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Ex-Senatsbaudirektor im Interview: „Es geht noch mehr im Westen“

Rund um den Breitscheidplatz lassen sich 50 Jahre Berliner Architekturgeschichte ablesen. Dem früheren Senatsbaudirektor Hans Stimmann gefällt, wie die City West ihr Gesicht erneut verändert. Wären da nicht das Europa-Center und andere Relikte.

Das Hotel Waldorf-Astoria am Breitscheidplatz, Herr Stimmann, ist zu voller, Berlinmaße überragender Höhe emporgewachsen. Was bedeutet dieser neue Akzent in der Weststadt in den Augen des früheren Senatsbaudirektors, der überdies die Entwicklung der Stadt seit Anfang der 70er Jahre als Student der Stadt- und Regionalplanung miterlebt hat?

Das Wichtigste an diesem Bauwerk ist nicht die Höhe, sondern die Tatsache, dass der Breitscheidplatz wieder verbunden wird mit seinem Hinterland. Wir reden ja über einen Teil von Charlottenburg, und wenn man sich einen Stadtplan von Berlin vor 1945 anguckt, dann war der Breitscheidplatz – oder wie er früher hieß: Auguste-Viktoria-Platz – der Verteilerplatz in Richtung Mitte. Durch die West-Berliner Nachkriegsumbauten ist er zu einer Art geschlossenem Platz geworden. Die Entscheidung für den Abriss der Überbauung der Kantstraße für zwei neue Hochhäuser als Eingang zum Breitscheidplatz bedeutet da eine gravierende Revision. Sie ist in ihrer positiven Wirkung auf das Zentrum des Westens gar nicht zu überschätzen.

Und was heißt das für die Position der City West in Berlin? Unlängst ist man auf die Idee gekommen, für das in die Jahre gekommene Europacenter mit dem Slogan zu werben „Mehr Westberlin geht nicht“ und „Unser Palast der Republik“. Spiegelt sich in diesem Werbegag, dass die Weststadt noch immer nach ihrer Rolle im neuen, geeinten Berlin sucht?
Mit dem Fall der Mauer verlor die City West abrupt ihre Sonderstellung als Alternative zur Hauptstadt der DDR, bei uns City Ost genannt. Und mit der Bebauung des Potsdamer Platzes und der Friedrichstraße, mit dem neuen Hauptbahnhof in unmittelbarer Nähe des Parlaments- und Regierungsviertels und schließlich mit der Entscheidung für die Rekonstruktion des Schlosses verschoben sich die Gewichte in Richtung der alten Mitte. Deshalb folgte der großen Freude im Westen über die Wiedervereinigung ziemlich schnell auch eine gewisse Furcht vor einem Bedeutungsverlust.

Inwiefern?
Ich beobachte bis heute, dass viele Leute von der alt-neuen Berliner Mitte noch immer als Ost-Berlin reden. Darin schwingt nicht nur die Erinnerung an die Zeit der Teilung mit, sondern auch die Furcht, von der Entwicklung abgehängt zu werden. So in dem Sinne: Alles geht in den Osten, alle reden über den Potsdamer Platz und über die Museumsinsel und die Friedrichstraße, kurz: West-Berlin hat seine Schuldigkeit als Insel der Freiheit getan und kann abdanken.

Berlin im Blick. Hans Stimmann ist SPD-Mitglied, war von 1991 bis 1996 und von 1999 bis 2006 Senatsbaudirektor sowie von 1996 bis 1999 Staatssekretär für Planung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Zudem hat er das Buch „Berliner Altstadt: Von der DDR-Staatsmitte zur Stadtmitte“ herausgegeben.
Berlin im Blick. Hans Stimmann ist SPD-Mitglied, war von 1991 bis 1996 und von 1999 bis 2006 Senatsbaudirektor sowie von 1996 bis 1999 Staatssekretär für Planung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Zudem hat er das Buch „Berliner Altstadt: Von der DDR-Staatsmitte zur Stadtmitte“ herausgegeben.

© picture-alliance/ dpa

Dabei war der Breitscheidplatz und sein Umfeld in den vergangenen 50 Jahren eigentlich der zentrale Platz West-Berlins, eine Art Herz der Stadt, wenn vielleicht auch ein Kunstherz. Wenn ein Merian-Heft über Berlin erschien oder ein Bildband, war garantiert die neu-alte Gedächtniskirche vorn drauf.
Der Breitscheidplatz war der Versuch, West-Berlin ein eigenes Zentrum zu geben. Es war richtig, auf die Teilung der Stadt und das Abgeschnittensein von ihrem alten Zentrum so zu reagieren. Ich hätte das damals wahrscheinlich auch so gemacht. Heute mag man finden, dass das Europacenter nicht viel mehr ist als ein ziemlich mittelmäßiges Shoppingcenter. Aber für mich als jungen Berlintouristen oder später als architekturbeflissenen West-Berliner Studenten war das damals eben mit der Eislaufbahn und dem Kabarett und den Fußgängerbrücken über die Straßen so ein kleines Stück gebautes Amerika. Das entsprach unserem Lebensgefühl. Der Platz und die Gebäude erfüllten in einer politischen Situation, wo sich West-Berlin auch gegenüber dem politischen und architektonischen Anspruch Ost-Berlins behaupten musste, eine wichtige Funktion.

Aber es sieht jetzt ganz schön alt aus. Ein abgelegtes Kapitel Architekturgeschichte.
Abgelegt, nicht aber abgeschlossen, lässt sich am Breitscheidplatz in der Tat die Berliner Architekturgeschichte des vergangenen halben Jahrhunderts studieren, nicht zuletzt die Kurzlebigkeit städtebaulicher Moden und politischer Ansprüche an die Architektur. Als 1948 der Wettbewerb „Rund um den Zoo“ veranstaltet wurde, haben sich die Architekten überboten in dem Ehrgeiz, hier die Stadt neu zu erfinden. Dazu gehörten riesige Verkehrskreisel und beispielsweise auch ein Flughafen für Geschäftsreisende am Bahnhof Zoo. Diese Träume blieben zum Glück auf dem Papier. Seit Mitte der fünfziger Jahre hat der Platz dann mit der Auseinandersetzung um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und der Errichtung des Europacenters das Gesicht West-Berlins entscheidend geprägt. Er stand vor allem in den sechziger Jahren für das „Glitzerding“ Berlin, bestätigte die Lebensfähigkeit der Stadt und strahlte Modernität und Attraktivität in Richtung Osten aus.

Welche Rolle spielt die City West sozusagen in einer städtebaulichen Gesamtrechnung Berlins?

Welche Rolle spielt die City West sozusagen in einer städtebaulichen Gesamtrechnung Berlins? Falls man eine solche für die geteilte Stadt überhaupt aufmachen kann?
Richtig ist, dass sie ein Ergebnis der Teilung der Stadt war, nicht anders als später die sozialistische Staatsmitte auf dem Boden der Berliner Gründungskerne. So wie diese die historische Stadtstruktur neu zu bestimmen suchte, unternahm das West-Berlin zehn Jahre früher mit seinen Planungen in der Ära des jugendlichen Regierenden Willy Brandt, die im Umbau des Auguste-Viktoria-Platzes zum Mittelpunkt der City West ihren Schlusspunkt fanden. Die City West und die Hauptstadt der DDR waren gebaute Überlebensversuche einer elementar aus dem Gleichgewicht gebrachten Stadt, Zentrum und Gegenzentrum.

Im ehemaligen Ostteil der Stadt hat nach dem Fall der Mauer die allmähliche Wiederherstellung der Mitte diese Struktur aufgehoben. Dagegen ist der Westen an seinem einstigen zentralen Platz sozusagen stehen geblieben, bis auf leichte Korrekturen, etwa durch die Aufgabe des Autotunnels, der den Platz trennte. Wo liegen die Perspektiven der City West?
Mit dem Verlust an Bedeutung als Nachkriegscity verbindet sich die Chance einer Renaissance des bürgerlichen Westens, mit seinen baumbestandenen Straßen und Boulevards und der urbanen Mischung aus Wohnen, kleinteiligem Einzelhandel, Galerien, Dienstleistung, Restaurants und Cafés zu punkten. Wir leben ja in einer Zeit, von der ich denke, dass der gute alte Westen Berlins, die bürgerliche Wohnstadt, eine Art Renaissance erlebt und damit wieder zu sich selbst kommt.

Historische Bilder der "City West"

Führt der Weg der City West also eher zurück zum alten neuen Westen, der ersten Gründerzeit, der Berlin sein Gesicht verdankt? Und was für eine Rolle käme dann dem Breitscheidplatz zu?
Mit dem Zurück bin ich vorsichtig, da bin ich ein gebranntes Kind. Anknüpfen an Geschichte ist nicht zurück. Wir sollten in jedem Fall nicht versuchen, den Platz in eine Konkurrenz zum Alexanderplatz oder zum Potsdamer Platz zu rücken, schon gar nicht zur historischen Mitte. Wir sind hier im bürgerlichen Westen mit seinen unübertroffenen urbanen Qualitäten, mit Häusern und Straßenzügen, die ihre Geschichte Berlins erzählen – die der Gründerjahre, des alten neuen Westens und dann eben auch West-Berlins. Man sollte eher wieder zurückkommen zu dem, was der Platz mal war, er war ja ein bedeutender Platz in der optischen Schnittstelle der Boulevards und Straßen. Damit verbunden ist auch die Besonderheit der Gedächtniskirche, nämlich der Punkt zu sein, auf den die Straßen zuliefen, der Kurfürstendamm, die Kantstraße, die heutige Budapester Straße. Das war nicht der Marktplatz von Berlin, sondern ein Ort mit orientierender Kraft. Man spürt es noch heute: Wenn man vom Westen kommt, dann kommt der Platz, und dann siehst du schon die Gedächtniskirche, und von da aus gehst du dann nach links oder rechts oder wohin auch immer. Auch das Waldorf-Astoria-Hotel orientiert sich ja nicht zum Platz hin, sondern in Richtung Bahnhof Zoo, zur Joachimstaler Straße und zur Kantstraße hin.

Was wäre danach für einen Stadtplaner und Stadtreparateur, der in den letzten Jahren vor allem mit dem Osten und der Mitte der Stadt zu tun gehabt hat, der Ertrag der Veränderung, die sich in der City West anbahnt?
Ich habe vor allem das Gefühl, dass die Kantstraße enorm aufgewertet worden ist. Sie ist buchstäblich aus ihrem Schattendasein befreit. Trotz Metropol, Paris-Bar und Savignyplatz, trotz ihrer Geschäfte hatte sie in den letzten Jahrzehnten nie eine wirklich bedeutende Funktion. Die Öffnung des Platzes zur Kantstraße schafft nun ein ganz neues Raumerlebnis im Westteil. Und das neue Hotel setzt architektonisch und städtebaulich Maßstäbe. Mit ihm verbindet sich der Anspruch, ohne Nostalgie an die Qualität der Vorkriegsbebauung des Westens anzuknüpfen. Dabei verstehen sich beide Hochhäuser nicht als freigestellte Solitäre, sondern sie stehen in der jungen Tradition des Nachwende-Berlins – sind Teil eines straßenbegleitenden Blockrandes, so wie es zuerst am Potsdamer Platz ausprobiert wurde. Mit diesem Bau wird ohne falschen Cityehrgeiz an die architektonischen und urbanen Qualitäten des Berliner Westens angeknüpft. Ein Blick auf das Aschinger-Haus oder ein Besuch des Europacenters mit dem biederen Wasserklops zeigen, dass dieses Niveau noch nicht überall erreicht wurde. Anders als die Werbung behauptet, geht doch noch mehr Westen.

Das Gespräch führte Hermann Rudolph

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