrieden und sagen sich, die werden das schon gut machen.

Kennen Sie denn Nichtwähler in Ihrem Umfeld?

Niemand gibt das offen zu. Ich habe mit einigen jungen Leuten darüber gesprochen und für die Wahlbeteiligung geworben. Ich hatte dabei eigentlich den Eindruck, dass es eine große Bereitschaft gab. Das immerhin scheint Konsens zu sein. Aber das Gefühl, eine freie Wahl erleben zu dürfen, scheint kein großes mehr zu sein.

Ulrike Poppe, 62, ist Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Brandenburg. In der DDR engagierte sich die Bürgerrechtlerin für „Frauen für den Frieden“ und für „Demokratie Jetzt“.
Ulrike Poppe, 62, ist Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Brandenburg. In der DDR engagierte sich die Bürgerrechtlerin für „Frauen für den Frieden“ und für „Demokratie Jetzt“.

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Welches Gefühl meinen Sie?

Ich war 37 Jahre alt, als ich zum ersten Mal an wirklich freien Wahlen teilnahm. Für mich war es ein großartiges Erlebnis, auch wenn unsere Gruppen bei der ersten freien Wahl nur ein paar Prozent bekommen haben. Wir haben dafür am Runden Tisch gestritten – und mit den ersten freien Wahlen 1990 haben wir in der DDR den Schritt in die Demokratie begonnen. Als wir in diesem Frühjahr auf einer Veranstaltung im Landtag an die Fälschung der Kommunalwahlen im Mai 1989 erinnert haben, deren Aufdeckung zum Auftakt der Friedlichen Revolution wurde, sind wir nur auf geringes Interesse gestoßen. Die Veranstaltung war schlecht besucht.

Wird der Wert, sich freie Wahlen erkämpft zu haben, von den Ostdeutschen 25 Jahre nach dem Umbruch nicht mehr geschätzt?

Inzwischen ist das Wählen zur Normalität geworden. In der DDR waren die Machthaber nicht abwählbar. Die einzige Entscheidung, die wir treffen konnten, war, sich nicht an diesen Scheinwahlen mit vorher feststehenden Listen und Ergebnissen zu beteiligen. Aber das konnte für den Einzelnen negative Konsequenzen haben.

Wie könnte man das Wählen wieder attraktiver machen?

Zur Wahl zu gehen, in ein Wahllokal zu laufen, scheint einfach nicht mehr so attraktiv zu sein. Ich denke, wir sollten überlegen, wie man mehr Menschen begeistert. Das Internet bietet viele Möglichkeiten zur Beteiligung. Warum soll es nicht auch die Möglichkeit zur Wahl bieten. Natürlich muss man schauen, dass die Stimmabgabe sicher ist und noch viele andere Details klären: Aber über bestimmte Vorgänge und Projekte abzustimmen, hätte schon seinen Reiz.

Haben Sie denn am Sonntag gewählt?

Ich bin zwar in Potsdam als Aufarbeitungsbeauftragte tätig, lebe aber in Berlin. Deshalb stimme ich erst bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl wieder ab. Ich freue mich darauf.

Das Gespräch führte Robert Ide.

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