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Berlin: Expedition in die Wirtschaftswelt

Ökonomie kommt in der Schule nur am Rande vor. Ein ehrgeiziges Kooperationsprojekt soll das ändern

Cashflow-Marge, Eigenkapitalrendite, Umsatzentwicklung – ganz selbstverständlich sprudeln die Worte aus Franziska, Marlene und Steffen heraus. Wie sie da vor ihrem Laptop stehen und das Telekommunikationsunternehmen O2 in einer Powerpoint-Präsentation vorstellen, vergisst man glatt, dass sie noch zur Schule gehen. Wochenlang haben sie sich wie 30 andere Elft- und Zwölftklässler der Tempelhofer Luise- Henriette-Oberschule auf diesen Vortrag vorbereitet, haben neben dem Unterricht Geschäftsberichte gelesen und Kennzahlen entschlüsselt. Was am Ende herausgekommen ist, kann sich sehen lassen – auch vor einer Experten-Jury.

„Wirtschaft hat mich bisher nicht besonders interessiert“, – wie der 16-jährigen Marlene geht es vielen ihrer Alterskollegen. Ein Grund dafür: „Wirtschaftliche Themen kommen im regulären Unterricht fast nicht vor“, bedauert Marlenes Lehrer Dieter Radde. Wirtschaftliche Kompetenz werde aber immer wichtiger, genauso wie der sichere Umgang mit neuen Medien. Um hier Abhilfe zu schaffen, entstehen immer mehr Kooperationen zwischen Unternehmen und Schulen.

Wie in Tempelhof. Mitarbeiter des Elektronikkonzerns Gillette Deutschland haben hier im Rahmen des Projektes „business@school“ Patenschaften in der Luise-Henriette-Oberschule übernommen. Das Ziel: mehr Praxisnähe im Unterricht, ein (besseres) Verständnis von wirtschaftlichen Zusammenhängen – und damit bessere Ausgangschancen für die Zeit nach der Schule. Gleichzeitig werden auch die Lehrer geschult, denn vieles ist ihnen auch neu, oder es ist schon länger her, dass sie es selbst gelernt haben.

„Das Projekt ist in drei Phasen eingeteilt“, sagt Babette Claas, die „business@school“ im Auftrag der Unternehmensberatung Boston Consulting Group schon seit Jahren betreut – in insgesamt 72 Gymnasien in Deutschland, Österreich, Italien und sogar Singapur. Der Ablauf ist immer gleich. Am Anfang analysieren die Schüler anhand von Geschäftsberichten und anderen Quellen ein Großunternehmen und stellen es in einer Präsentation einer Jury aus „echten“ Wirtschaftsfachleuten vor. Als Nächstes sollen sich die Schüler ein mittelständisches Unternehmen in ihrer Nähe anschauen und ebenfalls präsentieren. „In der dritten Phase können die Schüler das Gelernte dann selbst anwenden, wenn sie eine eigene Geschäftsidee entwickeln und dafür einen Businessplan aufstellen sollen“, sagt Claas. Das sei der spannendste Teil.

Wilfried Ceczka, im richtigen Leben „Information Systems Manager“ bei Gillette, ist einer der ehrenamtlichen Betreuer, die die Schüler durch den Wirtschafts-Dschungel führen sollen. Er ist ganz begeistert von dem Projekt, auch wenn es ihn mehr Zeit kostet, als er anfangs dachte. „Ich habe jahrelang in den Vereinigten Staaten gelebt, da sind solche Kooperationen viel selbstverständlicher als hierzulande“, erzählt Ceczka. Die Jugendlichen würden dadurch nicht nur besser ausgebildet, „sie gewinnen auch sichtbar Selbstbewusstsein dazu“. Und das sei nicht zu unterschätzen im späteren Berufsleben. Genauso wie die Fähigkeit, einen Geschäftsbericht zu lesen und in einem Team an einer Sache zu arbeiten – eine neue Erfahrung, sagt Steffen.

Ceczka betreut gemeinsam mit zwei anderen Gillette-Mitarbeitern die Schülergruppen, „meist über E-Mail-Kontakt, das geht ganz gut zwischendurch“. Gillette Deutschland ist in Tempelhof angesiedelt, und auch er selbst wohnt dort, „da macht es doch Sinn, eine gute Idee hier in der Nachbarschaft zu unterstützen“.

Berlin hat den Bedarf erkannt. So hat die Industrie- und Handelskammer (IHK) schon vor fünf Jahren die Initiative „Partnerschaft Schule-Betrieb“ ins Leben gerufen, um „die Ausbildungsfähigkeit von Schulabgängern zu verbessern“, sagt IHK-Ausbildungsexpertin Anja Nußbaum. „Wir kritisieren seit langem, dass etwa 25 Prozent eines Jahrganges nicht ausbildungsfähig sind.“ Die Idee kommt an: Gerade erst wurde die 125. Partnerschaft unterzeichnet, zwischen der Toll Collect GmbH und der Evangelischen Schule Charlottenburg.

Ein anderes Berliner Projekt ist das „Netzwerk Hauptschule“, ein Zusammenschluss von Schulen, Unternehmen und der Agentur für Arbeit. Sie wollen sich nicht damit abfinden, dass nur ein Fünftel der Absolventen der 60 Berliner Hauptschulen einen Ausbildungsplatz findet. Gleichzeitig hat der Senat ein „Arbeitsprogramm Hauptschule“ eingeleitet, dessen Ziel es ist, doppelt so viele Hauptschulabsolventen in eine Lehrstelle zu bringen und die Anzahl derer zu halbieren, die die Hauptschule ohne Abschluss verlassen.

Juliane Schäuble

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