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Aufgeheizt. Die Auseinandersetzung mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) findet auch in Berlin statt. So tauchten vor einigen Monaten IS-Fahnen am Rande eine Demonstration von Kurden auf – wogegen diese Männer lautstark protestierten.

© picture alliance / dpa

Ex-IS-Kämpfer sollen in Normalität zurück: Berlin betreut Dschihad-Rückkehrer

In Berlin startet diese Woche eine Beratungsstelle für desillusionierte Rückkehrer aus dem Dschihad. Vom Senat finanzierte Betreuer sollen ihnen helfen, in ein friedliches Leben zurückzufinden.

Der Mann, der hinter einer halbvollen Wasserflasche und einer aufgerissenen Kekstüte sitzt, ist ungefähr 35 Jahre alt. Er hat dunkle Haare, eine stämmige Figur, er ist Muslim, er hat Ahnung von Anti-Gewalt-Training. Er sitzt an einem braunen Tisch in einem lichtdurchfluteten Büro in der Bergmannstraße, Kreuzberg. Das darf man auch schreiben. Seinen echten Namen darf man nicht schreiben. „Geheimnis“, sagt er und lächelt. Er benötigt ein Pseudonym. Peter Schulz zum Beispiel.

Peter Schulz hat einige Papiere unterschrieben, in den ziemlich oft „Vertraulich“ und „Pflicht zur Geheimhaltung“ stand. Und natürlich die Strafen für Geheimnisverrat. Peter Schulz hat unterschrieben, weil die Leute, um die er sich kümmern wird, das nötig machen. Und aus Gründen seiner eigenen Sicherheit. Er möchte gerne gesund bleiben.

Peter Schulz kümmert sich um ehemalige Al-Qaida-Mitglieder und IS-Kämpfer. Er hofft, dass sie ehemalige sind, sicher kann man nie sein.

Sie haben im Dschihad gekämpft, im Heiligen Krieg. Vermutlich haben sie mit vermummten Gesichtern stolz Waffen gereckt und mit der schwarzen IS-Flagge gewedelt. In Syrien oder im Irak, dort, wo sie Angst und Schrecken verbreiteten.

Am Mittwoch startet das Projekt

Aber Schulz wird sie in Berlin treffen, er wird auf traumatisierte, desillusionierte Ex-Dschihadisten treffen, die selber Angst und Schrecken fühlten und aus dem Heiligen Krieg zurückkehrten. Doch wenn sie hier ins Nichts fallen, sind sie möglicherweise tickende Zeitbomben. Sie brauchen Stabilität, Perspektiven, einen neuen Sinn des Lebens. Zumindest wenn sie nicht vorhaben, den Terror nach Deutschland zu bringen. Deshalb wird sich Peter Schulz um sie kümmern. Ab diesem Mittwoch. Da startet die Rückkehrer-Betreuung in Berlin offiziell.

Das Violence Prevention Network kümmert sich um die verstörten Dschihadisten. 115 000 Euro bezahlt der Senat für 2015 dafür, zwei Betreuer, Schulz und ein Kollege, werden sich um die Heimkehrer kümmern. Am 1. April wird eine Hotline-Nummer freigeschaltet. Die wird erst öffentlich bekannt gegeben, wenn Innensenator Henkel das Projekt vorstellt. Wer sie früher wissen möchte, kann sie beim Network erfahren (Tel. 030-91705464). Berlin ist fast ein Pilotprojekt, nur in Hessen gibt es eine solche Betreuung bereits, seit Juli 2014. Vier Mitarbeiter kümmern sich um die Rückkehrer.

Und Thomas Mücke koordiniert in der Bergmannstraße in Kreuzberg die Arbeit in Berlin. Thomas Mücke ist ein Klarname, der frühere Streetworker heißt wirklich so. Mücke ist ein schlanker, hochgewachsener Mann, der jetzt mit müden Augen an gleichen Tisch sitzt wie Schulz. Mücke leitet das Projekt, er ist der Cheforganisator, er muss nicht geheim bleiben. Er hat schon in Hessen bei der Betreuung mitgewirkt.

30 Dschihadisten wieder in Berlin

90 gewaltbereite Islamisten aus Berlin sind in den Heiligen Krieg gezogen, das hat der Berliner Verfassungsschutz gezählt. Ein Drittel von ihnen ist wieder in die Hauptstadt zurückgekehrt. Berlin gilt als Hochburg der Dschihadisten-Szene. Und Bernd Palenda, der Leiter des Berliner Verfassungsschutzes, warnt vor vielen Heimkehrern. Sie seien radikalisiert, sie seien abgestumpft, sie könnten eine Gefahr darstellen. Das ist die politische Dimension von Mückes Projekt.

Doch Mücke und seine Kollegen müssen ihre Zielpersonen ja erstmal finden, die rennen ja nicht gleich zur Polizei. Da kommt der Muslim Schulz ins Spiel. „Wir sind in der muslimischen Community gut vernetzt“, sagt Mücke. „Das ist unser Türöffner.“ In der Community spricht sich schnell rum, wenn besorgte Mütter und Väter erzählen, dass ihr Kind nach Syrien oder in den Irak gereist oder auch wieder zurück gekommen ist. Die Vorarbeit für die Betreuung hat natürlich schon begonnen, am 1. April geht es nur offiziell los.

Die Jugendlichen sind leichtes Futter für die Salafisten

Vertrauen, das ist die Basis dieser Arbeit. Das weiß Mücke aus den Erfahrungen in Hessen. „Die haben an Kampfhandlungen teilgenommen“, sagt Mücke, „das waren zwar Mitläufer, aber sie haben gleichwohl Hass auf jeden so genannten Ungläubigen.“ In Hessen hat er Rückkehrer erlebt, die sofort redeten. Ein anderer aber verbarrikadierte sich in seinem Zimmer, er wollte mit keinem sprechen. Der Betreuer war erst mal ratlos. Dann schob er einen Zettel mit einer Botschaft unter den Türschlitz. Das wirkte. Die Tür öffnete sich. Es sind ja keine erfahrenen Kämpfer, die Mücke und seine Kollegen ändern wollen. Sie stehen bei Jugendlichen und Heranwachsenden vor der Tür. Und manchmal ist diese Tür schwer und möglichst ausbruchssicher. Denn viele Rückkehrer trafen die Betreuer in der U-Haft. „Diese Leute kann man noch formen“, sagt Mücke.

Zwei Betreuer in Berlin, ist das nicht ein bisschen wenig? Möglicherweise, mal sehen, sagt Mücke. „Es hängt vom Bedarf ab.“ Der Bedarf an Fragen, an Hilfestellungen, an Antworten bei denen, die wieder in Berlin sind, die sind groß. Und da setzt Schulz, der Betreuer, auch an. „Die haben viele Fragen auf einmal“, sagt er. „Zum Beispiel: Ist es mit dem Islam vereinbar, was ich da gemacht habe?“ Dann wird Schulz antworten. Er wird auf die Lebensgeschichte des Propheten eingehen, er wird auf „die viele Stellen im Koran verweisen, die Gegenbeispiele zur Gewalt sind“. Meist ist der Islam für diese Jugendlichen ja nur der Strohhalm, an den sie sich in einem kaputten Leben klammern. „Wer vom Dschihad geträumt hat, der hat sich ein Stück weit selber aufgegeben“, sagt Mücke. Und die Biografien ähneln sich. Mangelnde Kontaktfähigkeit, geringes Selbstwertgefühl, soziale Probleme, oft ohne Vater aufgewachsen, erste Spuren im kleinkriminellen Milieu hinterlassen. „Leichtes Futter für die Salafisten“, sagt Mücke. „Die meisten Jugendlichen sind ja religiöse Analphabeten.“

Also nehmen die Betreuer diese Sinnsuchenden an die Hand, führen sie zu Moscheen oder in religiöse Kreise, in denen differenziert über den Islam geredet wird. Gleichzeitig arbeitet Schulz eng mit den Familien. Eine soziales Netz ist die Voraussetzung, damit diese Rückkehrer ein normales Leben führen können.

Zwei Brüdern wurde bei der Flucht geholfen

Vor einiger Zeit hatten die Mitarbeiter von zwei Brüdern erfahren, die nach Syrien gereist sind. Die Brüder signalisierten, dass sie zurück wollten. Ein Rettungsprogramm startete, an dem vermutlich diverse Behörden mitwirkten, aber auch das Netzwerk. Mehr sagt Mücke nicht. Nur so viel: „Wir haben sie rausbekommen.“ Bei Männern geht das. „Bei Mädchen ist es sehr sehr schwierig, die stehen unter genauer Beobachtung.“ Auch die Rückkehrer nach Berlin werden misstrauisch beäugt. Sicherheitsbehörden haben sie sowieso scharf im Auge, aber auch Schulen und Ausbildungsbetriebe halten erst mal erschreckt Abstand.

Aber dann beugt sich Mücke vor und redet über Erfolge. „Erreichen wir die Zielgruppe? Ja, hohe Erfolgsquote.“ Zweites Ziel: „Der Rückkehrer soll sich und andere nicht mehr gefährden. Erfolgsquote? Ebenfalls hoch.“ Aber das ist der gefährlichste Punkt. Wie soll man sicher gehen, dass nicht plötzlich doch eine tickende Zeitbombe in die U-Bahn steigt?

Denis Cuspert, der Ex-Rapper aus Kreuzberg, ist nicht zurückgekommen. Mücke, der Streetworker, hatte früher viel mit ihm zu tun. Inzwischen nennt sich Cuspert Abu Talha al-Almani und präsentiert sich stolz auf IS-Videos, einmal sogar mit einem abgeschlagenen Kopf.

Sollte Cuspert zurückkommen, kennt Mücke nur einen Ort für ihn. „Der gehört nach Den Haag.“ Dort sitzt das Kriegsverbrechertribunal.

Nicht nur ehemalige Dschihadisten kommen aus Syrien nach Deutschland - auch zahlreiche Kriegsflüchtlinge. Jetzt läuft aber das Aufnahmeprogramm aus. Wie stehen die Chancen für eine gemeinsame europäische Initiative?

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